Baby-Boom "Deutschland ist nicht kinderfreundlich"
29.12.2010, 21:16 UhrIn Deutschland werden wieder mehr Kinder geboren. Das freut die Presse, von Euphorie ist sie jedoch weit entfernt. Obwohl sich in der deutschen Familienpolitik in den letzten Jahren einiges getan hat, sind die Bedingungen längst nicht optimal. Und dass sie die Ursache für den Trend zum Kind sind, wird angezweifelt. Ist es nicht vielleicht die Sehnsucht nach etwas Beständigkeit?

Mehr Kinder werden geboren. Ob der Trend ein langfristiger wird, ist noch nicht abzusehen.
(Foto: AP)
"Diese Statistik wäre - sofern sie sich bewahrheitet - die überraschendste des Jahres 2010: Deutschland winkt ein Baby-Boom. Trotz Finanz- und Wirtschaftskrise, trotz Klimawandel, trotz sinkender Zahl geburtsfähiger Frauen", schreibt die Landeszeitung aus Lüneburg, ist jedoch skeptisch ob der Nachhaltigkeit dieses Trends : "Jubel wäre verfrüht. Familienpolitik braucht einen langen Atem, wie das Beispiel Frankreich zeigt. Am Anfang des französischen Babybooms stand die Niederlage gegen Hitler-Deutschland 1940. De Gaulle führte diese darauf zurück, dass Frankreich das geburtenschwächste Land Europas war. Seitdem mühte sich jede französische Regierung um die Verbesserung der Situation der Mütter. Solange hier kein vergleichbarer überparteilicher Konsens erzielt werden kann, läuft die überraschendste Statistik 2010 Gefahr, als Hoffnung machende Sternschnuppe zu verglühen."
Der Mannheimer Morgen sieht das Elterngeld nicht als den wichtigsten Katalysator für mehr Nachwuchs: "Eine tragendere Rolle (...) spielen die Arbeitgeber: Unternehmen merken, auch im Hinblick auf den Fachkräftemangel, dass sie gute Bedingungen schaffen müssen: für die, die Beruf und Familie optimal vereinen wollen. Eben jene Vereinbarkeit hat oft noch nicht den Stellenwert, der ihr zusteht, doch einen bedeutenderen als zuvor. Auch der Staat ist in der Pflicht: Es gibt heute mehr Kindergeld, höhere Freibeträge, mehr Krippenplätze. Und wohl auch deswegen wieder mehr Nachwuchs. Doch die Bedingungen sind noch lange nicht optimal: Ein echtes Geburtenwunder wird es erst dann geben, wenn jede Frau, die ein Kind großziehen und gleichzeitig arbeiten möchte, dazu auch die Möglichkeit bekommt."
"Zukunftsforscher haben das Ende der Ichlinge ausgemacht und eine Renaissance der Familienwerte." Das Straubinger Tagblatt hofft, "dass die alte demografische Pyramide irgendwann wieder diesen Namen verdient. Wie weit Deutschland aber noch von stabilen demografischen Verhältnissen entfernt ist, zeigt der Vergleich mit dem bisher absoluten Geburten-Rekordjahr 1964. Deshalb bleiben die eingeleiteten familienpolitischen Verbesserungen notwendig. Ohnehin dauert es fast eine Generation, bis die Trendwende bei den Geburten, so sie sich denn endgültig wirklich bestätigt, auch in allen Bereichen der Gesellschaft ankommt."
"Die Familienpolitik hat die Zeichen der Zeit sehr spät erkannt, das ist vorwerfbar. Die Anstrengungen, die nun unternommen werden Elterngeld, Ausbau der Kinderbetreuung sind im Prinzip richtig und löblich", kommentiert die Allgemeine Zeitung aus Mainz und macht ein anderes Problem aus: Es scheine mitunter, "dass eine existenzielle Notwendigkeit solcher Bemühungen in breiten Bevölkerungskreisen nicht gesehen wird und das Bekenntnis zur Kinderfreundlichkeit oft ein bloßes Lippenbekenntnis ist. Nach wie vor ist Deutschland mental und ökonomisch nicht das, was man ein kinderfreundliches Land nennen würde, nach wie vor sind Kinder ein Armutsrisiko, nach wie vor sind die meisten Frauen weit davon entfernt, echte Entscheidungsfreiheit hier Beruf, dort Familie zu haben. Erste kleine Schritte sind getan. Nicht weniger, nicht mehr."
"Auffällig ist bei alldem, dass ausgerechnet in Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise wieder mehr Kinder in Deutschland gezeugt wurden. Vielleicht ist das ein Zeichen dafür, dass sich junge Familien in schwierigen Zeiten wieder mehr nach etwas Beständigkeit sehnen, nach etwas, das bleibt", überlegen die Karlsruher Badischen Neuesten Nachrichten.
Quelle: ntv.de, Zusammengestellt von Nadin Härtwig