Gauck in SS-Massaker-Ort Oradour-sur-Glane "Dieser Präsident tut Deutschland gut"
04.09.2013, 19:57 Uhr
Als erster Bundespräsident verbeugt sich Joachim Gauck vor den Opfern des Massakers von Oradour-sur-Glane in Frankreich. 624 Menschen wurden hier 1944 von der Waffen-SS ermordet - der kleine Ort ausgelöscht. Oradour ist für die Franzosen bis heute der Inbegriff der Grausamkeit der Nazi-Besatzung im Zweiten Weltkrieg. Die Geste bewegt die Kommentatoren der deutschen Presse. Sie bescheinigen dem ehemaligen Pastor nicht nur "viel Sensibilität", sondern auch Mut.
"Dieser Präsident tut Deutschland gut", befindet die Landeszeitung Lüneburg: "Fast sieben Jahrzehnte, nachdem die Waffen-SS eine Blutspur durch Europa zog, besucht Joachim Gauck die Orte der deutschen Schande. Mittlerweile ist die Zeit reif dafür - nicht aber für den von vielen herbeigesehnten Schlussstrich. Sondern für die von Gauck in Oradour gezeigte Demut. Es gilt, den Nachbarn zu danken, dass sie trotz der monströsen Verbrechen zur Aussöhnung bereit waren. Es gilt aber auch, in Deutschland die Erinnerung vor der Gefahr der Ritualisierung zu bewahren. Die Leichtigkeit, mit der das Volk, das Goethe hervorbrachte, zu dem wurde, dessen Name mit Oradour zu verbinden ist, gemahnt daran, wie dünn und verletzlich der zivilisatorische Firnis ist".
Oradour-sur-Glane ist für die Welt ein Ort, "den man, gleich welcher Nation, aber am meisten als Deutscher, nur mit Tränen in den Augen" besuchen könne. Die in Berlin herausgegebene Zeitung zollt dem Bundespräsidenten Respekt denn er "tat einen schweren Gang, wie keiner seiner Vorgänger zuvor, und er fand die richtigen Worte. An Orten wie Oradour - oder Dresden oder Warschau oder Coventry - kann kein politisches Hochamt die Vergangenheit vergessen machen. Es gibt Plätze, wo kein Gras wachsen will. Da wird der Mensch seiner selbst gewahr in der Gestalt, wie sie der Dichter Sophokles so eindringlich beschrieb: 'Viel Furchtbares gibt es/ nichts ist furchtbarer als der Mensch'".
Anerkennung bekommt Gauck auch von der Nürnberger Zeitung: "Vielleicht ist es ja der Pfarrer in ihm, der den Schandtaten, zu denen Menschen fähig sind, mit unverkrampfter Ehrlichkeit und dem tief verwurzelten Wunsch nach Vergebung gegenübertritt. Doch niemals versäumt er auch, darauf hinzuweisen, dass Deutschland heute ein anderes Land ist als unter dem NS-Regime. Gauck sucht den Kontakt mit den Opferfamilien. Dazu gehört ein gewisser Mut und viel Sensibilität. Der Bundespräsident leitet beides von seiner Überzeugung ab, sich nicht wegducken zu dürfen".
"Kluge Staatsmänner haben erkannt, wie wichtig die deutsch-französische Freundschaft für eine friedliche Zukunft Europas ist. Allen voran Charles de Gaulle und Konrad Adenauer, später Helmut Kohl und François Mitterrand, die sich die Hände über den Gräbern von Verdun reichten", schreibt die Ludwigsburger Kreiszeitung. Auch Gauck und François Hollande hätten nun "ein symbolisches Zeichen gesetzt". Für den Kommentator aus Baden-Württemberg trägt "Gaucks Staatsbesuch, ebenso wie seine für ihn typischen, wohl abgewogenen Worte und Gesten, der Erkenntnis Rechnung: Solange sich Deutschland und Frankreich ihrer Vergangenheit und der Bedeutung ihrer Freundschaft bewusst sind, werden sie ihre gemeinsame Erfolgsgeschichte fortschreiben".
Für die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat Präsident Gauck "jetzt zusammen mit Staatspräsident Hollande eine der letzten Lücken der deutsch-französischen Geschichtsaufarbeitung geschlossen. (…) So könnten die versöhnlichen Töne von Oradour am Anfang einer erneuerten Kompromisskunst stehen, an der es im ersten Amts- und Lehrjahr Hollandes oft mangelte. Der Streit über das Reformtempo in Frankreich oder über die Notwendigkeit von Mindestlöhnen in Deutschland, kurz: über das richtige Wirtschafts- und Sozialmodell, wird nicht durch einen Tag voller Symbolkraft beigelegt werden. Aber die versöhnlichen Gesten können eine gewisse Gelassenheit in das deutsch-französische Verhältnis zurückbringen".
Quelle: ntv.de