Nato-Gipfel in Chicago "Diplomatische Nebelkerzen"
21.05.2012, 22:35 Uhr
Der Nato-Gipfel mit seinen Beschlüssen über den Raketenschild, Rüstungsprojekte und Milliarden für Afghanistan lässt die Presse ein wenig ratlos zurück. Der Nato traut man nicht mehr viel zu. Auch Manfred Bleskin von n-tv ist der Meinung:

Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen.
(Foto: dpa)
Die Saarbrücker Zeitung hält die Nato weiterhin für ein wichtiges Bündnis, das in seiner Bedeutung unterschätzt wird: "Auch wenn das Bewusstsein für Bedrohungen in weiten Teilen der Öffentlichkeit schwindet: Das kann sich schnell als naiv erweisen." Eine große Gefahr sieht die Zeitung im Nahen Osten. "Zur Verteidigung könnte die Nato schneller gebraucht werden, als uns lieb ist", heißt es. Das Bündnis gehe einen "realistischen Weg. Es muss schlagkräftig bleiben, ohne zuschlagen zu wollen. Die in Chicago gefassten Entschlüsse sind ein Weg dahin."
Auch die Süddeutsche Zeitung aus München ist der Meinung, dass man ein Militärbündnis wie die Nato eigentlich noch braucht, schränkt aber ein: "Große Organisationen wie die Nato, denen Ziel und Auftrag abhanden gekommen sind, sterben nicht, sie dämmern dahin. (...) Im Nahen Osten und in Nordafrika brauen sich Kriegsgefahren zusammen, gegen die ein funktionierendes Verteidigungsbündnis eine kluge Reserve wäre. Eine Nato freilich, die ihre Probleme verdrängt, nutzt da wenig." Die Süddeutsche fordert, die Nato müsse "Klarheit über ihren Zustand schaffen". Selbst wenn am Ende die Erkenntnis stünde, dass die Allianz keine mehr ist: "Dieses Risiko ist erträglicher als die Aussicht auf weitere Jahre im politischen Koma."
Ähnlich sieht die Landeszeitung aus Lüneburg die Schlagkraft der Nato schwinden: "Folgt man der Gipfelrhetorik, bleibt die Nato der zentrale Pfeiler globaler Sicherheit. Doch hinter den diplomatischen Nebelkerzen verbirgt sich eine andere Wahrheit." Kritisch hinterfragt das Blatt, was von den ursprünglichen Gemeinsamkeiten der Bündnispartner übriggeblieben sei. "Jeder nationale Wahlkampf ist geeignet, gemeinsame Entscheidungen auszuhebeln. So setzte Frankreichs neuer Präsident Hollande einen vorzeitigen Quasi-Abzug der Franzosen aus Afghanistan durch, gab damit den Startschuss für einen Abzugs-Wettlauf, der für westliche Soldaten und afghanische Zivilisten große Gefahren birgt."
Die Heilbronner Stimme befasst sich mit dem neuen Großprojekt der Nato, dem Raketenschild: "Wieder sind es amerikanische Überlegungen, die die Nato exekutiert. Ob die teure Technik überhaupt Sinn macht und sich der Streit mit Russland lohnt, darüber lässt sich durchaus streiten." Die Zeitung aus dem Südwesten bemängelt fehlende Selbstkritik: "Skepsis ist nur außerhalb der Allianz erlaubt. Die Debatte findet nicht statt."
Das Hamburger Abendblatt sieht eine Gefahr darin, dass Nato-Entscheidungen Parlamente übergehen: "Mit immer weniger Geld soll mehr militärische Leistung erbracht werden. Zur Erzielung größerer Effizienz knabbert sie nun gar am lästigen Parlamentsvorbehalt der Deutschen. Hier ist für Berlin Obacht geboten. Zwar ist es in manchen Fällen Unsinn, einzelne deutsche Spezialisten aus Nato-Einsätzen abzuziehen, an denen sich die Bundesrepublik nicht beteiligen will. Aber die von den Verfassungsvätern gewollte Mitsprache des Bundestages bei Kriegseinsätzen darf nicht untergraben werden."
Quelle: ntv.de