Pressestimmen

Koma-Saufen "Ein komplett hirnloser Akt"

Das Ergebnis der GEK-Studie ist alarmierend: Immer mehr Jugendliche werden aufgrund einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingewiesen - und greifen danach trotzdem wieder zur Flasche. Helfen strengere Reglementierungen? Die Presse ist sich nicht einig. Fest steht aber, dass die Gesellschaft mehr in die Pflicht genommen werden muss.

Trotz Krankenhausaufenthalten: Es wird weiter gebechert.

Trotz Krankenhausaufenthalten: Es wird weiter gebechert.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Der Trend zum Koma-Trinken, "die neue Geißel der Jugendjahre", kann laut Lüneburger Landeszeitung nicht durch schärfere Gesetze und Kontrollen gebrochen werden: "Saufen bis der Arzt kommt kann als Indiz einer spezifischen Form der Dekadenz begriffen werden, die insbesondere westliche Konsumgesellschaften erfasst hat: Ein überregulierter Alltag mit zahllosen Verboten lässt jungen Menschen kaum Spielraum, um ihre Grenzen auszutesten. Zugleich scheint die Zukunft wenig Chancen für die Nachwachsenden bereitzuhalten. Einer derart reizarmen Umwelt werden entsprechend Veranlagte immer zu entfliehen versuchen. Der Exzess verheißt Freiheit, der Rausch übertönt die innere Leere. Neue Verbote wären scheinheilig. Wen kann ernsthaft überraschen, dass eine Erwachsenengesellschaft, in der Alkohol als Genussdroge akzeptiert ist, Kinder hervorbringt, deren Ausbruchsversuche an Theken enden?"

Auch das Badische Tagblatt sieht in den gesellschaftlichen Strukturen die Wurzeln des Problems: "Besser sein, schneller sein, Ellbogen ausfahren, keine Schwächen zeigen, das ganze Leben ist ein einziger Wettbewerb das bläut die Gesellschaft ihren Kindern Tag für Tag ein. Doch über die Folgen nachdenken möchte man offenbar lieber nicht so genau. Dabei könnte sich ja der Gedanke aufdrängen, dass die erwachsenen Druck-Erhöher (mit-)verantwortlich sind für den jugendlichen Trend zum Vollrausch. Und da hören wir erwachsenen Leistungsträger doch lieber auf nachzudenken, nicht wahr? Dann doch lieber hysterisch nach Verboten rufen, um des Problems Alkohol Herr zu werden. Oder zumindest nach kräftigen Preiserhöhungen. Wenigstens könnten dann nur noch die Reichen saufen. Was ja auch irgendwie folgerichtig wäre in einem Land, das nicht nur zu Leistungsdruck, sondern erwiesenermaßen auch zur sozialen Selektion neigt."

Saufen ist "gesellschaftlich anerkannt", so wie es vor 15 Jahren das Rauchen war. Dort allerdings hat sich ein "massiver Wandel" vollzogen. "Den auch beim Alkohol zu schaffen, muss das Ziel sein", fordert die Allgemeine Zeitung (Mainz), ohne allerdings aus den Deutschen "ein Volk von Abstinenzlern zu machen". Die bereits existierenden Verkaufsverbote gegenüber Jugendlichen "müssen ausgeweitet und vor allem akribisch überwacht werden, desgleichen Alkoholverbote an sensiblen öffentlichen Stellen. Bei Verstößen darf an empfindlichen Bußen kein Weg vorbeiführen. Die Vision von einer weitgehend verbotslosen, völlig eigenverantwortlichen Gesellschaft ist nicht nur dümmlich-naiv, sondern gefährlich."

"Die neue Dimension des Komasaufens muss flankiert werden von Aufklärungskampagnen" so die Heilbronner Stimme. Allerdings müsse vorher klar sein, "weshalb sich junge Menschen mit Alkohol ihren Verstand ausschalten, sich betäuben wollen." Es gehe bei Alkohol-Exzessen nämlich nicht nur darum, "sich Respekt vor Kumpels zu verschaffen", sondern "Leistungsdruck, fehlende Lehrstellen und die Angst vor einer Kündigung spielen gewichtigere Rollen. Es ist der Pessimismus der Gesellschaft, dem die Jugendlichen mit Turbogeschwindigkeit entfliehen wollen. Alkohol ist zur modernen Droge verkommen. In Deutschland wird zu oft zu viel gebechert. Und das ganz legal."

"Man müsste wahrscheinlich selbst ein Jugendlicher sein, um zu erfahren, ob hier getrunken wird, um sich betäuben. Oder ob es darum geht, dem tristen Alltag ein rauschendes Fest entgegen zu halten?" Die Rhein-Neckar-Zeitung (Heidelberg) kommt zu der radikalen Antwort: "Jugendliche saufen um zu saufen. Denn Saufen ist ein komplett hirnloser Akt."

Zusammengestellt von Katja Sembritzki

Quelle: ntv.de

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