Karlsruhe bekräftigt Sonntagsschutz "Ein salomonisches Urteil"
01.12.2009, 20:42 UhrVerkaufsoffene Sonn- und Feiertage sind in Deutschland nur in Ausnahmefällen zulässig. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden und die großzügigen Regeln zur Ladenöffnung im Land Berlin teilweise für verfassungswidrig erklärt. Begründung: Die weitgehenden Regelungen in Berlin stehen mit der Gewährleistung der "Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen" nicht im Einklang .
"Es mag rührend altmodisch sein, richtig ist es trotzdem", begrüßt die Süddeutsche Zeitung das Urteil aus Karlsruhe. Zur Begründung heißt es hier: "Der Sonntag ist dadurch Sonntag, dass er anders ist als andere Tage. Es geht nicht nur um Tradition, um Religion und um eine soziale Errungenschaft. Der Sonntag ist mehr als ein beliebiger freier Tag für jeden Einzelnen. Wäre er nur dies, dann wäre es egal, ob man am Dienstag oder Donnerstag seinen Sonntag feiert. Er ist ein Tag der Synchronisation der Gesellschaft, das macht ihn so wichtig. Ohne Sonntag wäre jeder Tag ein Werktag, dann verschwände ein Fixpunkt der Woche.
Für die Berliner Zeitung ist die Entscheidung "kein Triumph der Kirchen über den säkularen Staat". Für sie ist es vielmehr "ein Sieg des Gemeinsinns über das Nützlichkeitsinteresse und den Arbeitszwang". Das Blatt kommentiert das Urteil des Bundesverfassungsgericht wie folgt: "Zwar knüpfen die Karlsruher Richter an Artikel 139 der Weimarer Reichsverfassung von 1919 an, die vom Grundgesetz 1949 unverändert inkorporiert, also übernommen worden ist: 'Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.' Dieser Artikel schützt auch, aber nicht einmal in erster Linie die sonntägliche Religionsausübung, sondern den Sonntag selbst: 'Die Regelung zielt in der säkularisierten Gesellschafts- und Staatsordnung (...) auch auf die Verfolgung privater Ziele wie die der persönlichen Ruhe, Besinnung, Erholung und Zerstreuung.'"
Für die Kieler Nachrichten ist der Richterspruch aus Karlsruhe "ein wegweisendes Urteil", das vor allem dem gesellschaftlichen Zusammenhalt diene. Das Urteil setze Konsum und Kommerz Grenzen. "Wenn die Läden an allen vier Adventssonntagen öffnen, dann herrscht in der Vorweihnachtszeit nur noch Alltag". Und dies sei "mit dem Grundgesetz nicht vereinbar". Denn: "Nicht nur Gläubige können sich beeinträchtigt fühlen, wenn das geschäftige Treiben auf den Straßen keine Besinnung zulässt. Auch Arbeitnehmer und ihre Familien werden nicht ausreichend geschützt, wenn die Ladenöffnung an Sonntagen nicht Ausnahme bleibt, sondern Regel wird. Der Mensch ist mehr als ein homo oeconomicus. Der Beschäftigte braucht Ruhe, Partner brauchen Zeit, Kinder brauchen Eltern."
Als "ausgesprochen fortschrittlich", deklariert die Rhein-Neckar-Zeitung die Entscheidung der Verfassungsrichter: "Der regierende Berliner Partymeister Klaus Wowereit mag das Karlsruher Ladenschluss-Urteil für verzopft halten. Die Entscheidung, die konkret die Kommerzialisierung aller vier Adventssonntage in der Hauptstadt untersagt, schützt mit der Sonntagsruhe, für deren Missachtung es nur begründete Ausnahmen geben darf, einen kulturellen und sozialen Grundfreiheitsbestand vor Ausbeutung. Dieser Laden einer schleichenden Egalisierung von Werktag und Sonntag im Namen des Fortschritts ist zu". Und dies sei, so das Heidelberger Blatt, alles andere als "unmodern".
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung bescheinigt den Richtern "lebensnah geurteilt" zu haben: "Denn die Vielfältigkeit des Arbeitslebens bringt es mit sich, dass auch die Mitglieder einer einzigen Familie in unterschiedlichste und oft unvereinbare Arbeitszeitkorsette gezwungen werden. Stellt nicht der Staat mit seiner Regelungsmacht sicher, dass es in einem zuverlässigen Rhythmus einen freien Tag gibt und das ist nun mal der Sonntag , dann drohen die Familien in immer höherem Maße zeitlich auseinandergerissen zu werden."
"Natürlich darf die Wirtschaft ihre Ansprüche formulieren", ist im Mannheimer Morgen zu lesen. "Wer sich umschaut, zählt viele Branchen, die auch sonntags arbeiten, nicht zuletzt die Zeitungsverlag. Weil das Grundgesetz aber eine klare Sprache spricht, konnten die Verfassungsrichter nicht anders: 'sonntags selten' anstatt 'sonntags immer öfter'". Herausgekommen sei "ein salomonisches Urteil, das den Interessen des Handels genug Möglichkeiten" eröffne. Und das gleichzeitig verhindere, "dass die gut zu begründende Regel von immer mehr Ausnahmen durchlöchert" werde.
Quelle: ntv.de