Pressestimmen "Ein schwarz-rot-goldenes Meer"
15.07.2014, 23:54 Uhr
Die Nationalmannschaft ist gelandet und von knapp einer halben Millionen Fans am Brandenburger Tor gefeiert worden. Die Fußball-Euphorie über den WM-Sieg scheint allgegenwärtig. Bei den Kommentatoren mischt sich der Jubel allerdings auch mit Nuancen von Kritik. Ein Blick in die Presse.
Die Berliner Morgenpost schreibt verzückt von den grölenden Fans, die Berlins Straßen bevölkern: "Es sind die Bilder, die von Tagen wie diesem bleiben. Der Flug LH 2014, ein riesiger Jumbo der Lufthansa, der über der Stadt schwebt wie ein Raumschiff aus einer anderen Galaxie. Der Schleifen fliegt in einem fast wolkenlosen Himmel, und die Menschen in den Büros an die Fenster holt. Jemand hat 'Football's coming home' von den Lightning Seeds auf Youtube herausgesucht, die perfekte Hymne für solche seltenen Gelegenheiten: Fußball kommt nach Hause. Und dieses Zuhause ist Berlin. (...) Denn es geht hier nicht nur um irgendeine Fußballfete nach einem Turniersieg. Es geht um ein Freudenfest historischen Ausmaßes. Die Zahlenfolge '54, '74, '90 und '14 zeigt uns, wie selten ein Sieg bei Fußball-Weltmeisterschaften ist. Und es reicht ein flüchtiger Blick in die Stadt, um die Euphorie zu erkennen, die der Triumph von Rio de Janeiro ausgelöst hat. Diese Bilder: Berlin von Tegel bis ins Zentrum ein schwarz-rot-goldenes Meer."
Der ebenfalls in Berlin erscheinende Tagesspiegel bettet den heutigen Ausnahmezustand in das tagespolitische Geschehen der Hauptstadt ein und stellt fest: "Berlin war am Dienstag die Hauptstadt der Willkommenskultur. In einer Metropole, die von Flüchtlingen in einer Kreuzberger Schule überfordert ist. In einer sportbegeisterten Stadt, die sich schwertut mit einer Olympia-Bewerbung für 2024. In einem Einwanderungsland, das mit Asyl und Bleiberecht geizt und dessen Bildungspolitik der Internationalität seiner Hochschulen hinterherhinkt. Weltoffenheit ist ein schönes Gefühl. Aber auch ein Versprechen, ein Auftrag, zuallererst für Berlin."
Auch die Zeitung Badische Neueste Nachrichten versuchen im Siegestaumel den Bogen zwischen Tagespolitik und Ausnahmezustand zu schlagen und behauptet selbstbewusst: "Mannschaftskapitän Philipp Lahm und seine Kameraden sind nicht nur hervorragende Fußballer, sondern auch sympathische Repräsentanten Deutschlands, freundlich und sachlich im Auftreten, aber auch effektiv und erfolgreich. Die Mannschaft ist ein Spiegelbild des Landes, sie steht für eine erfolgreiche Integration von hochbegabten Zuwanderern wie für einen harmonischen Mannschaftsgeist, sie braucht keinen dominierenden Superstar, sondern dominiert durch ihre ausgeglichene Stärke. Kein Größenwahn, sondern Größe im Sieg."
Die Welt will in dem Betragen der Spieler eine unverfängliche Art des Jubel-Patriotismus entdeckt haben und schreibt hierzu: "Fußball ist in Deutschland Popkultur und Leute wie Lukas Podolski, Bastian Schweinsteiger oder Jerôme Boateng wie Borat, Elvis und Pharrell Williams. Sie haben ihren Fans auf dem Platz und nun auch auf dem Kunstrasen vor der Quadriga eine Show geboten, die in ihrem am Ende heiligen Unernst kein nationales Pathos aufkommen ließ. Das Image der Deutschen als hart arbeitende, pünktliche Anbeter ihrer Sekundärtugenden wird seit den Tagen der Love-Parade (am selben Ort) ergänzt durch ein Partyprofitum, das junge Menschen global nach Berlin zum Feiern lockt. Es wäre ein Erfolg dieser WM und dieses charmanten Teams, wenn die Kanalisierung patriotischer Wallungen keinerlei Aggressionen gegen andere mehr in sich trägt, sondern vor allem Freude an sich und dem, was man gemeinsam erreichen kann."
Im Norden der Bundesrepublik hingegen macht sich die Lübecker Nachrichten Gedanken über die Zukunft des Bundestrainers und stellt klare Forderungen: "Wer so viel geleistet und erduldet hat, dem ist kaum das Recht zu verwehren, auf dem Höhepunkt des Erfolges abzutreten. Aber wenn Joachim Löw sich nach ein paar Tagen der wohlverdienten Erholung fragt, wie es weitergeht, kann seine Antwort nur lauten: Mit diesen Jungs will ich Europameister werden. Schließlich ist es die von ihm geformte und geprägte Mannschaft, die ab September auf den nächsten Titel hinarbeiten wird. Alle Spieler der recht jungen, aber erfahrenen Truppe bleiben dabei, nur der 36-jährige Miroslav Klose denkt an Abschied. Zudem ist für Löw schlicht kein Nachfolger in Sicht, anders als beim Abgang von Jürgen Klinsmann vor acht Jahren. Damals hat Jogi übernommen - ohne den wir uns die DFB-Elf nicht vorstellen mögen."
Zusammengestellt von Anne Pollmann
Quelle: ntv.de