Pressestimmen

Friedrichs Rücktritt und Koalitionskrise "Ein unsagbar klägliches Bild"

Pressestimmen.jpg

Die Große Koalition ist gerade einmal zwei Monate im Amt - noch keine 100 Tage, die man früher neuen Regierungen für ihre Startphase zubilligte, ohne sie hart anzupacken. Doch die deutschen Tageszeitungen trauen Schwarz-Rot das Kunststück zu, vom Startmodus übergangslos in den Krisenmodus zu schalten.

Der unappetitliche Fall Edathy könnte sich zu einer veritablen Koalitionskrise auswachsen, glaubt die Mittelbayerische Zeitung aus Regensburg. "Ob daraus vielleicht sogar eine schwere Regierungskrise wird, haben maßgeblich die drei Parteichefs in der Hand. Sie wollen in einem Spitzengespräch die Wogen glätten. Vor allem müssen sie das zerstörte Vertrauen wieder herstellen. Einfach wird das nicht."

Die Neue Ruhr/Neue Rhein Zeitung ist gegenüber Ergebnissen der Gespräche zwischen den Großkoalitionären skeptisch. Sie "zanken sich auf nahezu allen relevanten Themengebieten, relativieren Vereinbarungen, die während der Koalitionsverhandlungen getroffen wurden und sind sich lediglich einig bei der üppigen Erhöhung ihrer Bezüge. Der Fall Edathy treibt das Trauerspiel auf die Spitze. Da erwecken Politiker den Eindruck, sie würden glauben, dass sie über dem Gesetz stehen; sie agieren tölpelhaft, intrigieren und klammern sich an Posten. Ein unsagbar klägliches Bild."

Eine drastische Metapher findet der Münchner Merkur: "Das Ganze entwickelt sich immer mehr zum Abszess im Fleisch der Großen Koalition, der chirurgisch entfernt werden muss, weil sonst eine Blutvergiftung die Alltagsgeschäfte lähmen würde. Sollte die Regierung nicht selbst zum Schnitt fähig sein, böte ein Untersuchungsausschuss das passende Instrumentarium. Wo die Stahlnetze aus Solidarität und Loyalität löchrig werden, könnte er womöglich zur Wahrheit vordringen."

Ein Untersuchungsausschuss könnte womöglich mehr helfen als "Gerechtigkeitsvorstellungen wie im Alten Testament […]: Auge um Auge, Zahn um Zahn, Minister um Fraktionsvorsitzenden", schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung. "Das Blut Friedrichs, das die Union vergoss, nachdem die SPD ihn als ihren Tippgeber im Fall Edathy verpfiffen hatte, schreit nach Blut von der anderen Seite: nach dem Oppermanns, den die CSU auch geopfert sehen will, auf dass ihre gequälte Seele wieder Ruhe habe.

Als ein sicheres Zeichen an den Dritten im Bunde, Horst Seehofer, das Empörungsspiel nicht zu weit zu treiben, betrachtet die Berliner Zeitung die ausdrückliche Vertrauenserklärung Merkels für Gabriel. "So lange Merkel und Gabriel sich einig sind, kann der CSU-Chef wenig ausrichten. Deshalb konnte Gabriel so selbstbewusst die Forderung aus der CSU nach einem personellen Opfer der SPD zurückweisen. Dazu kommt, dass er den erzwungenen Rücktritt Friedrichs im Ergebnis zwar als genauso unfair empfindet wie dies in der CSU gesehen wird, er darin jedoch kein Fehlverhalten der Sozialdemokraten erkennt."

Statt Kriegsgeheul empfiehlt der General-Anzeiger aus Bonn der CSU, sich die Causa Edathy nicht in Personenopfern, sondern in Sachwährung bezahlen zu lassen: "In Kompromissen bei der vorzeitigen Rente, beim Mindestlohn, bei Maut und was es sonst noch alles in der ellenlangen Streitliste der Koalition gibt, die gerade mal zwei Monate amtiert. Das Mindeste, was also ansteht, sind neue Koalitionsverhandlungen, die die Schieflage der Ergebnisse korrigieren - zu Lasten der SPD." Das fröhliche Vertrauen der ersten Wochen sei jedoch dahin. "Diese Koalition wird nie wieder die Basis haben, auf der sich Union und SPD im Herbst gefunden hatten."

Zusammengestellt von Anna Veit

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen