Ägypten im Chaos "Es entwickelt sich eine Radikalisierung"
26.07.2013, 21:06 Uhr
Ägyptens gestürzter Präsident Mohammed Mursi wird festgenommen und kommt wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft. Die deutschen Tageszeitungen kommentieren die Chancen der Demokratie in Ägypten sehr kritisch.
Die Frankfurter Rundschau bewertet die neue Militärführung in Ägypten kritisch: "Nie wurde im Ramadan in Kairo so gefeiert wie in diesem Jahr: Die bessere Gesellschaft begießt den Sturz von Präsident Mursi mit viel importiertem Wein. Doch in diesem Fall hat die Feierstimmung einen üblen Beigeschmack." Aber es gehe um mehr, als um die berechtigte Freude darüber, dass Ägypten die Chance zu einem Neuanfang bekommt. "Rache, Hass und Verachtung liegen in der Luft." Die Zeitung kritisiert weiterhin das Handeln der Militärführung: "Statt ihre Rolle als neutrale Institution ernst zu nehmen, bedienen die Generäle die Rachegefühle und den Hass der Mursi-Gegner. Mit Aufrufen zu Massendemonstrationen sorgen sie dafür, dass der Hass erst richtig hochkocht. Sie drängen die Islamisten in die Opferecke. Die radikalen Milizen, von denen so viel die Rede ist - wenn es sie nicht längst gibt, werden sie in diesem Klima sicher gedeihen."
Auch die Westfälischen Nachrichten aus Münster beurteilen das Verhalten der Generäle in Kairo als ein "gefährliches Spiel mit der Macht." Ägypten sei ein tief gespaltenes Land. Man säe Unruhe, Gewalt und Chaos, wenn man die Muslimbrüder in den Untergrund schickt, und die Demokraten von der politischen Teilhabe fernhält. Zur Stabilisierung des Landes und der Wirtschaft würde nur ein friedlicher, politischer Dialog mit allen gesellschaftlichen Gruppen helfen. Davon sei Ägypten aber weit entfernt, der Frühling bleibe vorerst ein Wunschtraum.
Dass es bis zur Demokratie in Ägypten noch ein weiter Weg ist, findet ebenfalls der General-Anzeiger aus Bonn. Es gehe in Ägypten nicht nur um den Konflikt zwischen islamistischen und säkularen Kräften, die Lage sei viel komplizierter. "Was sich jetzt entwickelt, ist eine Radikalisierung. Auch die USA, die der Regierung in Kairo eine Milliarde Euro jährlich überweisen, sind besorgt und setzen die Lieferung von Kampfflugzeugen aus." Aus Sicht des Kommentators zeigt sich dabei "wie schwer es ist, ein Land aus einer nationalistischen Autokratie in eine funktionierende Demokratie zu überführen".
Auch die Braunschweiger Zeitung bezieht Stellung zu den Zuständen in Ägypten. Im Land selbst herrsche eine Stimmung zwischen Zuversicht, Angst und grenzenlosem Unverständnis. "Diejenigen, die heute wieder auf dem Tahrir-Platz stehen, fühlen sich durch das Eingreifen des Militärs bestätigt. Sie haben erneut den Aufstand gewagt - diesmal nicht gegen eine autoritäre Macht-Clique, sondern gegen eine aus ihrer Sicht falsche Entwicklung, die Ägypten isoliert, weil an deren Ende ein islamischer Gottesstaat stehen soll." Wie auch immer es nun in Kairo weitergeht, der Selbsfindungsprozess des Landes müsse wieder einen demokratischen Rahmen erhalten. Ultimaten seien keine Alternative zu Neuwahlen. Außerdem sollten alle Lager berücksichtigt werden, denn "Wählen, bis das vermeintlich richtige Ergebnis feststeht, ist keine Lösung".
Quelle: ntv.de, hla