Hilfe für Athen "Es gibt keine Führung"
22.07.2011, 13:02 UhrDie Euro-Länder haben ein zweites für das hochverschuldete Griechenland beschlossen. Das Paket mit einer Laufzeit bis 2014 sieht Hilfen durch den Euro-Rettungsfonds EFSF und den Internationalen Währungsfonds (IWF) in Höhe von 109 Milliarden Euro vor. Die internationale Presse kommentiert die Einigung als "Chance zur wirksamen Eindämmung" der Euro-Krise. Sie verweist einerseits auf das frische Geld durch den Einstieg der Banken und mahnt andererseits die Führer der Euro-Staaten an, Lehren aus der Krise zu ziehen.
Die Athener Zeitung Ta Nea kommentiert und vergleicht die Ergebnisse des Sondergipfels und die Lage im eigenen Land mit den andauernden Streiks: "Ein erstes großes Fenster zur Hoffnung wurde geöffnet. Die Lösung, die gegeben wurde, ist mutig. (...) Unsere Partner haben uns nicht den Rücken zugedreht in dem Moment, wo wir einen Schritt vor der Zahlungsunfähigkeit waren. Gleichzeitig haben unsere Partner eine klare Nachricht an die Spekulanten geschickt, dass die gemeinsame Währung unterstützt wird, koste es was es wolle; und dass Europa früher oder später seinen Weg für seine wirtschaftliche Vereinigung finden wird." An die Adresse der Griechen gewandt scheibt Ta Nea": "Niemand kann eine Gesellschaft ernst nehmen, die sich selbst ins Bein schießt. Denn genau das macht sie, wenn sie selbst unter anderem durch Streiks die einzige Lokomotive boykottiert, die sie hat: Den Tourismus. Es ist einfach: Damit uns die 'Fremden' retten, müssen wir entscheiden, dass wir gerettet werden wollen."
"Die in Brüssel zusammengekommenen Politiker und Interessengruppenvertreter haben beim EU-Gipfel einen weiteren Schritt in Richtung stärkere Vergemeinschaftung von Schulden, Bonität und Verantwortung in der Euro-Zone sowie der Europäischen Union getan", schreibt die Neue Zürcher Zeitung. "Die Redewendung 'einen Schritt tun' rückt den Vorgang allerdings in ein allzu günstiges Licht. Im Grunde sind die Politiker, mehr oder weniger eng aneinandergeklammert, an einem steilen und glitschigen Abhang ein weiteres Stück nach unten gerutscht. (..) Mit der jüngsten Entwicklung dürfte den Bürgern der EU-Länder klarer werden, in welch vielfältiger Hinsicht die sogenannte europäische Integration und der Euro auf eine Solidarisierung beziehungsweise Sozialisierung des Finanzgebarens, der Lebensweise und der EU-weiten Vermögensverteilung hinauslaufen."
Die konservative Wiener Tageszeitung Die Presse spricht von einem "gescheiterten Experiment": "Die Vorstellung, Frau Merkel, Herr Sarkozy, Herr Faymann und ihre Amtskollegen könnten auf Brüsseler Gipfeln jedes Problem im Alleingang lösen und dabei ihre eigenen Finanzminister ebenso zu Erfüllungsgehilfen machen wie die Europäische Kommission, hat sich als irrig erwiesen. Die Regierungsführer werden ihren Plan, den Europäischen Rat zur alleinigen 'Wirtschaftsregierung' aufzurüsten, begraben müssen. Zehnmal hat man sich in Brüssel bereits mit der Eurokrise befasst; jedes Mal hat man geschworen, alles Mögliche zu tun, um die Stabilität des Euro sicherzustellen; jedes Mal wurde es am Tag danach noch schlimmer. Die europäische Chefpartie dreht Beruhigungspillen, doch sie wirken an den Märkten wie Aufputschmittel."
Die Straßburger Zeitung Dernières Nouvelles d'Alsace (DNA) schreibt zu den Ergebnissen des EU-Krisengipfels: "Lösungen, die in extremis mit der Zange geboren werden, Nachtsitzungen und in letzter Minute erzielte Zugeständnisse gehören zur Geschichte der Europäischen Union. Doch nun ist es an der Zeit, einen höheren Gang einzulegen, um die EU in Zukunft besser zu schützen. Der Weg hin zu einer größeren wirtschaftlichen, fiskalen und politischen Union zeichnet sich ab. Und dieser Weg wird sich sicherlich durchsetzen. Nun sind alle aufgefordert, die Regeln dafür zu verhandeln - und am besten sollten sie das tun, indem sie das allgemeine Interesse aller im Auge behalten."
Sud-Ouest aus dem südfranzösischen Bordeaux fragt sich, ob nach dem EU-Gipfel eine Ausbreitung der Krise in der Euro-Zone vermieden werden kann: "Nun geht es darum, das Risiko einer Ansteckung zu vermeiden - vor allem in den anderen schwachen Staaten der Euro-Zone: Portugal, Spanien und Italien. Denn diese Länder sind eine leichte Beute für Spekulanten. Und die sinistren Ratingagenturen könnten diese mittelmäßigen Schüler mit Freuden noch etwas weiter nach unten ziehen. Genau hier sind von nun an die europäischen Staats- und Regierungschefs in der Pflicht. Wir erwarten von ihnen, dass sie sich künftig nicht mehr damit begnügen, wie sie es gestern getan haben, unter Druck zu handeln und Notsituationen zu entschärfen – bis zur nächsten Krise. Sie müssen nun endlich die Parasiten bekämpfen, das heißt zum einen die Spekulation und zum anderen die (...) Ratingagenturen."
Für Ouest France aus Rennes in der Bretagne steht die EU nach dem Krisengipfel nun an einem entscheidenden Wendepunkt: "Heute, mitten in der Finanzkrise und angesichts nationalistischer Reflexe, die überall in Europa in Gestalt eines populistischen Zorns hochkommen, steht die EU vor einer dramatischen Wahl. Entweder sie verzichtet auf die Integration – und dies ist ein Sprung ins Nichts zum ungünstigen Zeitpunkt. Oder aber sie setzt den europäischen Aufbau fort – und dafür können rein technische oder buchhalterische Entscheidungen nicht genügen. Was die Gipfel in Brüssel brauchen, ist ein Projekt, ein politisches Projekt und nicht eine Sammlung von Krücken. Wenn es das Projekt einer Scheidung ist, wird das eine zügellose Spekulation hervorrufen. Oder aber es gibt das Projekt einer politischen Union. Doch damit diese lebensfähig ist, müssen die politisch Verantwortlichen sie wollen und das auch sagen."
Das sozialdemokratische schwedische Aftonbladet meint, ohne eine neue Stützaktion für Griechenland hätte es eine komplette Katastrophe für den Euro gegeben und blickt dabei vor allem auf die Rolle Deutschlands. "Die wirtschaftlichen Antworten auf die derzeitige Krise (...) hat es längst gegeben. Wirtschaftlich sollte sie zu bewältigen sein. Das Problem ist ein politisches. Es gibt keine Führungskraft. Diejenigen, die damit hätten dienen können, wollen nicht. Gemeint ist Deutschland. Der Gedanke, dass Deutschland am Euro verdient hat und Verantwortung bei der Verhinderung eines Euro-Zusammenbruchs hat, scheint vom Winde verweht zu sein. Die EU-Führer können notwendige Beschlüsse offenbar erst unter dem Galgen fassen. Wie jetzt beim Gipfel."
Die linksliberale ungarische Tageszeitung Nepszabadsag widmet dem Vertrauen in guten Nachrichten. "Obwohl die Gipfelteilnehmer konkrete Angaben erst für später versprechen, haben die Märkte bereits einen Vertrauensvorschuss gewährt. Dass zugleich der Euro erstarkt ist und der als Rettungsvaluta geltende Schweizer Franken schnell schwächer wurde, zeigt, dass die Investoren nach guten Nachrichten gehungert haben und jedes Signal honorieren, das auf Einigung und Stärkung des Euro hinweist. Als passive Teilnehmer und aktive Leidtragende der Krise können auch wir den guten Nachrichten vertrauen."
Zu Schluss noch die Leipziger Volkszeitung. Das Blatt verweist auf den Einfluss der Rating-Agenturen auf die Euro-Krise: "Mit dem Einstieg in die Umschuldung, der Beteiligung privater Gläubiger, die bisher bestens mit den griechischen Staatsanleihen verdienen konnten, und dem frischen Geld ist immerhin ein Anfang gemacht. Ob das aber reichen wird und damit der gordische Knoten durchschlagen worden ist, wird spätestens die nächste Bewertungsrunde der Rating-Agenturen zeigen. Sie sind nach wie vor ein zentraler Schlüssel für den Verlauf der Krise. Was nämlich für Athen gilt, muss auch in Lissabon oder Dublin seine Gültigkeit haben."
Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Peter Poprawa