Pressestimmen

Verfassungsgericht billigt Euro-Rettung Europa bleibt "fragiles Zwischenreich"

Das Bundesverfassungsgericht weist Klagen gegen die Griechenlandhilfe und den Euro-Rettungsschirm ab, koppelt weitere Hilfen aber an eine Genehmigung durch den Haushaltsausschuss des Bundestages. Die Entscheidung des Gerichts sei ein "höchstrichterliches Achselzucken" beziehungsweise im "juristischen Kern (...) depressiv", urteilt die Presse - und das trotz eines Problems gigantischer Dimension. Doch für die Bundeskanzlerin kommt das Urteil zur rechten Zeit.

Der Euro darf gerettet werden. Doch zu welchem Preis?

Der Euro darf gerettet werden. Doch zu welchem Preis?

(Foto: dpa)

"Themen wie eine gemeinsame europäische Wirtschaftsregierung oder eine vergemeinschaftete Finanz- und Etatkontrolle sind mit dem Urteil zwar nicht vom Tisch; wer sie indes verfolgen will, muss über neue europäische Verträge und eine Änderung des Grundgesetzes reden bis hin zu Volksabstimmungen hierüber", kommentiert die Märkische Oderzeitung und kommt zu dem Urteil: "Das scheint bei der verbreiteten Europaskepsis einstweilen und vielleicht auf unabsehbare Zeit wenig realistisch. Weshalb die EU zwar auch künftig mehr sein wird als nur ein loses Staatenbündnis, aber eben auch kein Bundesstaat. 'Europa"' bleibt ein fragiles Zwischenreich."

An die Notwendigkeit der Änderung nationaler Verfassungen glaubt auch der Reutlinger General-Anzeiger: "Früher oder später wird man nicht daran vorbeikommen, über Verfassungsänderungen zu sprechen. Festlegungen wie bei der europäischen Haushaltskoordination oder im 'Pakt für den Euro' vom März dieses Jahres sind nicht mehr zu korrigieren. Weiterer Souveränitätsverzicht ist teilweise erwünscht." Die Entscheidungen auf Gipfeln wie dem G20 berührten stets nationales Recht, ebenfalls sei es keine dauerhafte Lösung, "wenn nach dem Urteil womöglich wieder die Europäische Zentralbank vermehrt gefragt sein wird, die keiner parlamentarischen Kontrolle unterliegt". "Nach der Entscheidung ist vor der Entscheidung."

"Eines lässt sich ganz bestimmt nicht aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts herauslesen -", schreibt die Westdeutsche Zeitung,  "dass die Richter glauben, die Rettungsaktion für schlingernde Euro-Staaten werde sicher funktionieren." Vielmehr komme aus Karlsruhe ein "höchstrichterliches Achselzucken: Es ist nicht unsere Sache, darüber zu entscheiden. Das ist Finanzpolitik, und da sind wir keine Experten". Das Blatt aus Düsseldorf wundert sich: "Sie nehmen sich sehr zurück, die obersten Verfassungsrichter. Ganz anders, als wir es sonst von der selbstbewussten Institution gewohnt sind. Und das angesichts einer wahrhaft atemberaubenden Dimension, die die Angelegenheit hat."

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung beurteilt die Karlsruher Entscheidung im Hinblick auf ihre Bedeutung für Angela Merkel. Für die sei das Urteil zur rechten Zeit gekommen: "Es hilft ihr im Ringen mit den Skeptikern und Gegnern in den eigenen Reihen - die zur bislang größten Belastung, um nicht zu sagen: Bedrohung ihrer Kanzlerschaft werden. Sätzen wie 'Der Euro ist viel mehr als eine gemeinsame Währung' dürften auch jene in der Union zustimmen, die ihr Gewissen bemühen müssen, um ihre abweichende Haltung zu erklären. Doch gleich auf der Ebene darunter beginnt der Streit, wie die Währungsunion zu retten sei und zu welchem Preis. In den Schuldner-, aber auch in den Gläubigerländern werden die politischen Begrenzungen der Rettungsaktionen immer deutlicher. In Berlin blicken nun alle auf die Abstimmung Ende September. Die Kanzlerin aber müsste jetzt schon wissen, dass sie ihren Spielraum weitgehend ausgeschöpft hat."

Die Stuttgarter Zeitung urteilt: "Im juristischen Kern ist das Karlsruher Urteil depressiv. Denn die Richter haben keinen direkten verfassungsrechtlichen Zugang zum größten Problem der Gegenwart gefunden. Deshalb haben sie den größten Teil der Klagen als formal unzulässig abgewiesen. Der 7. September 2011 könnte zu dem Datum werden, an dem nach der Politik, die sich in postdemokratischen Zuständen eingerichtet hat, auch die dritte Gewalt im Staat ihren Anspruch aufgegeben hat, mit dem Recht Sicherheit zu schaffen."

Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Nadin Härtwig

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