Staatskrise in Tunesien "Für Jubel ist es noch zu früh"
14.01.2011, 21:21 UhrNach wochenlangen gewalttätigen Protesten mit Dutzenden Toten tritt Tunesiens Präsident Ben Ali zurück und verlässt das Land. Damit haben die Demonstranten zwar ihr erstes Ziel erreicht, dennoch stehe dem nordafrikanischen Land noch ein schwieriger Weg bevor. Zum Jubel sei es noch zu früh, urteilt auch die Presse. Denn offen bleibe die Frage, wie es weitergeht. Die Menschen trauen den Versprechen der Regierung nicht mehr. Sie wollen nach 23 Jahren knallharter Diktatur endlich mehr als warme Worte, sie wollen einen radikalen Wechsel.
Die Tunesier gehen auf die Straße, weil sie das "korrupte Herrschaftssystem satthaben" und vor allem "die Jugend keine Perspektive mehr sieht", schreibt die Leipziger Volkszeitung. Ob nun der Dampf aus dem Kessel weiche, nachdem Präsident Ben Ali zurückgetreten ist, bleibe abzuwarten, urteilt das Blatt. "Durch die Ausrufung des Ausnahmezustands und hartes Durchgreifen hatte er zuvor die Situation angeheizt. Nicht nur die arabischen Nachbarstaaten blicken besorgt auf Tunis, weil es einen Domino-Effekt geben könnte." Auch Europa könne es nicht egal sein was sich vor seinen Toren politisch abspielt. Es wird Zeit, den Mittelmeer-Dialog zu aktivieren. Aus dem Urlaubsparadies ist ein Pulverfass geworden."
Auch die Mitteldeutsche Zeitung beschäftigt sich mit der Staatskrise in Tunesien und vor allem mit dem Rücktritt des Langzeit-Präsidenten Ben Alis. Zum Jubel sei es noch zu früh, mahnen die Kollegen aus Halle. Denn: Offen bleibe die Frage, wie es weitergeht. "Wird Regierungschef Ghannouchi, der bisher eine Marionette Ben Alis war, und jetzt vorübergehend das Präsidentenamt übernimmt, die schwierige Staatskrise meistern? Eine Übergangsregierung unter Einbindung der Opposition, baldige Neuwahl, Kontrolle der allmächtigen Generäle, demokratische Reformen - das sind riesige Herausforderungen", betont das Blatt. Zumal die Botschaft der tunesischen Protestbewegung auf der Straße unmissverständlich sei: Die Menschen trauen den Versprechen der Regierung nicht mehr. Sie wollen nach 23 Jahren knallharter Diktatur endlich mehr als warme Worte, sie wollen einen radikalen Wechsel.
Alle Versuche des mittlerweile zurückgetretenen Präsidenten Ben Ali, die Lage zu beruhigen, verkehren sich ins Gegenteil, weil sie entlarvend wirken, konstatiert die Märkische Allgemeine. "Etwa, wenn eine Beteiligung der Opposition in Aussicht gestellt wurde, weil das "völlig normal" sei. Die Ankündigung, 300.000 Arbeitsplätze schaffen zu wollen, ist nichts als ein ungedeckter Scheck. Wie auch das Versprechen, die Korruption im Staatsapparat beenden zu wollen." Das Eingeständnis, dass es Korruption gibt, falle auf denjenigen zurück, der den Apparat beherrscht hat, meint das Blatt aus Potsdam und weiter: "Frankreich und die EU insgesamt müssen in diesen Tagen zusehen, wie Tunesien im Chaos versinkt. Den Zeitpunkt für eine Intervention, die zur Befriedung beigetragen hätte, haben sie verpasst."
Nicht wenige Urlauber reiben sich derzeit erstaunt die Auge, schreiben die Lübecker Nachrichten: "Auch, weil gerade Tunesien als ein Hort der Ruhe und der Stabilität galt, wo ein für Nordafrika vergleichsweise hoher Lebensstandard herrscht. Und ein hoher Bildungsgrad: 20 Prozent des Staatshaushaltes wandern in Bildung und Forschung. Aber unter der Oberfläche gärt es. Vor allem viele junge Leute finden keine Arbeit. Und Bildung heißt auch, sich wacher umzuschauen, eher zu erkennen, wenn ein Staatsgebilde sich auf Korruption und Unterdrückung jeglicher abweichender Meinung gründet."
Die Märkische Oderzeitung nimmt sich den Westen vor. Der schaue in Nordafrika weg, "weil strategische Interessen im Spiel" seien, so das Blatt aus Frankfurt/Oder: "Algerien und Libyen verfügen über umfangreiche Öl- und Gasvorkommen. Ägypten wird gebraucht, um den palästinensisch-israelischen Konflikt auf Sparflamme zu halten. Und Tunesien soll als Bollwerk gegen den Islamismus dienen." Doch mittlerweile mache ein Gemisch aus wachsender Perspektivlosigkeit, umfassender Repression und verkrusteten Strukturen den gesamten Maghreb zu einem Pulverfass. "Es ist bezeichnend, dass neben Ben Ali auch Mubarak, Bouteflika und Gaddafi seit vielen Jahren wie Despoten ihre Länder regieren. Wenn überhaupt Wahlen stattfinden, dann werden sie gefälscht. Unlängst geschehen im immer noch hofierten Ägypten."
Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Diana Sierpinski