Ausschreitungen in Ägypten Gewalt erreicht "gefährliche Eigendynamik"
14.08.2013, 20:08 Uhr
Die jüngsten Gewaltausbrüche in Ägyptens Hauptstadt Kairo sorgen weltweit für Entsetzen. Bei der Räumung der Protestlager von Mursi-Anhängern geht die militärgestützte Übergangsregierung mit roher Gewalt vor. Von Hunderten Toten und Tausenden Verletzten ist die Rede. Was die deutschen Tageszeitungen zu den Auseinandersetzungen zwischen Muslimbrüdern und den Einsatzkräften der ägyptischen Regierung schreiben, lesen Sie hier.
Der Kölner Stadt-Anzeiger ist überzeugt, die Muslimbrüder hätten die
Gewaltausbrüche bewusst herbeigeführt, "weil sie auf Mitleid im Land und in der Welt für ihre Märtyrer hoffen. Sie sind damit kein Stück besser als die Soldaten, die offenbar nur eine Sprache kennen: die der Gewalt". Sowohl die Machtclique aus Mubaraks Zeiten als auch die Muslimbrüder stellten Machtansprüche, allerdings hätten Letztere "das Recht auf ihrer Seite, sie wurden demokratisch gewählt". In Köln sieht man das schlimmste Szenario Wirklichkeit werden: "Die Armeeführung sucht nicht den demokratischen Neuanfang, sondern die Macht durch blanke Unterdrückung."
Genauso schätzt auch die Berliner Zeitung die Absichten der Einsatzkräfte ein. In der Brutalität der ägyptischen Polizei und Armee gegen die Anhänger des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi sieht sie "die schlimmsten Befürchtungen" bestätigt: "Mit der Absetzung Mursis verfolgt die Armeeführung unter Verteidigungsminister al-Sisi keineswegs das Ziel, einen demokratischen Neuanfang hinzubekommen. Es geht vielmehr darum, den autoritären Kräften des alten Regimes zur Rückkehr zur Macht zu verhelfen."
Die Welt sieht die Eskalation in Ägypten als unausweichliche Folge des Aufeinandertreffens zwei verfeindeter Lager; das des Militärs auf der einen und das der Muslimbrüder auf der anderen Seite. Nach dem Sturz ihres frei gewählten Präsidenten Mursi fehle den Islamisten eine Gesprächsgrundlage. Das Berliner Blatt meint: "Unter der Herrschaft des Militärs kann der Kampf gegen die aktuellen Verhältnisse nur in der Niederlage enden. Weiser wäre es, das Gespräch zu suchen. Im 'nationalen Dialog' könnten die Islamisten nicht nur einen Bürgerkrieg verhindern, sondern auch einen Teil ihrer Interessen durchfechten." Dazu brauche es allerdings einen Kompromiss. Einige der jüngeren Mitglieder seien weniger radikal als die gegenwärtigen Führer. In dieser Offenheit sieht die Welt eine mögliche Lösung, fragt jedoch auch kritisch: "Sind die Muslimbrüder dazu in der Lage?"
Die Heilbronner Stimme ist sich hingegen sicher: Alle Aussichten, "die Islamisten in den Übergangsprozess einzubeziehen, sind mit dem Blutbad von gestern zerstört. Die Gewalt hat eine gefährliche Eigendynamik erreicht." Laut der Zeitung aus Baden-Württemberg fehle es der Übergangsregierung an "Gelassenheit, die Proteste auszuhalten und die Demonstranten mit der Zeit mürbe zu machen. Mit dem rabiaten Einsatz haucht der Sicherheitsapparat der gescheiterten islamistischen Ideologie nun sogar noch neues Leben ein". Einen politischen Untergrundkampf der Islamisten hält die Zeitung für ausgemacht.
Zusammengestellt von Judith Leipnitz
Quelle: ntv.de