Pressestimmen

Klitschko vs. Janukowitsch "Handeln sollte jetzt auch der Westen"

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Der Protest der ukrainischen Opposition gegen die Regierung Janukowitschs weitet sich aus. Die Polizei geht mit zunehmender Härte gegen die Demonstranten vor. Ganz vorne steht die neue Gallionsfigur des Widerstandes: Vitali Klitschko. Die Presse diskutiert über den Zweikampf zwischen Janukowitsch und Klitschko, ein mögliches Eingreifen des Westens und die politische Zukunft der Ukraine.

Vitali Klitschko mit seinen oppositionellen Verbündeten Arseniy Yatsenyuk (links) und Oleh Tyagnybok (rechts).

Vitali Klitschko mit seinen oppositionellen Verbündeten Arseniy Yatsenyuk (links) und Oleh Tyagnybok (rechts).

(Foto: dpa)

Der Tagesspiegel schreibt: "Hunderttausende gehen auf die Straße, weil sie mehr Europa wollen. In welcher westlichen Hauptstadt ist das derzeit vorstellbar? Die Demonstranten in der Ukraine erinnern uns daran, was Europa im Kern ausmacht: eine auf geteilten Werten gegründete Gemeinschaft freier und demokratischer Staaten." Selbst ein ukrainischer Diplomat verglich die historische Bedeutung des geplanten EU-Abkommens mit dem Fall der Berliner Mauer, so das Blatt weiter. Das war, bevor sich sein Präsident gegen eine Unterzeichnung entschied. "Der Vergleich zeigt in seiner Dramatik, dass die Ukraine vor einer Richtungsentscheidung steht, die mehr bedeutet als Ost oder West, Russland oder Europa."

Die EU hat der Zeitung Die Welt zufolge erst einmal verloren im geopolitischen Spiel, Russland hat gewonnen. "Aber es ist noch nicht aller Tage Abend." Die Zukunft müsse nicht unausweichlich Konfrontation und Nullsummenspiel bedeuten. "Der Westen hat an 'soft power' mehr zu bieten als Putins Russland. Russland aber braucht für seine Modernisierung nicht nur Petrodollar und Absatzmärkte für Sibiriens Rohstoffe, sondern auch Know-how und Austausch vielerlei Art mit der atlantischen Welt. Auftrumpfendes Großrussentum mag den Geschmack der Silowiki vom Geheimdienst bedienen, aber nicht der Mehrheit der Russen gefallen. Der Kalte Krieg ist vorbei, der Weltfriede ist fern." Ein Staatsmann des 19. Jahrhunderts würde, was Russland betrifft, vertraute Muster und Doppeldeutigkeiten ausmachen. Noch ist Osteuropa nicht verloren, urteilt das Blatt abschließend.

Janukowitsch sitzt keineswegs so fest im Sattel, wie westliche Politiker annehmen, meint der Kölner Stadt-Anzeiger. "Noch in Vilnius hieß es in EU-Kreisen, die ukrainische Opposition sei über die Wahl 2015 hinaus chancenlos. Das ist falsch. Die Stunde der Wahrheit bricht jetzt an." Erkannt hat das früh und als Einzige laut der Zeitung Julia Timoschenko, die schon vor Vilnius zu sofortigem Handeln aufrief. Die Empörung über die Gewaltexzesse vom Sonnabend könnte nun der Funke sein, der das revolutionäre Feuer entfacht, so weiter. "Handeln sollte jetzt dringend auch der Westen. Die EU muss die Opposition kraftvoll unterstützen. Das Ziel kann nur heißen: Regimewechsel. Handeln wir nicht, machen wir uns mitschuldig."

Die Stuttgarter Zeitung gibt zu bedenken: "Ob aus dieser Demonstration eine Revolution werden wird, ist freilich völlig offen. Es gibt zumindest gute Gründe, die dagegen sprechen. Der wichtigste: es gibt keinen Plan. Oder besser gesagt: es gibt ganz viele Pläne, die nur sehr bedingt miteinander in Einklang zu bringen sind." Drei parlamentarische Oppositionsparteien marschieren in Kiew gerade Seit an Seit, doch sehr viel mehr Gemeinsamkeiten als die Abneigung gegen die Regierung haben sie nicht, schreibt die Zeitung. Es sei noch nicht einmal klar, wer von ihnen die Führungsrolle übernehmen soll.

Christian Rothenberg von n-tv.de meint: "Für Klitschko hat der Protest noch ein weitere Dimension. Er will Janukowitschs Nachfolger werden. Eins ist dabei jedoch neu für den Boxweltmeister, er agiert in einer ungewohnten Rolle. Denn Herausforderer war er bisher fast nie." Janukowitsch hat schon erkannt, wie gefährlich ihm der Herausforderer werden kann. Ein neues Steuergesetz, das seine Regierung verabschiedete, soll den Widersacher von der Wahl ausschließen, so Rothenberg weiter. "Für den Politiker Klitschko sind die Proteste auf den Straßen von Kiew möglicherweise das ideale Sprungbrett. Sie könnten ihn auf den nächsten Thron führen - mitten hinein in den Marienpalast, den prächtigen Amtssitz des ukrainischen Präsidenten."

Zusammengestellt von Lisa Schwesig

Quelle: ntv.de

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