Vitali Klitschkos ungewohnte Rolle des Herausforderers Dr. Eisenfausts schwerster Kampf
02.12.2013, 14:45 Uhr
Sprachrohr der Protestbewegung in Kiew: Vitali Klitschko.
(Foto: imago stock&people)
Als Sportler hat er alles erreicht. Jetzt plant Vitali Klitschko die Zeit nach dem Karriereende. Der 42-Jährige will Präsident der Ukraine werden. Die Proteste gegen Wiktor Janukowitsch kommen daher nicht ungelegen. Eins ist jedoch neu für Klitschko.
Aus dem Mund vieler würde es nach einer hohlen Phrase klingen. Aber nicht bei Vitali Klitschko. Dies sei sein schwierigster Kampf, sagt er. Ausgerechnet der Mann, der gegen unangenehme Gegner wie Lennox Lewis, Kevin Johnson und Dereck Chisora in den Boxring stieg. Doch in diesen Tagen steht der 42-Jährige nicht im Scheinwerferlicht zwischen den Ringseilen.
Klitschko marschiert gemeinsam mit tausenden Ukrainern durch die Straßen von Kiew. "Die Ukraine für Europa", steht auf seinem Pullover. "Wir müssen jeden im Land mobilisieren und dürfen die Initiative nicht verlieren", ruft er den Menschen zu. Die Demonstranten beklagen, dass ihr Präsident das geplante Assoziierungsabkommen mit der EU scheitern ließ. Auch deshalb wollen sie Wiktor Janukowitsch zu Fall bringen.
Für Klitschko hat der Protest noch ein weitere Dimension. Er will Janukowitschs Nachfolger werden. Eins ist dabei jedoch neu für den Boxweltmeister, er agiert in einer ungewohnten Rolle. Denn Herausforderer war er bisher fast nie.
Nicht nur im Sport, sondern auch in der Politik gelang dem Mann mit dem Spitznamen Dr. Eisenfaust ein schneller Aufstieg. 2006 kandidierte er in Kiew für das Amt des Bürgermeisters und unterlag nur knapp. Vier Jahre später gründete er die neue Partei "Ukraine demokratische Allianz für Reformen", kurz Udar - was übersetzt Schlag heißt. Mit dem bekannten Boxer als Spitzenkandidaten wurde die Udar 2012 drittstärkste Partei im ukrainischen Parlament.
Sport, Pathos und Politik
Und Klitschko, bisher Fraktionschef seiner Partei, will noch weiter nach oben. Im Sommer dieses Jahres gab er bekannt, bei den Wahlen im Jahr 2015 für das Präsidentenamt zu kandidieren. "Wir werden alles tun, um sicherzustellen, dass Präsident Janukowitsch bei der Wahl 2015 k.o. geht", sagt der Politiker Klitschko.

Der ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch mit Kanzlerin Angela Merkel
(Foto: picture alliance / dpa)
Janukowitsch hat schon erkannt, wie gefährlich ihm der Herausforderer werden kann. Ein neues Steuergesetz, das seine Regierung verabschiedete, soll den Widersacher von der Wahl ausschließen. Weil Klitschko seinen ständigen Wohnsitz in Deutschland und nicht in der Ukraine hat, darf er möglicherweise gar nicht kandidieren. "Sie tun alles, um mich zu stoppen. Sie verbreiten Lügen über mich, schlagen unter die Gürtellinie und spielen ständig foul", sagt Klitschko.
Er ist ein zäher Gegner. Dass hat er 2003 im Kampf gegen Lennox Lewis bewiesen. Blutüberströmt, aber unbeeindruckt brachte Klitschko die Boxlegende an den Rand einer Niederlage und war nur durch den Kampfabbruch des Ringrichters zu stoppen. Auch von Janukowitsch lässt er sich nicht einschüchtern: "Das ist mein Heimatland, meine Wurzeln sind hier. Meine Verwandten, mein Großvater, meine Großmutter lieben dieses Land. Meine Mentalität ist ukrainisch, und mein Herz schlägt hier."
Seine Partei Udar gilt als proeuropäisch und liberal. Klitschko will die Ukraine modernisieren und demokratischer machen. Das EU-Assoziierungsabkommen biete die Hoffnung auf Reformen, sagt er und warnt, vor einem Land, das sich immer mehr zu einer Diktatur entwickle. Für ihn ist Janukowitsch ein erpresserischer Präsident, der Verbrechen gegen sein eigenes Volk begeht, Gesetze manipuliert und die Ukraine in einen "wilden Polizeistaat" verwandelt. Dagegen müsse man kämpfen. "Ohne Kampf gibt es keinen Sieg", so lautet ein typischer Klitschko-Satz. Opposition und Populismus liegen manchmal eng beieinander, Sport, Pathos und Politik sowieso.
"Wir werden bis zum Ende stehen"
Um Janukowitsch zu Fall zu bringen, hat er eine Allianz geschmiedet, die Aktionsgruppe des nationalen Widerstands. Dazu zählen neben der Udar die Vaterlands-Partei der ehemaligen Regierungschefin Julia Timoschenko und die rechtspopulistische Partei Swoboda. Als gemeinsamer Kandidat der vereinten Opposition hätte er bei der Präsidentenwahl die besten Chancen. Mit einem Generalstreik will das Bündnis Neuwahlen erzwingen. Klitschko käme das gelegen, er müsste dann nicht mehr bis 2015 warten. Außerdem spielt ihm die Stimmung gegen Janukowitsch in die Karten.
Die Proteste in Kiew sind für Klitschko deshalb so etwas wie ein vorgezogener Wahlkampf. Der Kandidat erhält Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit, was ihm dabei hilft, um sich gegen seinen Widersacher in Stellung zu bringen. Vor einigen Tagen rief er die Blockade einer staatlichen Verwaltung aus, gegen die Anweisung der Polizei forderte er die Demonstranten dazu auf, den Maidan, den Unabhängigkeitsplatz in Kiew, nicht zu räumen. Bis vor die Tore des Präsidentenpalastes hat Klitschko es schon geschafft. Er spielt den Anführer, viel lieber würde er regieren.
Der Politiker Klitschko, der immer häufiger Mantel, Hemd und Krawatte trägt, verhält sich dabei ein bisschen wie ein Boxtrainer. Er fordert Engagement ein und ab und an belohnt er seine Schützlinge mit Lob. "Heute ist die ganze Ukraine gegen die Regierung aufgestanden", sagte der zwei Meter große Hüne in Kiew in ein Megafon und hebt seinen Arm in die Luft, bis die Menschen ihm zujubeln. "Wir werden bis zum Ende stehen."
Der nahtlose Übergang
Sportlich ist Klitschko sowieso längst im Winter seiner Karriere angekommen. "Man muss realistisch bleiben und die biologischen Prozesse im Körper sehen, man wird nicht jünger. Wichtig ist, zum richtigen Zeitpunkt aufzuhören", erklärte er schon vor einem Jahr. Frau Natalia sagte kürzlich, es sei schön, "wenn er aufhören würde". Für Frühjahr 2014 ist noch eine Pflichtverteidigung geplant. Seinem 48. Profikampf werden nicht mehr viele folgen.
Politik und Boxen kommen sich jetzt bereits in die Quere. Sollten sich die Verhältnisse in der Ukraine nicht beruhigen oder gar zuspitzen, so heißt es von seinem Management, dann wird eine Rückkehr in den Ring immer unwahrscheinlicher. Klitschko könne die politische Bühne derzeit nicht verlassen, um sich acht Wochen in einem Trainingscamp auf einen Kampf vorzubereiten.
Es deutet sich also ein nahtloser Übergang ab, der direkt von der ersten in die zweite Karriere führt. Für den Politiker Klitschko sind die Proteste auf den Straßen von Kiew möglicherweise das ideale Sprungbrett. Sie könnten ihn auf den nächsten Thron führen - mitten hinein in den Marienpalast, den prächtigen Amtssitz des ukrainischen Präsidenten. Spätestens dann ist Dr. Eisenfaust, der gefürchtete Linksausleger, endgültig Geschichte.
Quelle: ntv.de