Eskalation im Nahen Osten "In der Geiselhaft der Extremisten"
08.07.2014, 22:22 Uhr
Der Nahe Osten steht vor einem neuen Krieg. Als Reaktion auf Raketenangriffe bombardiert Israels Luftwaffe Gebiete im Gazastreifen. Das israelische Kabinett genehmigt die Einberufung von 40.000 Reservisten. Um den Raketenbeschuss zu unterbinden, schließt das Militär auch eine Bodenoffensive nicht mehr aus. Die Presse diskutiert.
"Die Hamas steht politisch mit dem Rücken an der Wand", kommentiert der Kölner Stadt-Anzeiger und fügt hinzu: "Das macht sie so gefährlich und unberechenbar." Eingeklemmt zwischen zwei ihr feindlich gesinnten Nachbarstaaten, setzte sie wieder auf ihren bewaffneten Flügel, "um von der aussichtslosen Lage abzulenken, in die ganz Gaza dank ihr geraten ist." Ihre Hoffnung, so das Blatt weiter, sei offenbar, "mit der von ihr provozierten israelischen Offensive einen Solidarisierungseffekt unter den Palästinensern im Westjordanland auszulösen". Mit der alten Formel "Ruhe gegen Ruhe" sei der Hamas nicht mehr beizukommen: "Sie haben sehr wenig zu verlieren. Selbst wenn die Hamas geschlagen wird, drohen Gaza ohne eine politische Lösung somalische Verhältnisse."
Die Welt kritisiert die Reaktionen der Weltöffentlichkeit im Vorfeld der Eskalation in Nahost: "Der grausame Rachemord israelischer Extremisten an einem palästinensischen Jugendlichen hat die Welt in moralischen Aufruhr versetzt. Die nicht minder brutale Ermordung dreier israelischer Teenager rührte hingegen nur wenige." Beide Untaten seien, so die Zeitung aus Berlin weiter, zwar gleichermaßen abscheulich, der Umgang mit den Verbrechen unterscheide sich jedoch deutlich: "Die israelische Justiz hat die mutmaßlichen Mörder identifiziert und wird sie nach den Regeln eines Rechtsstaats aburteilen. Hamas-Chef Khaled Maschaal stritt zwar jede Verantwortung seiner Terrororganisation für den Mord an den jungen Israelis ab, erklärte aber, die 'Hände derer, die es getan haben', seien 'gesegnet'. Israel hat ein internes Problem mit gewalttätigen Extremisten, während im Gazastreifen eben solche an der Macht sind."
Der Mannheimer Morgen beleuchtet die Zwickmühle, in der sich der israelische Premierminister befindet: "Mag sein, dass Netanjahu eine Eskalation verhindern wollte. Aber der Druck der Öffentlichkeit auf den Premier war wohl zu stark. Der Premierminister will jetzt nicht als militärischer Zauderer gelten, nur das ändert nichts an folgender Tatsache: Solange das Elend im Gazastreifen so groß bleibt, wird Israel nicht in Frieden leben können. Hass und Rache - die Saat ist aufgegangen und macht beide Seiten blind."
Die Leipziger Volkszeitung vermutet andere Beweggründe hinter dem Handeln Benjamin Netanjahus: "Die Härte und Unverhältnismäßigkeit des Vorgehens legt den Verdacht nahe, dass Netanjahu die Tragödie um die Jugendlichen nicht als Ursache, sondern als Anlass dient. Dafür spricht zum einen seine vehemente Ablehnung der palästinensischen Einheitsregierung von PLO und Hamas, und zum anderen die von rechtsradikalen Siedlern als Schmach empfundene Freilassung palästinensischer Gefangener im Zusammenhang mit der Übergabe von Gilad Schalit an Israel. Der Tod der Jugendlichen bildet die perfekte Begründung, um Hamas und PLO zu diskreditieren sowie die entlassenen Palästinenser erneut festzusetzen."
Die Bild kritisiert die gleichgültige Haltung des Westens zum Nahost-Konflikt: "Raketen aus Gaza hageln auf Israel. Die israelische Luftwaffe fliegt Vergeltungsangriffe. Sätze, die man mit tödlicher Sicherheit fast jedes Jahr schreiben kann. Ein Ritual des Nahen Ostens. Darf uns der Konflikt deswegen gleichgültig werden? Nein!" Dies sei lebensgefährlich und eine Gefahr für den "einzigen demokratischen Verbündeten" des Westens in der Region. Westliche Gleichgültigkeit habe dazu geführt, "dass im Norden Israels die Hisbollah Zehntausende Raketen aufstellen konnte". Israel, so die Zeitung abschließend, ziehe die einzig richtige Schlussfolgerung: "Wer Freunde wie den Westen hat, besorgt sich lieber eine starke Luftwaffe."
Das Denken der Konfliktparteien im Nahen Osten verharre im Jahre 1967 konstatiert die Landeszeitung Lüneburg: "Der Triumph im Sechstagekrieg löste in Israel eine nationalromantisch, religiös gefärbte Stimmung aus, in der die Verwandlung des Heiligen Landes in ein reales Groß-Israel möglich schien. Auf arabisch-palästinensischer Seite galt von da an erst recht die Nation als Krönung des kollektiven Bewusstseins. In der Folge befinden sich Israelis und Palästinenser in der Geiselhaft ihrer Extremisten. Auf der einen Seite geben ultraorthodoxe Siedler die politische Agenda vor, auf der anderen Hamas-Terroristen. In deren Wettbewerb, wer denn der größte nationalistische und religiöse Eiferer ist, wird die Chance auf ein friedliches Nebeneinander zerrieben."
Zusammengestellt von Aljoscha Ilg.
Quelle: ntv.de