Pressestimmen

Offensive in Afghanistan Jetzt ist es Krieg

Deutsche Soldaten bei einem Einsatz nahe Kundus.

Deutsche Soldaten bei einem Einsatz nahe Kundus.

(Foto: REUTERS)

Gemeinsam mit afghanischen Sicherheitskräften hat die Bundeswehr in Nordafghanistan eine Offensive gegen die radikalislamischen Taliban gestartet. An den Kämpfen im Raum Kundus sind rund 300 Bundeswehrsoldaten beteiligt. Die Presse ist sich einig: Nun muss endlich von Krieg gesprochen werden.

Die Landeszeitung aus Lüneburg meint: "Die Bundeswehr kommt in Afghanistan aus der Deckung. Jetzt wünscht man den Politikern der großen Koalition etwas von dem Mut, den die Soldaten brauchen. Trotz Wahlkampf und trotz Umfragemehrheiten gegen den Afghanistaneinsatz muss er als das bezeichnet werden, was er ist: Krieg. Nach acht Jahren muss die propagandistische Nebelwerferei aufhören. Die Bundesregierung hat nicht einem bewaffneten THW den Marschbefehl gegeben. Die Bundeswehr ist nicht zum Brücken und Schulen bauen entsandt worden, sondern um einen Gegner zu stellen, der dem Westen den Krieg erklärt hat. Farbe zu bekennen gebietet die Fairness gegenüber den eigenen Soldaten und der Respekt gegenüber Wählern sowie den Werten, für die Soldaten am Hindukusch den Kopf hinhalten. Zeit für die Bundesregierung, aus der Deckung kommen."

Die Märkische Oderzeitung sieht die Truppen in Afghanistan in einer Zwangslage, wenn sie schreibt: " Dass jetzt die Bundeswehr in Nordafghanistan ihre bisher größte Offensive gegen radikal-islamische Taliban startet, kommt für viele Wahlkampfstrategen zur Unzeit. Doch müssen sich die Parteien ­ voran die der Großen Koalition ­ fragen lassen, warum die Truppen nicht schon früher mit einem robusteren Mandat ausgestattet wurden. Angesichts der zunehmenden Angriffe der Taliban seit 2008 war es nur eine Zeitfrage, bis man sich von der bisherigen Strategie ­ sich nur bei unmittelbarem Angriff zur Wehr zu setzen ­ verabschieden musste. Spätestens seit es den Taliban im Süden Afghanistans mehrfach gelungen ist, wichtige NATO-Nachschubrouten zu blockieren, ist der Norden strategisch immer wichtiger geworden. Ein verantwortungsloser Abbau von Polizeikräften durch Kabul tat sein Übriges. Will man jedoch die erreichte Stabilisierung der Region, die auch erste wirtschaftliche Blüten trägt, nicht wieder preisgeben, war diese Offensive wohl unvermeidlich."

Ähnlich sieht das der General-Anzeiger aus Bonn " Die Deutschen liefern sich aktuell heftige Gefechte mit Kämpfern der Taliban, die die verblendeten Religionskrieger an die Front schicken. Erstmals setzt die Bundeswehr dabei auch schwere Waffen ein. Ob Krieg oder Kampfeinsatz ist in solchen Momenten Semantik. Die Soldaten setzen ihr Leben aufs Spiel, damit die Afghanen in 30 Tagen halbwegs sicher frei wählen können. Und sie kämpfen auch darum, die Taliban aus Kundus zu vertreiben. Je früher, desto besser. Denn irgendwann muss die afghanische Armee diesen Job alleine können - nach Abzug der Bundeswehr aus einem Land mit ungewisser Zukunft."

Der Wiesbadener Kurrier blickt zurück in die Geschichte: " Es ist der erste Großangriff deutscher Soldaten seit der Ardennen-Offensive 1944. Die war bekanntlich kurz, verlustreich und ging verloren. Am Hindukusch hofft man immerhin noch auf einen Erfolg über die Taliban, aber man richtet sich auf eine längere Kampfzeit ein. Die Zäsur ist für die Bundeswehr jedenfalls größer, als die Generalität und der Verteidigungsminister es der Bevölkerung eingestehen wollen. Zum ersten Mal werden schwere Waffen wie der Schützenpanzer Marder eingesetzt, finden verbundene Luft-Boden- Angriffe gegen massierte Widerstandszellen statt. Keine neue Qualität? Wenn das kein Krieg ist, sollten wir den Begriff aus dem Vokabular streichen."

Die Tageszeitung aus Berlin nimmt Verteidigungsminister Jung ins Visier: " Die Bundeswehr kämpft jetzt. Sie tötet Gegner im Bodengefecht. Ihre Soldaten schießen - versehentlich - auf Zivilisten. Und was macht der deutsche Verteidigungsminister? Franz Josef Jung widmet seine Pressekonferenz den schönen Dingen des Ministerlebens: dem Ordenverteilen und Kasernenbesuchen zum Beispiel. Auf die Ereignisse im Norden Afghanistans geht er nur ungern ein. Oft genug hat Jung im Namen der Soldaten geklagt, dass die Öffentlichkeit deren Lage nicht ernst nehme. Dabei gibt er selbst den fröhlichen hessischen Winzer, der er ja auch ist. Ein paar Fakten zum Beispiel wären dienlicher."

Auch die Lübecker Nachrichten befassen sich mit Jung: " Wenn die Lage nicht so ernst wäre, könnte man schon fast Spaß daran haben, Verteidigungsminister Jung dabei zu beobachten, wie er seine verbalen Pirouetten dreht. Krieg? Nein, dieses böse Wort ist ihm selbst gestern nicht über die Lippen gekommen, während seine Leute auf Feldzug in Nordafghanistan sind. Stattdessen redet Jung viel lieber von Stabilisierungseinsatz, Feindkontakt oder Unterstützungsmission. Dass zahlreiche Lebensversicherer sich inzwischen weigern, die Todesfall-Prämie an Angehörige von gefallenen Bundeswehrsoldaten zu zahlen, weil für die der Kriegs- und damit der Ausschlussfall auf der Hand liegt, ärgert Minister Jung zwar, stößt ihn aber nicht um."

Der Westfälische Anzeiger wird ebenfalls sehr deutlich: " Die trotzige Beharrlichkeit, mit der Verteidigungsminister Jung das Reizwort Krieg vermeidet, kann die Realitäten der Herausforderung in Afghanistan auf Dauer nicht mehr verschleiern. Aus anfangs noch vereinzelten Anschlägen ist eine flächendeckende militärische Herausforderung geworden, in der vermeintliche Sicherheits-Reservate längst nicht mehr existieren. Gestern noch Awacs-Maschinen zur Luftaufklärung, heute Panzer und Mörser: Die neue Offensive kennzeichnet auch eine neue Dimension. Vor diesem Hintergrund wird jede sprachliche Defensive schlicht zur Lüge."

Quelle: ntv.de

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