Gedenkfeier für Opfer der Neonazi-Mordserie "Merkel trifft den richtigen Ton"
23.02.2012, 19:51 UhrBewegend, ehrlich, mitfühlend und ohne Pathos: Angela Merkel wählt auf der Gedenkveranstaltung für die Opfer der Neonazi-Mordserie die richtigen Worte. Damit wird ihnen endlich die angemessene Aufmerksamkeit zuteil. Doch wenig ist von der Bundeskanzlerin zu hören, welche Konsequenzen jetzt gezogen werden. Auf Worte müssen Taten folgen, zu einem realen Gefühl der Zusammengehörigkeit ist es noch ein weiter Weg.
"Den Angehörigen der Opfer einer rechtsradikalen Terrorzelle (wird) jene Aufmerksamkeit zuteil, die ihnen jahrelang versagt blieb", konstatieren die Kieler Nachrichten. Angela Merkel habe dabei auf der Gedenkveranstaltung den "richtigen Ton" getroffen, "als sie erklärte, die Familien stünden mit ihrer Trauer nicht allein". Für das Blatt aus Schleswig-Holstein sei das "Versprechen und Ermahnung der Bürger zugleich. Sich zu empören über diejenigen, die einen Schlussstrich unter die Geschichte des Nationalsozialismus ziehen wollen, ausländerfeindliche Parolen als verachtend zu entlarven: Dies darf nicht der Politik allein überlassen werden." Es sei eine demokratische Tugend, "klar und eindeutig Farbe zu bekennen", und sie "mit wachsendem Abstand zur Katastrophe des Zweiten Weltkrieges" nicht verblassen zu lassen. Denn, so resümiert die Zeitung, "Gleichgültigkeit ist Gift für die freiheitliche Gesellschaft. Sie ist der Nährboden, auf dem Rechtsradikalismus gedeiht."
Ähnlich urteilt auch der Mannheimer Morgen über die Worte der Bundeskanzlerin: " Es war der notwendige und längst überfällige Versuch einer Wiedergutmachung. Bundeskanzlerin Angela Merkel fand bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer der Neonazi-Mordserie mit ihrer Bitte um Entschuldigung die angemessenen Worte. Worte, die dazu beitragen sollen, die Verletzungen, die die jahrelangen Verdächtigungen bei den Angehörigen ausgelöst hatten, zu heilen."
Der General-Anzeiger meint indes, dass "das Leid, einen Angehörigen verloren zu haben", durch die Gedenkveranstaltung kaum gelindert werden könne. "Wohl aber kann sie ermöglichen, dass sich Politiker, Ermittler und Angehörige wieder in die Augen sehen können. Und das war allerhöchste Zeit."
Auch die Nordwest-Zeitung zollt der Bundeskanzlerin Anerkennung für ihre Worte: Ihr sei "zu danken, dass kein falsches Pathos diese Gedenkstunde dominiert. Angela Merkel vermittelt mit ihrer nachdenklichen Rede eine tiefe menschliche Anteilnahme an dem Schicksal der Opfer und deren Angehörigen." Nun bleibe zu hoffen, dass Merkels Rede ihre Wirkung nicht verfehle "bei den vielen türkischen Politikern, Diplomaten und Medien, die die Berliner Veranstaltung verfolgten. Doch auch Opfer-Angehörige setzen viele Zeichen an diesem Tag. Dass der Vater eines Ermordeten für Mitgefühl und Hilfe dankt, ist eine starke Geste. Ebenso wie der Appell zweier junger Frauen zu mehr Gemeinsamkeit aller in Deutschland."
Angela Merkel habe jedoch so gut wie nichts zu den Konsequenzen gesagt, die nun gezogen werden müssten, bemängelt Der Tagesspiegel. "Von zwei Untersuchungsausschüssen sprach sie, als ob das jahrelange Versagen staatlicher Behörden damit aufzuarbeiten wäre. Kein Verfassungsschützer, kein Polizist, kein Minister hat seinen Hut genommen. Selbst für das widersinnige Nebeneinander von 17 Verfassungsschutzämtern werden schon wieder Gründe gefunden. Und nicht zu vergessen: Die meisten Todesopfer rechter Gewalt sind bis heute nicht einmal als solche anerkannt. Geschweige denn, dass die demokratischen Parteien ihre Strukturen in den Regionen stärken, wo rechtes Gedankengut tief in die Gesellschaft einzusickern droht. Zwölf Kerzen standen da, eine davon für die Hoffnung. Sie dürfen nicht heute schon vergessen sein", mahnt die Zeitung aus der Hauptstadt.
"Aufarbeitung ist der nächste Schritt - und dabei müssen nicht nur Gerichte die Schuld der Täter klären", meint die Stuttgarter Zeitung. Dabei müsse es auch "um die Frage der politisch Verantwortlichen" gehen. Denn "es führt in die Irre, wenn die Kanzlerin vom zeitweiligen Scheitern spricht. Denn wir haben es mit dem offenkundigen strukturellen Versagen der Sicherheitsbehörden zu tun. Wer das in der Zukunft verhindern will, muss die Scheu vor der Fehlersuche überwinden. Der Wert demokratischer Instrumente wie Kommissionen und Untersuchungsausschüsse wird sich daran bemessen, welche Konsequenzen folgen."
Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Julia Kreutziger