Pressestimmen

Massaker oder Tragödie in Ägypten? "Obskure Kräfte schaffen Angst"

Was genau in Ägypten passiert ist, das wird wohl niemals vollständig aufgeklärt werden. Doch auf die Frage hin, wem dieser Angriff nützen könnte, drängt sich vor allem eine Antwort auf: einer Militärregierung, die ihre Macht legitimiert sehen möchte. Die arabische Revolution ist noch lange nicht vollendet.

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(Foto: dpa)

"Jenseits aller Erklärungsversuche, Gerüchte und Halbwahrheiten um 'Kräfte des alten Regimes', bezahlte Schlägerbanden und eine untätige Polizei steht aber eines fest: Der Sicherheitsapparat hat kläglich versagt; die Polizei ist seit Monaten nicht mehr präsent oder schaut weg - das Spiel in Port Said war ein Gewalt-Klassiker, die Anhänger beider Lager sind für ihre Aggressivität bekannt", kommentiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung. "So fällt es dem Militär leicht, die Gewalt für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Und hat nicht der Innenminister erst vor kurzem gefordert, im Namen der Stabilität den Ausnahmezustand, der gerade gelockert worden war, wieder über das Land zu verhängen? Doch lange wird es nicht gutgehen, den Ägyptern bloß die Wahl zwischen einem Sicherheitsvakuum und einem Polizeistaat zu lassen.

Der Mannheimer Morgen spricht dem Militär zumindest eine Teilschuld zu: "Generell hält sich die Armee inzwischen gerne heraus, wenn es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt - ob auf dem Tahrir-Platz oder bei religiösen Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Christen. Die Propaganda lautet: Nur das Militär kann die Anarchie verhindern. So verschafft man sich die Legitimation für den eigenen Machterhalt. Ob nun Schlägertrupps oder Anhänger des alten Mubarak-Regimes - es ist bestimmt kein Zufall, dass die Ultras des Kairoer Teams Al-Ahli zum Ziel der tödlichen Angriffe wurden. Denn diese sind glühende Anhänger der Revolution. Das dürfte ihnen jetzt zum Verhängnis geworden sein."

"Mindestens 74 Tote am Rande eines Fußballspiels! Dass es sich um Opfer eines spontanen Gewaltausbruchs handelt, glaubt in Ägypten niemand. Fußball ist in Ägypten ein Politicum, nicht erst seit vorgestern." Für die Berliner Zeitung passt das zur aktuellen Lage: "Wie auch bei den Pogromen gegen die christliche Minderheit der Kopten versuchten obskure Kräfte, Angst vor Chaos zu schaffen, um den Ruf nach einer starken Hand zu mehren. Die starke Hand aber ist die Armee, die die Macht von Mubarak übernommen hat und sie nicht abgeben will."

Für die Rhein-Neckar-Zeitung beweist die Tragödie von Port Said vor allen eines: "(...) dass der arabische Frühling noch lange nicht abgeschlossen ist". In Ägypten nicht, erst recht nicht in Libyen; am ehesten dürfte er in Tunesien zu einem glücklichen Ende finden." Das Blatt aus Heidelberg schaut zurück auf die Aufstände: "Das, was vor einem Jahr mit Massenaufständen begann, war in erster Linie der Protest der Aussichtslosen, derjenigen, denen der Staat eine auch nur halbwegs materiell gesicherte Zukunft verweigerte. Der Aufstand gegen die Unterdrücker erfolgte weniger aus ideologischen, denn aus ganz praktischen Gründen. Nicht nur die Machthaber in Kairo werden versuchen, das Rad der Geschichte wieder zu ihren Gunsten zurückzudrehen. Dass sie dabei womöglich vor Mord und Totschlag nicht zurückschrecken - dieser Verdacht drängt sich nun auf."

"Tragödie oder Massaker?" Eine vollständige Aufklärung des Blutbades von Port Said erwartet die Landeszeitung nicht. Doch bei der Einordnung helfe die Frage: "Wem nützt es? Zwar hatte die Militärregierung nach Husni Mubaraks Sturz angekündigt, sich aus dem politischen Leben zurückziehen zu wollen, sobald Parlaments- und Präsidentschaftswahlen abgehalten wurden. Doch seitdem verschleppen die Generäle den Umbau des politischen Systems. Aus gutem Grund, fürchten sie doch, sich für ihre Rolle im System Mubarak verantworten zu müssen." Das Fazit des Blattes aus Lüneburg reiht sich an das der anderen Zeitungen ein: "Blutbäder könnten ambitionierten Generälen dazu dienen, das Schreckgespenst des drohenden Chaos zu nähren, um den Ruf nach einer Militärjunta zu legitimieren."

Quelle: ntv.de, zusammengstellt von Nadin Härtwig

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