Italien nach der Vertrauensfrage "Operette ist dagegen seriös"
14.12.2010, 19:46 Uhr
Nach der Abstimmung kommt es in Rom und anderen Städten zu gewalttätigen Protesten.
(Foto: AP)
Grotesk sei der , findet die Presse. Doch sie fürchtet noch mehr die Folgen: Italien ist gespalten, die Institutionen desavouiert, ein ernsthafter Nachfolger nicht in Sicht. Und sind die anderen europäischen Staaten wirklich viel besser?
"Die Causa Silvio Berlusconi nimmt immer groteskere Züge an", schreibt die Pforzheimer Zeitung. Der politische Überlebenskünstler habe eigentlich längst abgewirtschaftet. Doch Italien werde das Stehaufmännchen nicht los. "Fakt ist: Das Land steht vor einem Scherbenhaufen. Krawalle im und außerhalb des Parlaments zeigen: Es ist tief gespalten", heißt es weiter. "Angesichts des knappen Votums im Abgeordnetenhaus glaubt kaum jemand, dass die Regierung so auf Dauer weiter agieren wird können. Eine stabile Mehrheit, die Italien aus seiner maroden Finanzlage führen könnte, sieht anders aus."
Über den Politiker Berlusconi schreibt der Tagesspiegel aus Berlin: "Berlusconi entwaffnet Kritiker, Analytiker, Politiker. Die Panzerechse entzieht sich jedem rationalen Diskurs. Sie bedient Gefühle, die nicht greifbar sind, sie spielt mit dem kollektiven Unbewussten: Großmannssucht, Egomanie, sexuelle Großspurigkeit. Spätrömische Dekadenz ist nichts dagegen." Vielleicht aber habe die unbegreifliche Toleranz von Berlusconis Landsleuten auch damit zu tun, dass sie in der jüngeren Geschichte von ihrer classe politica kaum je etwas anderes gewohnt waren, heißt es weiter. Zwar hätten die Andreottis und Craxis ihre politischen Geschäfte nicht so exzessiv betrieben, aber die Politik schon immer als Selbstbedienungsladen verstanden – das, schreibt der Kommentator, "wussten seit jeher alle Italiener, bevor es durch die Revolte der Antikorruptionsbewegung mani pulite 1991 aktenkundig wurde".
Langzeitschäden befürchtet die Stuttgarter Zeitung für Italien. Zwar sei es Zeit, dass Berlusconi geht, aber "es wird noch lange dauern, bis die von ihm zu Tode geschmähten staatlichen Institutionen wieder etwas wert sind, bis die Italiener Vertrauen in sie fassen, bis sie durch eigenen Beitrag dem Recht, dem Gesetz und der Demokratie wieder Geltung verschaffen und sich endlich von jenem Medienpopulismus emanzipieren, mit dem Berlusconi sie eingelullt hat." Für den Wiederaufbau bräuchte es ein gemeinsames Ziel, heißt es abschließend. "Aber Italien, so scheint es, weiß nicht einmal mehr, was es sich wünschen soll."
Doch auch wenn Berlusconi abtritt, befürchtet die Ostsee-Zeitung, dass es keine Nachfolger gebe: "Ernsthafte Nachfolger sind weder auf der Rechten noch auf der Linken in Sicht. Der Cavaliere hinterlässt ein 'Pappmaschee-Imperium', wie Antonio Di Pietro, Chef der Partei Italia dei Valori (Italien der Werte) gestern sagte. Ein Land aus wackligen Kulissen - Operette ist dagegen seriös."
Die Frankfurter Rundschau fordert allerdings dazu auf, sich an die eigene Nase zu fassen, wenn sie schreibt: "Doch bevor wir uns als ach so vorbildliche Europäer wünschen, Italien mit einer möglichst hohen Mauer zu umgeben und, sagen wir, die nächsten hundert Jahre sich selbst zu überlassen, wäre zu überlegen, ob wir hier nicht die Verfallsform einer Demokratie beobachten, von der andere Länder nicht etwa prinzipiell, sondern nur noch graduell entfernt sind." Nicht nur das europäische Musterland Frankreich unter Nicolas Sarkozy werde dem italienischen Vorbild immer ähnlicher, heißt es weiter, sondern "in ganz Europa schreiten die Entpolitisierung und Boulevardisierung des Politischen voran."
Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Markus Lippold