Einigung auf Bankenaufsicht "Risiko läge beim Steuerzahler"
13.12.2012, 18:58 Uhr
Die Europäische Zentralbank wird künftig zur Aufsichtszentrale.
(Foto: dpa)
Überraschung, Lob und Kritik: Die Reaktionen auf die Einigung der europäischen Finanzminister auf eine Bankenaufsicht sind vielfältig. Vertreter großer Banken befürworten das Konzept, die Sparkassen und Volksbanken kritisieren es. Die Presse blickt vor allem mit Verwunderung nach Brüssel - wegen des seltenen Falls von Einigkeit der Europäer.
Die Stuttgarter Zeitung lobt die Einführung einer Bankenaufsicht als überfällig: "Ungehindert tätigten die Banken über unkontrollierte Tochterfirmen etwa in Irland mehr als dubiose Geschäfte. Dies ist künftig ein Fall für Europa: Den großen, grenzüberschreitend tätigen Instituten wird in Gestalt der Europäischen Zentralbank eine grenzüberschreitende Aufsichtsbehörde mit uneingeschränkten Kontrollrechten vorgesetzt - endlich! Mindestens genauso wichtig wie das Verhindern neuer Milliardenlöcher ist die Frage, wie diese gestopft werden, sollten sie sich doch auftun. Bis jetzt ist dafür nur der Rettungsschirm vorgesehen, für den bekanntlich Europas Bürger bürgen. Notreserven, welche die Geldbranche selbst bereitstellen, tun not."
Die Lübecker Nachrichten kritisieren, dass die Bankenaufsicht ausgerechnet der Kontrolle der EZB unterliegt: "Dass die Bankenaufsicht ausgerechnet bei der Europäischen Zentralbank angesiedelt ist, die bereits eine Billion frisch gedruckte Euro in den angeschlagenen Bankensektor gepumpt hat, ist fast so, als ob ein Drogenabhängiger eine Entzugsklinik leiten soll. Denn die Bankenaufsicht ist für die kriselnden Südländer nichts anderes als ein willkommener Türöffner zu neuen Geldschränken. Künftig könnten nämlich ihre maroden Banken direkt Finanzspritzen aus dem Rettungsfonds ESM erhalten." Leidtragender sei dem Blatt zufolge der europäische Steuerzahler: "Das Risiko läge bei den Steuerzahlern aller Euro-Länder - ganz vorn die Deutschen, die für 190 Milliarden Euro im ESM-Topf haften."
Auch die Ulmer Südwest Presse sieht die Übertragung der Bankenkontrolle an die EZB kritisch. "Die europäische Kontrollinstanz ist ein Muss. Musste sie der EZB übertragen werden? Die Frage berührt den Kern des Ganzen, die politische Unabhängigkeit der Zentralbank. Die Vertreter der reinen Lehre sehen sich jetzt bestätigt, dass die EU auf diesem fatalen Weg ein Stück weiter voranschreitet. Sie haben aber keine Antwort darauf, wer anstelle der EZB einen kompetenten und großen Kontrollapparat aufbauen könnte - und dies auch noch in absehbarer Zeit."
Die Frankfurter Rundschau hingegen sieht die EU mit ihrer Entscheidung auf dem Weg zu einer funktionsfähigen Wirtschaftsunion. "Mit dem Rettungsschirm für Staaten und Banken, der Bankenunion sowie dem Versprechen von EZB-Chef Mario Draghi, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen aufzukaufen, nähert sich Euroland einem Gebilde, das funktionieren kann, einer Währungsunion samt Wirtschaftsunion", schreibt die Zeitung. Was noch fehle, sei der Ausgleichsmechanismus zwischen prosperierenden und schwächelnden Ländern sowie etwas Steuerhoheit für die europäische Ebene. "Noch viel wichtiger aber ist die demokratische Fundierung auf europäischer Ebene, damit das Europäische Parlament Entscheidungen beeinflussen kann und nicht alle Macht bei Regierungschefs in Hinterzimmern liegt. Gehen die Staaten Eurolands auf diesem Weg weiter, tritt ein, was außer Altkanzler Helmut Kohl nur wenige für möglich gehalten haben: Dass die Währungsunion eines Tages in der politische Union mündet. Heute wissen wir: münden muss."
Ähnlich sieht es der Kölner Stadt-Anzeiger: "Pech für alle Spekulanten, die noch auf den Zusammenbruch der Europäischen Währungsunion wetten. Pech auch für alle D-Mark-Romantiker, die davon träumen, sie bekämen unter Krisenschmerzen wohl, aber immerhin, ihre geliebte D-Mark in Kürze zurück. Mit dem Beschluss zur Bankenunion ändert sich die Architektur der Währungsunion signifikant, wird aus dem wackeligen Gebäude ein recht stabiles."
Das Düsseldorfer Handelsblatt zeigt sich von der Einigung auf europäischer Ebene überrascht: "Umso bemerkenswerter ist es, in welch atemberaubendem Tempo sich die Staatengemeinschaft auf eine gemeinsame Bankenaufsicht verständigt hat. Vom ersten Grundsatzbeschluss der Regierungschefs Ende Juni bis zum Abschluss im EU-Finanzministerrat gestern früh vergingen noch nicht einmal sechs Monate. Die Schnecke EU hat sich plötzlich in eine Gazelle verwandelt."
Weniger bedeutend betrachten es die Westfälischen Nachrichten: "Mit dem Deal beim Bankensektor haben sich die Euro-Strategen ein wenig Luft verschafft - die Weichen bis 2014 sind gestellt. Mehr aber auch nicht: Erst dann - nach den Europawahlen - wollen sich die Euro-Staaten zu einer gemeinsamen Wirtschafts- und Fiskalpolitik aufraffen - samt einem gemeinsamen Haushalt. Das riecht nach reichlich Sprengstoff, der nun aber zumindest für zwei Jahre sicher und ohne Explosionsgefahr auf dem Nebengleis lagert."
Die Badische Zeitung aus Freiburg sieht in der Einigung auf eine Bankenaufsicht auch eine erfreuliche Abkehr von der Eurozone nach deutschen Vorstellungen: "Man kann natürlich praktische Gründe dafür finden, nicht alle 6000 Banken Europas einer Mammutbehörde zu unterstellen. Aber es ist schon auffällig, wie die Deutschen, die immer von Gemeinsamkeit reden und klare, scharfe Regeln wollen, von diesen Prinzipien abweichen, wenn es den eigenen Interessen dient. Angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse in Euroland setzt sich das Gespann Merkel/Schäuble regelmäßig durch. Aber ob eine Eurozone ganz nach deutschem Muster tatsächlich perfekt gerät?"
Quelle: ntv.de