Pressestimmen

Aufmarsch gegen Putin "Russland wird Polizeistaat"

Das ist deutlich.

Das ist deutlich.

(Foto: dpa)

Mit dem Ruf "Russland wird frei sein" bieten zehntausende Menschen Präsident Putin die Stirn. Die Demonstranten strömen in Scharen in die Moskauer Innenstadt zur ersten großen Protestkundgebung seit Putins Rückkehr in den Kreml. Wie schätzen die deutschen Tageszeitungen die Entwicklung ein?

Das Offenburger Tageblatt schreibt: "Mit seiner dubiosen Wiederwahl zum Präsidenten, der in einer Nacht-und-Nebel-Aktion beschlossenen Verschärfung des Versammlungsrechts und der Verhaftung führender Oppositioneller hat Putin sein despotisches Gesicht gezeigt. Im Internet lassen sich die brutalen Polizeiaktionen in bewegten Bildern bestaunen. Früher zu Sowjetzeiten hätte davon niemand etwas mitbekommen. Heute beinhalten Handy-Filme und Twittermeldungen den Brandbeschleuniger für revolutionäre Bewegungen. Im arabischen Frühling wirkte das Internet tatsächlich wie ein Katalysator. Die Aufständischen schickten selbst fest im Sattel sitzende Machthaber in die Wüste, weil sie von Demokratie nichts wissen wollten. Putin ist schlauer, er wird reagieren - und zwar mit demokratischen Reformen, um die Macht zu sichern."

Die Stuttgarter Zeitung meint: "Man darf das, was da in Moskau geschieht, nicht zu hoch hängen. Es sind nur ein paar Tausend Menschen gewesen, die gestern zum sogenannten Marsch der Millionen gekommen sind. Und das auch nur in Moskau, der mit weitem Abstand präsidentenkritischsten Stadt im Riesenreich. Auf dem Land kann sich Wladimir Putin einer Mehrheit nach wie vor sicher sein - ganz ohne Manipulationen. Man darf das Ganze aber auch nicht auf die leichte Schulter nehmen. Das Heer der Unzufriedenen in Russland wächst beständig, und beständig setzt die Regierung lieber auf Repressionen denn auf Reformen. Das lässt für die Zukunft Schlimmes befürchten."

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Das Hamburger Abendblatt analysiert: "Putin gibt nicht nur den starken Mann, sondern er will auch der Welt das Bild von einem starken und einigen Russland vermitteln. Das größte Problem ist, dass er auch in seiner dritten Amtszeit keine andere Vision für diese an Bodenschätzen sowie an Kultur und Erfindergeist so reichen Nation hat als die einer grimmigen Großmacht. Dabei krankt sein ineffektiver Staat hinter dürftiger Kulisse an grassierender Korruption und einer unfähigen Verwaltung, gerät der Nordkaukasus auch nach mehr als 15 Jahren massiver militärischer Gewalt weiter außer Kontrolle. Fantasie wird durch Repression ersetzt, das Land pendelt zwischen Erstarrung und Eruption."

Das Handelsblatt macht erwartungsgemäß eine simple Rechnung auf: "Die russische Opposition sendet ein klares Zeichen an Präsident Wladimir Putin: Sie lässt sich nicht einschüchtern. Gestern gingen mehrere Zehntausend Menschen in Moskau auf die Straße und forderten erneut ein 'Russland ohne Putin'.Vielen ausländischen Investoren graut es hingegen vor einem Russland ohne Putin. Seit zwölf Jahren hat der ehemalige Geheimdienstchef das Ruder fest in der Hand. Er hat das Land nach der Krisenzeit der 90er-Jahre wieder aufgerichtet und es stabilisiert. Seiner Politik ist es zu verdanken, dass viele Investoren seit Jahren gute Geschäfte in Russland machen. Eingeschränkte Grundrechte nehmen sie in Kauf. Die einfache Gleichung lautet: Die Wirtschaft braucht Stabilität. Putin sorgt für Stabilität. Also ist Putin gut für die Wirtschaft."

Die Märkische Oderzeitung richten ihren Blick dagegen eher auf politische Werte: "Zu einer Demonstration wie dieser gehört im heutigen Russland eine Menge Mut und Zuversicht. Einerseits, weil die Demonstrierenden selbst am besten wissen, dass sie nur eine Minderheit in der mehrheitlich trägen Bevölkerung sind. Und andererseits, weil Präsident Putin gerade die Daumenschrauben wieder anziehen lässt. Das Versammlungsgesetz wurde verschärft, die Wohnungen von Oppositionellen wurden durchsucht. Damit hält sich der neue alte Herr im Kreml nicht einmal an sein vor der Wiederwahl gegebenes Versprechen, den Meinungsaustausch innerhalb der Gesellschaft künftig zu ermöglichen. Umso wichtiger, dass einige selbstbewusste Bürger dagegenhalten."

Die Financial Times Deutschland warnt: "Russland wird zum Polizeistaat, der immer häufiger willkürlich Oppositionspolitiker zu Verhören einbestellt und Wohnungen durchsuchen lässt. Es ist zwar richtig, Weißrusslands Diktator Alexander Lukaschenko oder den Ukrainer Viktor Janukowitsch an ihrer verfehlten Menschenrechtspolitik zu messen - nur sollte das auch für den 'russischen Zaren' Putin gelten. Seit der Präsidentschaftswahl im März, in deren Vorfeld sich Putin eher handzahm gab, zieht er die Daumenschrauben immer stärker an. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Putins Schikanen die Protestkultur der Russen grundlegend verändern - und sich aus der gebildeten Mittelschicht Menschen in die Gewalt verabschieden."

Abschließend prognostiziert der Reutlinger General-Anzeiger: "(…) Putin ist an der Macht gelegen, weniger an demokratischen Strukturen. Und schon jetzt kann man sicher sein, dass sich Putin auch nach der von ihm auf sechs Jahre verlängerten Amtszeit mit dem Ende derselben nicht zufrieden geben wird. Notfalls wird er sich zum Zaren auf Lebenszeit ausrufen lassen.

Quelle: ntv.de

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