Protestcamp geräumt "S21 wird sich nicht wiederholen"
15.02.2012, 20:41 Uhr
Es war die letzte Bastion der Gegner des umstrittenen Milliardenprojekts Stuttgart 21: Seit über einem Jahr hatte sich der harte Kern in einem Protestcamp im Schlossgarten in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs niedergelassen, jetzt hat die Polizei das Lager - weitgehend friedlich - geräumt. Der Realisierung des Projektes steht damit nichts mehr im Wege. Doch bei aller Erleichterung über das gewaltlose Ende des Protestes: Für die Kommentatoren der deutschen Presse gibt es Dinge, die nicht einfach unter den Teppich der Harmonie gekehrt werden können.

Die erste Bäume im Schlossgarten in Stuttgart wurden bereits gefällt.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Frankfurter Rundschau fragt angesichts des formal durch Schlichtung und Volksabstimmung legitimierten Baubeginns am neuen Stuttgarter Bahnhof beinahe ungläubig: "Ist es also jetzt gut mit dem Debattieren, gar Demonstrieren?" Angesichts der langwierigen Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Befürwortern des Projekts kommt das Blatt zu dem Schluss: "Was wir bräuchten, das wäre die Ergänzung des parlamentarisch-bürokratischen Systems durch frühzeitige und nicht wie in Stuttgart verspätete Bürgerbeteiligung. Es wäre die Einbeziehung der Betroffenen, solange es noch Alternativen zu diskutieren gibt. Es wären Bürgerentscheide, die wirklich etwas entscheiden. Wer glaubt, der Baubeginn für Stuttgart 21 habe diese Reformdebatte erledigt, versteht in der Tat nur Bahnhof".
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) ist überzeugt: "Stuttgart 21 wird sich nicht wiederholen. Schon jetzt werden die - ohnehin weitreichenden - Verfahren der Bürgerbeteiligung überarbeitet. Jedes neue Großprojekt, wenn es überhaupt noch einmal vergleichbare geben sollte, wird von Politik und Verwaltung anders beworben und bearbeitet werden (müssen). Aber die Bürger, auch das muss eine Stuttgarter Lehre sein, werden weiterhin demokratische Entscheidungen zu akzeptieren haben. Auch das sollte zum 'Bildungsaufbruch' gehören, den die grün-rote Koalition beschwört, ein Bündnis im Übrigen, das sich das 'Bewahren' auf die Fahnen geschrieben hat. Es stimmt schon, dazu gehören Natur- und Denkmalschutz. Aber auch die Wahrung der Form. Wenn alles ausdiskutiert und beschlossen ist, dann muss eine Entscheidung auch durchgesetzt werden".
Ähnlich urteilt auch die Augsburger Allgemeine: "Die Gräben zwischen Stuttgart-21-Gegnern und -Befürwortern sind tiefer, als es die Baugrube am Hauptbahnhof je werden kann. Stuttgart wird lernen müssen, damit umzugehen. Und ganz Deutschland wird von Stuttgart vor allem lernen müssen, dass Bauprojekte dieser Größenordnung ohne breite und frühzeitige Beteiligung der Bürger nicht mehr denkbar sind. Dass das Volk vernünftig entscheiden kann, hat die Volksabstimmung zur Finanzierung von Stuttgart 21 gezeigt".
Die Eßlinger Zeitung zollt der baden-württembergischen Landesregierung Respekt: "Die Regierung und vor allem Innenminister Reinhold Gall (SPD) haben eine wichtige Bewährungsprobe bestanden. Auch wer bislang den Grünen mangelnden Respekt vor demokratisch getroffenen Entscheidungen unterstellte, wurde eines Besseren belehrt. Bei Teilen der Projektgegner wird Ministerpräsident Winfried Kretschmann weiter an Ansehen verloren haben. In der Bevölkerung insgesamt hat er gewonnen, weil er sein eigenes Diktum, er sei nicht König, sondern Ministerpräsident von Baden-Württemberg, umgesetzt hat".
Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Susanne Niedorf-Schipke