Pressestimmen

Neue Grenzen für Europa? "Schengen ist zu wertvoll"

Kurz vor dem Urnengang in Frankreich unternehmen die Innenminister in Paris und Berlin einen gemeinsamen Angriff auf die Reisefreiheit in Europa. Um sich gegen illegale Einwanderung schützen zu können, wollen sie die Grenzen wieder dicht machen können. Das Urteil über den Vorstoß in der Presse ist unisono negativ.

Das Hamburger Abendblatt bemängelt, die Freunde Europas machten sich rar. "In der Union, der Partei der europäischen Integrationsfiguren Konrad Adenauer und Helmut Kohl, scheint man europamüde zu sein. Die großen Projekte der Einigung, ob Euro oder Schengen, beflügeln die Politik kaum mehr, sie werden zur Last." Statt das Epochale des Schengener Abkommens - die neue Freizügigkeit, den Wegfall der Grenzkontrollen - gegen alle Vorbehalte zu verteidigen, würden aus Berlin und Paris die Gefahren betont und eine massenhafte Zuwanderung illegaler Einwanderer suggeriert. "So schleift man eines der letzten Symbole der europäischen Idee", so das Blatt

Der in Berlin erscheinende Tagesspiegel betrachtet das Problem von seinem Ursprung, den Ländern, aus denen illegale Zuwanderer kommen nämlich. Es gebe leider nicht den Wunderhebel, mit dem die EU die soziale Misere in vielen nachrevolutionären arabischen Ländern schlagartig verbessern könne. Doch: "Wenn Länder, die nicht ans Mittelmeer grenzen, ihre Hilfe verweigern, wird das Rom oder Athen erst zu Trotzreaktionen verleiten und dann schnell dazu führen, dass an den Grenzen in der Mitte des Kontinents die Schlagbäume wieder aufgebaut werden. Eine Politik der gegenseitigen Abschottung aber würde in Europa mehr zerstören als nur das Schengener Abkommen."

Der Kölner Stadtanzeiger begreift das Thema als eine durch den französischen Wahlkampf getriebene Debatte: "Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy sieht sein politisches Ende nahen und buhlt um Stimmen vom rechten Rand. Er verknüpft Schengen mit dem Reizthema illegale Einwanderung." Es sei an der Zeit, das Abkommen in die Hände der gesamten Europäischen Union zu legen. "Nicht mehr die einzelnen Mitgliedstaaten sollen das Sagen haben, sondern die EU-Kommission, der Ministerrat und das Parlament gemeinsam. Schengen ist zu wertvoll, um im innenpolitischen Nahkampf verheizt zu werden."

Der Mannheimer Morgen bemängelt, dass versäumt wurde, eine europäische Grenz-Polizei aufzubauen. Stattdessen "begnügte man sich mit Stückwerk. Europa hat seine innere Sicherheit nicht im gleichen Maße weiterentwickelt, wie die Union vergrößert wurde. Das ist überfällig, nicht nur, aber auch, weil schon über neue Mitglieder auf dem Balkan gesprochen wird. Dass die beiden Minister dies alles in ihrem Brief vergessen haben, macht ihn zu dem, was er ist: ein Beitrag für den französischen Wahlkampf. Nicht mehr."

Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Thomas E. Schmitt

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