Kinderbetreuung durch Großeltern "Schröder macht es sich leicht"
27.09.2012, 19:39 Uhr
Nach Plänen von Kristina Schröder sollen auch berufstätige Großeltern einen Anspruch auf Elternzeit erhalten.
(Foto: dpa)
Die Opposition spricht von einem "Schmalspurprogramm" und "politischem Offenbarungseid": Der Vorschlag von Familienministerin Kristina Schröder, eine - unbezahlte - Großelternzeit einzuführen, erhitzt die Berliner Gemüter. Auch die Presse kritisiert Schröders Vorstoß. Vielen Kommentatoren zufolge würden die Falschen von einer Großelternzeit profitieren.
Die Tageszeitung Die Welt kritisiert die Familienministerin. Wie ihre Kollegin, Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, versuche Kristina Schröder mit ihrer Politik die Menschen zu beruhigen, bevor diese überhaupt beunruhigt seien. "Hauptsache, man schlägt regelmäßig etwas vor. Man meint es doch nur gut. Wo Schröder im Falle der Großelternzeit glücklicherweise keine Geldversprechen macht, geht es für von der Leyen ans Eingemachte. Beide nutzen gleiche Mechanismen: Nur oft genug darüber reden, irgendwann wird alles, nach welchen Konflikten und Kompromissen auch immer, in ein Gesetz gegossen. Die Selbstbeschäftigungs-Rituale der Politik finden kein Ende."
Auch die Heidelberger Rhein-Neckar-Zeitung hält wenig von Schröders Idee und sieht darin eher einen Versuch der Ministerin, sich mit einem populären Thema zu profilieren: "Ein Lohnausgleich wie beim Elterngeld ist nicht vorgesehen. Da macht es sich die Familienministerin - die kürzlich selbst Mutter geworden ist - sehr einfach. Sie will mit einem populären Thema punkten, doch ihre Ausarbeitung ist weitgehend lebensfremd. Von ihrer Initiative dürften vor allem Familien profitieren, bei denen es auf ein Gehalt mehr oder weniger nicht ankommt."
Eine Großelternzeit würde den wenigsten Familien nutzen, meint auch die Financial Times Deutschland "Das Beste, was man über diese Großelternzeit-Pläne sagen kann, ist: Es wird sicherlich ein paar Familien geben, die davon profitieren werden. Die Mehrheit der berufstätigen Eltern aber hat von den Großelternzeit-Plänen von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder: nichts. Wie auch? Die beruflich geforderte Mobilität macht es schon schwer, die Lebensentwürfe einer Generation zu koordinieren."
Die Südwest-Presse aus Ulm sieht in Schröders Vorstoß den Versuch der Ministerin, von ihren Problemen beim Kita-Ausbau abzulenken. "Ministerin Schröder greift nach dem letzten Strohhalm: Nun will sie auch noch die Großelternzeit einführen, angeblich, weil es das Miteinander der Generationen fördert. 30 000 ältere Arbeitnehmer, so ihre Hoffnung, könnten davon Gebrauch machen und im Beruf pausieren, um ihre Enkel zu hüten. Die Rechenspiele zeigen, worum es geht: Kristina Schröder fürchtet, dass es nicht gelingen wird, den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz bis 2013 zu erfüllen. Die Familienpolitik der Ministerin bleibt Flickschusterei und ist zu kurz gedacht."
Ähnlich urteilen auch die Kieler Nachrichten, die auf die Familien verweist, bei denen die Großeltern zur Kindesbetreuung nicht in Frage kommen: "So wichtig die Hilfe sein kann: Grundsätzlich sollten Eltern mit Unterstützung von privaten und staatlichen Betreuungseinrichtungen allein in der Lage sein, für ihre Kinder zu sorgen. Der Vorstoß geht nicht nur an den Eltern vorbei, die nicht das Glück haben, auf Familienhilfe zurückgreifen zu können - weil Oma und Opa so weit weg wohnen oder bereits gestorben sind. Eine gesetzlich abgesicherte Familienzeit für Großeltern, die damit auch noch eigene Rentenansprüche opfern, ist auch das Eingeständnis, dass die übrigen Netze nicht ausreichen."
Die Potsdamer Märkische Allgemeine verurteilt Schröders Vorstoß scharf: "Frauen, die oft bereits für die eigenen Kinder die Berufstätigkeit unterbrachen, müssten nun erneut zu Hause bleiben und weitere Opfer bringen. Das tun viele Großmütter ja längst, mit Freude und ohne zu klagen. Doch sie werden dafür mit Blick auf ihre nicht allzu ferne Rente nicht belohnt, sondern sogar von Altersarmut bedroht. Schröders Vorschlag einer Großelternzeit ist insofern ein billiges Märchen."
Von einem großen Wurf der Familienministerin könne nicht die Rede sein, kommentiert die Neue Osnabrücker Zeitung: "Vorgängerin Ursula von der Leyen hat mit der bezahlten Elternzeit bereits den kompletten Rohbau hingestellt, unter dessen Dach die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bewerkstelligt werden soll. Ihre Nachfolgerin beschränkt sich dagegen leider nur auf ein paar Fassadenarbeiten. Dabei gäbe es genügend andere Dinge für Schröder zu tun: Wenn sie sich schärfer profilieren will, hätte sie dazu mit einer harten Frauenquote gute Chancen. Aber die nutzt sie nicht."
Die Düsseldorfer Westdeutsche Zeitung sieht in Kristina Schröders Plan vor allem ein Problem für die Arbeitgeber: "Das Vorhaben der Ministerin birgt Tücken, zumal sie auch die Regelungen für die Elternzeit selbst weiter flexibilisieren will. Von familiären Zwisten abgesehen, wenn sich Großeltern dank ihrer neu gewonnenen Freizeit möglicherweise zu stark in die Erziehung einklinken, beträfe das vor allem Unternehmen. Schon heute freuen diese sich zwar, wenn ihre Mitarbeiter Nachwuchs bekommen, doch für befristete Auszeiten von ein paar Wochen bis zu mehreren Jahren qualifizierte Vertretungen zu organisieren, ist oft sehr schwer. Dies gilt vor allem, wenn die exakte Dauer der Elternzeit vorher nicht feststeht."
Dass eine Großelternzeit zu Lasten der Arbeitgeber ginge, ist auch die Meinung der Koblenzer Rhein-Zeitung. "Die Pläne gehen an der Realität des Arbeitslebens vorbei. In einem Land mit einem sehr guten Kündigungsschutz dürfen auch die Arbeitgeber ein Mindestmaß an Planbarkeit und Verlässlichkeit für ihre Personalpolitik erwarten. Wenn künftig tatsächlich alle Eltern und Großeltern bis zum 14. Geburtstag der Kinder zwei bis drei Jahre Elternzeit einreichen können, dann dürften viele Arbeitgeber in organisatorische Schwierigkeiten geraten. Insbesondere das Vorhaben, Eltern und Großeltern gleichzeitig eine berufliche Auszeit fürs Kind zu gewähren, schießt übers Ziel hinaus. Dies öffnet der Zweckentfremdung der Elternzeit für Weltreisen oder berufliche Neuorientierung Tür und Tor."
Quelle: ntv.de