Luftangriff in Afghanistan "Signal für eine Umkehr"
04.09.2009, 20:34 UhrDer von der Bundeswehr befohlene Luftangriff in Afghanistan hat deutlich gemacht, was die politische Elite in Deutschland nicht in den Mund zu nehmen wagt: Es herrscht Krieg. Die Zeitungen hoffen, dass spätestens die heutigen Bomben ein Alarmzeichen für die Politiker sind. Zum einen sei es dringend an der Zeit, nach einem Ausweg aus dem Kämpfen zu suchen. Und zum anderen sollte endlich der Sinn und Zweck des Einsatzes in Afghanistan offengelegt werden.

Ein Soldat inspiziert einen der ausgebrannten Tanker.
(Foto: dpa)
Weiterhin von einem "robusten Stabilisierungseinsatz" zu sprechen, empfinden die Stuttgarter Nachrichten als "zynisch", denn " natürlich tobt in Afghanistan ein Krieg. So ehrlich sollte man sein. Wenn aber der Einsatz allmählich im end- und perspektivlosen Klein-Klein versinkt, dann gerät die Operation in eine schwere Legitimationskrise. Der Einsatz ist nicht durchzuhalten, wenn die Zweifel der deutschen Bevölkerung an seinem Sinn weiter wachsen. Dieser Prozess wird sich nun beschleunigen."
Der Mannheimer Morgen sieht jetzt die Regierenden in der Pflicht: "Die deutsche Bevölkerung hat ein Recht, über die wahren Bedingungen des Afghanistan-Einsatzes aufgeklärt zu werden. Erst recht in einem Wahlkampf, an dessen Ende der Souverän, der Bürger, über den Kurs der nächsten vier Jahre entscheidet. Den Afghanistan-Einsatz totzuschweigen mag im Sinne der Regierenden sein, weil es für sie bequem ist, und doch stellt es eine Verachtung der Bürger da. Die Soldatinnen und Soldaten sind Staatsbürger in Uniform, die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, der Bundestag repräsentiert das Volk. Und das erwartet mehr als Floskeln und geschönte Berichte. Wer die Debatte um den Afghanistan-Einsatz meidet, schürt das Misstrauen."
"Nach der Wahrheit zu suchen, das hieße für die deutsche Afghanistan-Debatte: alles in Frage, alles auf den Prüfstand zu stellen. Und zwar unter einer einzigen, moralisch zwingenden Perspektive: Wie lässt sich der humanitäre Anspruch unter möglichst geringem Einsatz von Gewalt einlösen? Wie lässt sich einer Kriegslogik entrinnen, zu der Ereignisse wie das tödliche Bombardement von Kundus gehören?" Ein Ausweg aus diesem Krieg, so die Frankfurter Rundschau, dürfe aber nicht bedeuten: "Raus und nach uns die Sintflut." Es würde vielmehr bedeuten "jetzt, und zwar sofort, die so oft bemühte humanitäre Komponente, die Hilfe und den Aufbau erkennbar in den Mittelpunkt zu stellen. Und dabei mindestens so großzügig zu sein wie bei der Finanzierung des Krieges. Es hieße, wirklich alles zu tun, damit die Bombe von Kundus wenigstens zum Signal für eine Umkehr wird."
"Wer ist Zivilist, wer Aufständischer, wer Unterstützer von Aufständischen in den umkämpften Gebieten?" fragt die Mitteldeutsche Zeitung aus Halle. Die Taliban hätten viele Anhänger und Sympathisanten hinter sich, aber auch viele Menschen, "deren Gefolgschaft sie schlichtweg mit den Gewehrläufen erzwungen haben." Ausgehend von diesen Voraussetzungen sucht das Blatt nach einer Erklärung: "Die Lage ist für die Soldaten aus Deutschland und anderswo, vorsichtig gesagt, unübersichtlich. Für sie ist das eine Katastrophe, für die Taliban, denen Menschenleben eher schnuppe sind, ein gewaltiger Vorteil. Das soll gar nichts beschönigen. Die - pardon - verdammte Wahrheit aber ist: Solange dieser Krieg dauert, wird er Frauen, Männer, Kinder das Leben kosten. Müssen wir ihn also sofort beenden? Geben die westlichen Truppen das Land den Aufständischen preis, fällt eine ganze Region."
Die Lübecker Nachrichten rücken das Land am Hindukusch in den Mittelpunkt und ziehen eine vernichtende Bilanz: "Afghanistan ist ein Armenhaus, in dem jeder Zweite unter der Armutsgrenze lebt. Es ist ein Geisterhaus, in dem Korruption, Opiumhandel und gesellschaftliche Verrohung gedeihen. Und es ist ein Totenhaus, in dem nach UN-Angaben allein im ersten Halbjahr 2009 mehr als 1000 Unbeteiligte bei Anschlägen und Kämpfen ums Leben kamen. Afghanistan, ein gescheiterter Staat. Wie kommt man da wieder raus?" eine Lösung hat auch das Blatt aus Lübeck nicht parat, hält aber fest: Zumindest nicht mit Militäraktionen wie der gestrigen, bei der offenbar auch wieder viele zivile Opfer zu beklagen sind."
Zusammengestellt von Katja Sembritzki
Quelle: ntv.de