Pressestimmen

Soll es Volksabstimmungen geben? "Sonst verliert die EU an Legitimation"

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(Foto: picture alliance / dpa)

Die Debatte um eine stärkere Integration Europas ist in vollem Gange. Damit einher gehen auch Forderungen, einen solchen Schritt per Plebiszit zur Disposition zu stellen. Der Vorschlag von Verfassungsgerichtspräsident Voßkuhle findet Anhänger in allen politischen Lagern. In den deutschen Zeitungen wird die Idee kontrovers diskutiert.

So applaudiert der Tagesspiegel: "Zu Recht hat Finanzminister Schäuble gefordert, dass die Übertragung von viel Hoheitsgewalt nach Brüssel mit der Einrichtung einer direkt gewählten EU-Kommission und folglich einer grundlegenden Änderung der jeweiligen nationalen Verfassungen einhergehen müsse, die auch in Deutschland nur per Volksabstimmung möglich wäre. Diese Offenheit ehrt den überzeugten Europäer Schäuble." Die Zeitung aus Berlin stellt aber auch klar: "Dumm nur, dass es seine Regierung ist, die seit Jahren durch falsche Schuldzuweisungen quer durch Europa die nationalen Ressentiments so angeheizt hat, dass die Erzielung der Mehrheiten in den notwendigen Referenden höchst fraglich ist."

Wesentlich skeptischer sieht es traditionsgemäß die Frankfurter Allgemeine Zeitung, wenn nationale Souveränitätsrechte angetastet werden. So urteilt der Kommentar: Man könne darüber streiten, ob Voßkuhle gut beraten gewesen sei, öffentlich über das Instrument einer Volksabstimmung zu räsonieren. "Wegen eines Interviews von Finanzminister Schäuble ist diese Debatte nun endgültig in der Politik angekommen, und es wird nicht einfach sein, sie wieder einzufangen. Dabei geht es, wie manche hymnische Reaktion zeigt, beileibe nicht nur um europäische Angelegenheiten."

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Die Financial Times Deutschland sieht etliche "unvermeidliche, komplexe Fragen, die es zu klären gilt": "Wie soll die künftige EU aussehen? Wer haftet für wen, wer regiert, wer kontrolliert wen? Ist das Machtzentrum künftig am Kommissionssitz in Brüssel, beim EU-Parlament in Straßburg oder in den Regierungszentralen in Berlin, Paris und Warschau?" Über all das müssten Politiker und Bürger in Ruhe debattieren "und darüber mittelfristig abstimmen. Sonst verliert die EU an Legitimation. Das aber geht nicht mal eben innerhalb weniger Stunden oder Tage wie es Merkel anscheinend gern hat."

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt der Mannheimer Morgen. Der einzige Vorteil einer Volksabstimmung wäre: "Es würde breit diskutiert, welche Annehmlichkeiten das Zusammenwachsen Europas inklusive der gemeinsamen Währung bringt und wie fatal ein Scheitern wäre." Ansonsten steht das Blatt einem Plebiszit skeptisch gegenüber: "Staatsrechtlich mag ein Plebiszit zum Fiskalpakt oder Ähnlichem sinnvoll wirken, inhaltlich ist es das nicht. Dass die nationale Haushaltshoheit weiter eingeschränkt wird, ist zur Überwindung der Eurokrise wohl unvermeidlich."

Die Mitteldeutsche Zeitung findet: "Schäubles Versuch, die Politik ehrlich zu machen, bleibt zu begrüßen – auch wenn er erst der allererste Anfang eines höchst komplexen Prozesses sein kann." Ein stärker integriertes Euro-Europa sei vorstellbar. "Aber innerhalb der Eurozone noch einmal eine kleinere Koalition der Willigen? Nein, dann braucht es eben mehr Geduld. Aber wenn Europa auf sich warten lässt - kann Deutschland sein Grundgesetz dann so lange unangetastet lassen, wenn es seine europäische Handlungsfähigkeit verbessern will. Oder andersherum gefragt: Ist es den Deutschen zuzumuten, ihrer Regierung und ihrem Parlament freiere Hand für ein Europa zu geben, das sie noch nicht kennen?"

Quelle: ntv.de

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