Pressestimmen

Friedensnobelpreis für Xiaobo "Supermacht für alle sichtbar schwach"

Thorbjorn Jagland, Leiter des Nobelpreiskommitees, sitzt während der Verleihung neben einem leeren Stuhl, auf dem sich die Urkunde und die Medaille für Liu Xiaobo befinden.

Thorbjorn Jagland, Leiter des Nobelpreiskommitees, sitzt während der Verleihung neben einem leeren Stuhl, auf dem sich die Urkunde und die Medaille für Liu Xiaobo befinden.

(Foto: dapd)

In Oslo wird der Friedensnobelpreis an den chinesischen Menschenrechtler Liu Xiaobo verliehen - ohne die Anwesenheit des Preisträgers. Der Dissident sitzt in China eine elfjährige Haftstrafe ab, weil er die Staatsgewalt untergraben haben soll. Mit allen Mitteln kritisiert China im Vorfeld diese Auszeichnung an einen Staatsfeind, sogar andere Menschenrechtler verschleppen die Behörden, um nun doch vor der Preisverleihung kapitulieren zu müssen. Das Nobelpreiskomitee wird sich mit seiner Entscheidung endlich wieder selbst gerecht. Der Druck auf China wächst.

Das Mindener Tageblatt sieht in der Ehrung eines chinesischen Menschrechtlers mit dem Friedensnobelpreis das Reich der Mitte geschwächt: "Ein stärkeres Symbol als dieser leere Stuhl wäre kaum denkbar, erinnerte er doch unübersehbar an die von den Nationalsozialisten verhinderte Entgegennahme des Preises durch Carl von Ossietzky. Hätte es auch nur den leisesten Zweifel an der Preiswürdigkeit des Kämpfers für Demokratie und Meinungsfreiheit gegeben, die maßlosen Reaktionen Pekings hätten sie ein für alle Mal ausgeräumt. Bis hin zu peinlichen Ausrufung eines Gegenpreises, bis hin zur angeordneten Demonstration von Auslandschinesen in Oslo trieb das kommunistische Regime die furiose Selbst-Blamage, um letztlich doch nur hilflos mit der Ehrung die damit verbundene weltweite Kritik an seiner Menschenrechtspolitik zur Kenntnis nehmen zu müssen. Die Supermacht - für alle sichtbar ganz schwach."

Auch der Kölner Stadtanzeiger erinnert an die Preisträger vor Xiaobo, die die Auszeichnung nicht persönlich entgegennehmen konnten, und sieht in dem leeren Stuhl ein Zeichen der Entwicklung: "Liu Xiaobo durfte die hohe Auszeichnung nicht selbst entgegennehmen - wie vor ihm Carl von Ossietzky, Lech Walesa, Andreij Sacharow und Aung San Suu Kyi. Doch in den Biografien seiner Vorgänger kann der inhaftierte Friedensnobelpreisträger 2010 studieren, welch Veränderungsdruck in einem autoritären Staatswesen aufgebaut werden kann, wenn die Zeit dafür reif ist. Das Bild mit dem leeren Stuhl stellt einen weiteren Schritt auf diesem Weg dar."

Der Druck auf China wächst auch in den Augen der Heilbronner Stimme: "China hat viel diplomatisches Porzellan zerschlagen, indem es ausländische Diplomaten zum Boykott der Verleihung aufrief, Dutzende weitere Bürgerrechtler verschleppen ließ. Die Muskelspiele zeigen zweierlei: Zum einen das neue Selbstbewusstsein der zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Erde. Zum anderen die berechtigte Angst der Elite vor einem Machtverlust. Korruption und Vetternwirtschaft schüren die Unzufriedenheit. China hat eine Chance verpasst, den Ruf nach Transparenz und Demokratie zu ignorieren. Doch der Druck wächst durch die Auszeichnung. Langfristig wird das Land den Widerstand nicht kleinhalten können."

Die Leipziger Volkszeitung würdigt nicht nur den chinesischen Dissidenten, sondern auch die Entscheidung des Nobelpreiskommitees: "Der Bürgerrechtler und friedliche Kämpfer für die Demokratie, Liu Xiaobo, ist ein würdiger Träger des Friedensnobelpreises. Selten hat ihn jemand so verdient wie er, der den Preis nicht selbst entgegen nehmen konnte, weil ihn die Pekinger Menschenrechtsunterdrücker mit fadenscheinigen Begründungen in einem Kerker der chinesischen Diktatur haben verschwinden lassen. Mit der Vergabe an Liu Xiaobo ist sich das Nobelpreiskomitee in Oslo endlich auch wieder selbst gerecht geworden, nachdem einige Friedensnobelpreis-Vergaben der vergangenen Jahre eher Stirnrunzeln und Ratlosigkeit ausgelöst hatten."

Einen mahnenden Hinweis gibt die Frankfurter Neue Presse: "Westlichen Skeptikern, die nach dem Scheitern der Menschenrechtsexpeditionen schon wieder anfangen, vor autoritären Herrschern zu kapitulieren, sei gesagt: Die Freiheit ist zwar nicht von heute auf morgen in anderen Kulturen zu installieren, aber die Universalität der Menschenrechte ist auch nicht wegzurelativieren. Anspruch auf Freiheit haben auch die Menschen in China. Und man sollte sie zumindest moralisch dabei unterstützen, sie durchzusetzen so wie es das Nobelpreiskomitee vorexerziert hat. Dass steter Tropfen den Stein höhlen kann, zeigte sich schon im kommunistischen Ostblock. Die Schlussakte von Helsinki war nicht so harmlos, wie zunächst angenommen."

Quelle: ntv.de, Zusammengestellt von Julia Kreutziger

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