Streit um Hartz IV "Tauziehen wird immer grotesker"
07.02.2011, 19:29 UhrEigentlich geht es um die Neuberechnung des Hartz-IV-Regelsatzes und um das Bildungspaket für bedürftige Kinder von Langzeitarbeitslosen. Für beides hat das Verfassungsgericht vor fast genau einem Jahr dem Gesetzgeber eine Frist bis Ende 2010 gesetzt. Die Neuregelung ist also überfällig. Doch seit der Bundesrat kurz vor Weihnachten dem Vorhaben die Zustimmung verweigerte, liegt die Hartz-IV-Neuregelung auf Eis. Rund 4,7 Millionen erwachsene Hartz-IV-Empfänger müssen seither auf die geplante Erhöhung des Regelsatzes um 5 auf 364 Euro warten. Das gleiche gilt für die Leistungen aus dem Bildungspaket für etwa 2,5 Millionen Kinder. Doch die Opposition will nicht einfach einem Gesetz zustimmen, das sie für unzulänglich hält. Entsprechende Beratungen zwischen Regierung und Opposition verliefen bislang ergebnislos. Kanzlerin Merkel hat die Angelegenheit jetzt zur Chefsache erklärt.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung betrachtet die Debatte abgeklärt. Was jetzt im Ringen um die Hartz-IV-Regelung eingetreten sei, kenne "man aus früheren Zeiten ungleicher Mehrheitsverhältnisse in Bundestag und Bundesrat: Erst wird auf Arbeitsebene bis zum Anschlag gestritten, dann steigen Ministerinnen in den Ring. Zum Schluss muss der Regierungschef mit den Oppositionsführern einen Deal aushandeln, der alle Seiten als Gewinner herauskommen lässt. Bei den (…) 'Chefgesprächen' könnte es so weit sein. Denn eine weitere Steigerung der Dramatik hält das Vermittlungsverfahren nicht bereit, nachdem die Gesetzgeber sogar schon die Frist verstreichen ließen, die ihnen das Bundesverfassungsgericht gesetzt hatte. Und fürs Erste dürfte auch die Opposition ihre Karten im Bundesrat ausgereizt haben".
Für den Mannheimer Morgen wird das Tauziehen um die Reform von Hartz IV "immer grotesker": "Der Koalition geht es ums Prinzip, die Opposition bewegt sich keinen Millimeter - und mehr als sechs Millionen Hartz-IV-Empfänger warten schon den zweiten Monat auf ihr Geld. Mag sein, dass Ursula von der Leyen eine Erhöhung des Regelsatzes über die von ihr errechneten fünf Euro hinaus etwas zu kategorisch ablehnt. Bewegen allerdings muss sich zuallererst die SPD". Für die Zeitung aus dem Rhein-Neckar-Raum erinnert das Verhalten der Sozialdemokraten im Vermittlungsausschuss "fatal an die Blockadepolitik ihres früheren Vorsitzenden Oskar Lafontaine in den 90er Jahren".
Die Tageszeitung (taz) zieht den Vergleich zu einem Theaterstück. Für das in Berlin herausgegebene Blatt gehören die Hartz-IV-Verhandlungen "zu den seltsamsten Inszenierungen, die die bundesdeutsche Geschichte je erlebt hat. Denn der Streit um ganze sechs Euro kommt ja nicht von ungefähr: Regierung und Opposition sind sich einig, dass sich an Hartz IV nichts Bedeutsames ändern darf". Schließlich habe man dieses Projekt gemeinsam erfunden, nur dass damals Rot-Grün regierte und Schwarz-Gelb den Bundesrat dominierte. Die Anforderungen an die Inszenierung seien also kompliziert: "Es verhandeln Komplizen, die fürs Publikum einen Streit aufführen müssen. Daher ist es auch so verlockend, sich auf Nebenaspekte zu kaprizieren, die mit dem Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts nichts zu tun haben".
"Mit der Forderung nach Mindestlöhnen für weitere Branchen und einer möglichst raschen gleichen Bezahlung von Zeitarbeitern und Stammbelegschaft überfrachten die höchstrichterlich geforderte Überarbeitung derselben", ist in den Lübecker Nachrichten zu lesen. Und auch für die Zeitung aus Norddeutschland haben die Forderungen nichts mit dem Karlsruher Urteil gemein: "Die SPD hat sie mit auf den Wunschzettel genommen, um die Gewerkschaften zu versöhnen, das eigene Hartz-Trauma abzuschütteln und Schwarz-Gelb mit Blick auf die Landtagswahlkämpfe vorzuführen. Ein Motiv, das die Grünen teilen. Mehr Lohn für Leiharbeiter ist gerechtfertigt. Aber es ist kühn, dies nun huckepack mit der Neuregelung der Hartz-IV- Bedarfssätze durchsetzen zu wollen."
"Der Hick-Hack um eine Reform der Hartz-IV-Sätze ist Politik zum Abgewöhnen", lautet das Fazit des Kölner Stadt-Anzeigers. "Die Leidtragenden sind zunächst die Transferempfänger und vor allem die Kinder, denen das ohnehin bescheidene Bildungspaket zumindest in den ersten drei Monaten dieses Jahres vorenthalten bleibt. Zu den Beschädigten zählen des weiteren die etablierten Parteien einschließlich der Linken, die mit unbezahlbaren und dem Wesen nach unsozialen Maximalforderungen zu keiner Zeit ernsthaft an den Verhandlungen teilnahmen, während sich Union, FDP, SPD und Grüne im Klein-klein verhakten. Kanzlerin Merkel hätte gut daran getan, frühzeitig das Gespräch mit den Oppositionsspitzen zu suchen, hat dies aber aus taktischem Kalkül unterlassen". Nun müsse sie in letzter Minute, versuchen, "den gordischen Knoten zu durchschlagen".
Quelle: ntv.de, Zusammengestellt von Susanne Niedorf-Schipke