Nein zur Wahlrechtreform "Wählerbrüskierung mit Ansage"
29.06.2009, 21:01 UhrDass die große Koalition es nicht geschafft hat, das Wahlrecht zu reformieren, wertet die Presse als ein "Armutszeugnis". Die eigentlichen Verlierer im Streit um die Überhangmandate aber sind die Sozialdemokraten.
"Nun steht die SPD da wie ein Hund, der bellt, aber nicht beißen kann", kommentiert die Frankfurter Rundschau. Das Ergebnis sei "ärgerlich", denn nun werde auch der neue Bundestag "nach Regeln gewählt, die das Stimmengewicht bizarr verzerren können." Fragen des Wahlrechts müssen von den Parteien einvernehmlich geregelt werden und "dass dies ausgerechnet der großen Koalition nicht gelang, ist ein Armutszeugnis erster Güte".
Die SPD gefalle sich "in der Pose des Unschuldslammes", ist aber maßgeblich an dem Versäumnis einer Reform mit Schuld. Der Reutlinger General-Anzeiger ruft in Erinnerung, dass der entsprechende Gesetzentwurf vom Bundesjustizministerium hätte vorbereitet werden müssen – "und das ist mit Brigitte Zypries seit Jahren fest in SPD-Hand." Trotz schlechter Umfragewerte "verschenke" die SPD nun wichtige Mandate. Das Blatt resümiert: "Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen."
"Die Behauptung der SPD, es gehe ihr allein um die Sache, ist nicht sonderlich glaubwürdig", findet die Mitteldeutsche Zeitung (Halle). "Auch die SPD hat das Projekt nicht konsequent verfolgt, sondern alle paar Monate wieder auf den Tisch gelegt, um es anschließend wieder in der Versenkung verschwinden zu lassen." Und als Müntefering eine Wahlrechtsreform "buchstäblich in letzter Minute einforderte, kannte er die Antwort natürlich." Es sei ihm nur um eine Provokation gegangen und darum, "dem schwarzen Wahlkampfgegner einen schwarzen Peter ins Blatt zu mischen".
"Jetzt darüber zu lamentieren, dass die Union die angemahnte Reform verschleppte, ist müßig", da Karlsruhe dem Gesetzgeber Zeit bis 2011 gelassen, das "leidige Problem der Überhangmandate" zu lösen, so die Nürnberger Nachrichten. Und natürlich habe es die CDU/CSU, die bei der Wahl wohl am meisten von der Regelung profitieren wird, "nicht eilig, sich selbst um mögliche Stimmen-Vorteile zu bringen. Vermutlich würde jede andere Partei einen solchen Bonus ebenfalls auskosten." Trotzdem werde der Wahl "ein Hauch von Verfassungswidrigkeit" anhängen.
Für die Leipziger Volkszeitung könnte die Bundestagswahl im September mit ihren wahrscheinlich knappen Mehrheitsverhältnissen "zum Präzedenzfall für ein aktenkundig verfassungswidriges Wahlgesetz werden. Schwarz-Gelb? Wieder Schwarz-Rot? Oder doch Rot-Gelb-Grün? Wenn die politische Weichenstellung des Landes von Überhangmandaten und damit von einer Verfassungswidrigkeit abhängen sollte, dann bekommt die ohnehin schon starke Flanke der Demokratie-Verdrossenen weiteren Zulauf." Verwunderlich sei das nicht, handelte es sich doch um eine "Wählerbrüskierung … mit Ansage".
Zusammengestellt von Katja Sembritzki
Quelle: ntv.de