Pressestimmen

Sicherheitsdebatte nach Anschlägen "Was Norwegen vorlebt, ist Größe"

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(Foto: REUTERS)

Reflexartig und in einer Art kleingeistiger Parteipolitik lösen die Anschläge von Norwegen eine Debatte um schärfere Bestimmungen zum Schutz der inneren Sicherheit in Deutschland aus: CSU-Politiker fordern die Einführung der Vorratsdatenspeicherung, die Gewerkschaft der Polizei (GdP) plädiert für eine Erfassung aller "auffälligen Personen" im Internet. Doch hätten solche Maßnahmen die Anschläge verhindern können? Die beinah einhellige Antwort der deutschen Zeitungskommentatoren lautet Nein - das grausame Geschehen wäre vermutlich nicht verhindert worden. Wahnsinn ist immer möglich.

"Norwegen weint, doch es ist eine weitgehend nach innen gerichtete Trauer", stellt die Märkische Allgemeine fest. Schrille Töne seien kaum zu hören: "Das Land besinnt sich auf seine Traditionen und verkündet, sich seine Freiheit, seine Friedfertigkeit, seine Offenheit nicht nehmen lassen zu wollen". Es sei "ein Bekenntnis zur Demokratie, wie es deutlicher nicht ausfallen" könne, ein "unaufgeregtes Bekenntnis zum Rechtsstaat", das "sich wohltuend von der in Teilen hysterischen Debatte in Deutschland, die Monstren wie eine Datei für auffällige Menschen gebiert" unterscheide. Der Kommentator der in Potsdam erscheinenden Tageszeitung appelliert: "Vielleicht sollten wir, die wir nicht direkt betroffen sind, einen Moment innehalten und uns fragen, ob wir nicht etwas lernen können vom würdevollen Umgang der Norweger mit dieser Krise".

Die Berliner Zeitung reagiert auf die durch die Ereignisse in Norwegen erneut losgetretene Sicherheitsdebatte in Deutschland bissig: "Da besitzen die vernageltsten Politiker der Union den Zynismus, die Attentate zur Befeuerung ihrer Forderungen nach mehr Datenspeicherung und Verboten im Internet zu missbrauchen. Keine der beiden Maßnahmen hätte die Verbrechen des Anders Behring Breivik verhindert. Es ist nötig, die politische Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus und seinem weit in die bürgerliche Gesellschaft reichenden Gedankengut entschiedener als bisher zu führen, das ist wahr. Immer mehr Überwachung aber führt im Ergebnis zu immer weniger Demokratie".

Die Tageszeitung (taz) aus Berlin übt Kritik an der linksorientierten Regierung Norwegens, indem sie ihr fehlendes Engagement gegen Rechts vorwirft: "Nachdenken ist auch bei Stoltenbergs Sozialdemokraten angesagt. Die Partei hat eine ernsthafte ideologische Auseinandersetzung mit den Rechtspopulisten allzuoft vermissen lassen. Das überließ sie weitgehend dem Jugendverband AUF, den Jungsozialisten. Nicht von ungefähr wurden die Organisation und ihr Sommerlager zur speziellen Zielscheibe". Von daher müsse sich die Partei "vorwerfen lassen, der Fortschrittspartei fast kampflos ein politisches Terrain überlassen zu haben, das diese im Lauf der Jahre stetig vergrößern konnte. Sie hat auch keinen entschiedenen Gegenkurs gegen deren einwanderungsfeindliche Linie gefahren, aus Furcht damit womöglich den ein oder anderen Wähler aus den eigenen Reihen zu verschrecken".

"Natürlich muss auch nach Oslo über Sicherheit diskutiert werden, gehört über geistige Nährböden und gesellschaftliche Rahmenbedingungen nachgedacht", stimmt das Mindener Tageblatt in den Tenor der taz ein - gibt aber zugleich zu bedenken, dass "noch so lautes rhetorisches Kriegsgeschrei "nicht an der bitteren Erkenntnis" vorbeiführe, "dass der Spezies Mensch seelische Abgründe möglich sind, in die man manchmal nur rat- und hilflos blicken kann".

"Natürlich wird sich Norwegen unbequeme Fragen stellen müssen: rund um die Hintergründe der Anschläge und rund um den Mann, der sie begehen konnte", schreibt der Westfälische Anzeiger – und schiebt nach: "Die Antworten werden vielleicht ebenfalls unbequem sein". Ein Signal aber stehe, so die Zeitung aus Hamm: "Dieses Land und seine Menschen sind fest entschlossen, sich nicht in eine Festung der Intoleranz verwandeln zu lassen. Tränen, unübersehbare Trauer, ja. Dahinter aber: kein Rückzug in Hass und Fremdenfeindlichkeit, keinerlei Anzeichen für eine neue Unkultur des Misstrauens. Was dieses Norwegen der Welt vorlebt, ist Größe. Und die verdient einfach Bewunderung!".

Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Susanne Niedorf-Schipke

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