Bundespräsident in der Eurokrise "Wulff hätte besser geschwiegen"
24.08.2011, 20:20 UhrDer Bundespräsident Christian Wulff hält den massiven Aufkauf von Staatsanleihen einzelner Staaten durch die Europäische Zentralbank für politisch und rechtlich bedenklich. Damit kritisiert er europäische Spitzenpolitiker und die Währungshüter - und er meldet sich damit erstmals in der Eurokrise zu Wort.
Während einige den Hut ziehen und ihn als emanzipierten Kritiker sehen, meinen andere, er hätte lieber den Mund halten sollen. Erstens sage er nicht Neues und zweitens biete er kein rettendes Alternativangebot. Er trage nur zur wachsenden Politikverdrossenheit bei.
"Wenn's um Geld, Schulden und Zukunft geht, ist Klartext gefragt. Das erwartet man von einem Bundespräsidenten", konstatiert die Volksstimme. Christian Wulff habe jedoch auf der Tagung der Nobelpreisträger in Lindau lediglich das wiedergegeben, was Experten bereits gesagt hätten: "Die Europäische Zentralbank ist weder unabhängig noch unparteiisch, seit sie milliardenschwere Schuldscheine von Pleite-Staaten hält. Auch das ist nicht unbekannt: Innerhalb der EU haben Politiker jahrzehntelang Schulden angehäuft und sich so in Abhängigkeiten von Banken begeben, die sie nun am Nasenring über die politische Bühne ziehen." Wulff sei mit diesen Aussagen auf das Trittbrett gesprungen. Stattdessen hätte er aber erläutern können, "warum Europa ohne Euro im Wettbewerb mit China oder Indien in vielleicht fünfzehn Jahren nicht mehr ernst genommen werden würde. Er hätte auch sagen können, dass Deutschland in Europa großes Gewicht hat, aber ohne Europa nichts ist. Hat er aber nicht."
Ganz anders bewertet die Leipziger Volkszeitung den Auftritt Wulffs – sie zieht die Hut: "Mit seinen Bemerkungen hat Wulff das getan, was sich viele Bürger von der Kanzlerin erwartet haben. Unwohlsein wurde formuliert, Kritik geäußert und Adressaten wurden benannt. Die zögernden Koalitionspartner, die schwanken zwischen Euro-Kritik und Merkel-Schutz, werden sich ermuntert fühlen, mit Nein zu votieren. Sie können sich hinter dem Bundespräsidenten verstecken. Wulff, der lang und oft schweigt, hat sich tagesaktuell als Kritiker emanzipiert. Chapeau!" Dennoch, fügt das Blatt einschränkend hinzu, bleibe Wulff ebenso wie die Euro-Skeptiker in den Koalitionsreihen den Glaubwürdigkeitsbeweis schuldig: "Kein rettendes Alternativangebot zur aktuellen Politik weit und breit. Der Bundespräsident hat gesprochen."
Ähnlich beurteilt der Mannheimer Morgen den letztgenannten Aspekt: "Auch Wulff hat außer ein paar vagen Ratschlägen keine allzu konkreten Vorstellungen davon, wie sich Europa aus der Schulden-Klammer befreien kann." Doch lege er "den Finger in eine offene Wunde. Und er hat ja recht: Europas politische Elite vermittelt im Kräftemessen mit den Finanzmärkten zu wenig Vertrauen, zeigt nicht die nötige Führungsstärke. Die Bürger erwarten, dass nicht Banken und Börsen die Richtung vorgeben, und schließlich, dass die Schuldenstaaten in die Pflicht genommen werden. Rettungsschirme aufspannen kann jeder."
Die Westdeutsche Zeitung kanzelt den Bundespräsidenten ab. Auch Altbundeskanzler Helmut Kohl bekommt sein Fett weg. Denn an deren Kritiken an der Bundesregierung sei "fatal, dass beide - auch wenn sie aus unterschiedlichen Motiven handeln - das gleiche Ziel erreichen: Die Politikverdrossenheit wächst, wenn selbst oberste Repräsentanten so plump auf Politiker einschlagen. Somit sinken auch die Chancen, künftig kluge Köpfe als Gestalter unserer Zukunft zu gewinnen. Kohl und Wulff hätten besser geschwiegen - oder zumindest ihre Formulierungen besser abgewogen."
"Christian Wulff tut so, als sei die von ihm kritisierte Unterwerfung der Politik unter Macht und Logik der Märkte vom Himmel gefallen", meint die Frankfurter Rundschau und macht auf des Bundespräsidenten politische Vergangenheit aufmerksam: "Es war aber auch und gerade die CDU, deren Politik Wulff als stellvertretender Parteivorsitzender und Ministerpräsident über Jahre mitbestimmte, die diesen Irrweg entschlossen verfolgte. Ein Irrweg, der übrigens auch die Raffke-Mentalität in den Eliten befördert hat." Ein Mann wie Wulff sollte dafür Mitverantwortung übernehmen. Er sollte sich trauen, "eine selbstkritische Betrachtung der grundlegenden und, wie sich nun zeigt, so verhängnisvollen Fehlentwicklungen der Politik der letzten zwei Jahrzehnte zu beginnen". Das täte nicht nur der Debatte in Deutschland gut; Wulff könne damit auch zeigen, "dass er ein mutiger Bundespräsident ist".
Auch die Ludwigsburger Kreiszeitung sieht Wulff weit von einem mutigen Bundespräsidenten entfernt. "Lange hat Bundespräsident Christian Wulff auf seine Einschätzung warten lassen. Doch gerade in der Euro-Krise, in der mit Milliarden jongliert wird, als handele es sich um Spielgeld, hätte der Bundespräsident sie eher abgeben müssen. Denn die Verunsicherung der Bürger über die Folgen der Maßnahmen ist spürbar. Dass es nun so aussieht, als habe erst die aktuelle Debatte in der Union über Angela Merkels Krisenpolitik dem einstigen CDU-Ministerpräsidenten den Impuls gegeben sich zu äußern, zeigt: Christian Wulff ist noch immer mehr Berufspolitiker als Bürgerpräsident."
Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Julia Kreutziger