Recht verständlich Kündigung wegen Rauchpausen?
18.11.2022, 07:01 Uhr
Entschuldigt Nikotinsucht alles?
(Foto: Christin Klose/dpa-tmn)
Eine Mitarbeiterin trägt ihre Rauchpausen entgegen der betrieblichen Regelungen nicht in der Arbeitszeiterfassung ein. Dadurch wurden binnen kurzer Zeit mehr als 20 Pausen falsch als Arbeitszeit erfasst- der Arbeitgeber sieht darin Arbeitszeitbetrug und kündigt fristlos, hilfsweise fristgerecht - zu Recht?
Das Thüringer Landesarbeitsgericht (LAG), Az.: 1 Sa 18/21 entschied, dass Arbeitszeitbetrug und beharrliche Verstöße gegen Arbeitszeiterfassungspflichten auch bei einer 30-jährigen Beschäftigungszeit eine fristlose Kündigung rechtfertigen können. Arbeitsbetrug einer solchen Qualität liege dann vor, wenn bis zu sechs Raucherpausen pro Tag entgegen der betrieblichen Regelung nicht als Pausen, sondern als Arbeitszeit erfasst werden. Entscheidend sei der mit der Pflichtverletzung verbundene schwere Vertrauensbruch. Dies werde nicht etwa durch Nikotinsucht entschuldigt.
Wie war der Fall genau?
Eine langjährige Mitarbeiterin einer Arbeitsagentur verstieß mehrfach gegen die geltende Dienstvereinbarung zur Flexibilisierung der Arbeitszeit, indem sie ihre Raucherpausen nicht dokumentierte. Die Dienstvereinbarung regelte ein Arbeitszeitkonto mit Gleitzeitvereinbarung und führte die Pflicht auf, dass die Arbeitszeit bei jedem Betreten und Verlassen des Dienstgebäudes zu erfassen sei, dies galt auch für das Erfassen der im Allgemeinen und auch Raucherpausen im Speziellen.
Es stellte sich heraus, dass die Mitarbeiterin im Januar 2019 mehrfach ihre Rauchpausen nicht als Pause erfasst hatte, sodass diese Zeiten im Arbeitszeitkonto falsch als Arbeitszeit verbucht wurden. In kurzer Folge waren es in einem Monat an insgesamt 7 Tagen mehr als 20 Pausen, deren Bezahlung so erschlichen wurde, zum Teil bis zu sechs Mal täglich. Die Mitarbeiterin räumte dies bei der Anhörung zu dem Verdacht der Arbeitszeitmanipulation ein und verwies neben einer Entschuldigung darauf, dass sie als Raucherin nikotinsüchtig sei und regelmäßige Zigarettenpausen benötige. Sie rauche außerdem seit Jahrzehnten und bis vor zwei Jahren seien in der Praxis die "wilden Pausen" geduldet wurden, deshalb sei dies aufgrund betrieblicher Übung auch weiterhin erlaubt. Außerdem habe sie immer in der Gruppe geraucht und die anderen Kollegen seien nicht gekündigt worden. Die Arbeitgeberseite kündigte dennoch nach Anhörung des Personalrats fristlos, hilfsweise fristgerecht. Die Mitarbeiterin erhob Kündigungsschutzklage.
Das Urteil
In der Berufungsinstanz ging es zwar "nur noch" um die fristgerechte Kündigung, die LAG-Richter deuten aber an, dass beharrlicher Arbeitszeitbetrug und mehrfacher Verstoß gegen Dokumentationspflichten durchaus auch eine fristlose Kündigung rechtfertigen können. Erst recht sei dann die ordentliche Kündigung wirksam. Es komme dabei nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch an. Der Arbeitgeber müsse auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit von am Gleitzeitmodell teilnehmenden Arbeitnehmern vertrauen können.
Die Erfassungspflicht auch der Pausen sei bekannt gewesen, daher liege ein vorsätzlicher Verstoß vor. Soweit die Klägerin mit dem Vortrag, sie habe immer in der Gruppe geraucht, sei aber als Einzige gekündigt worden, einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz geltend machen will, blieb erfolglos, weil sie überhaupt nichts dazu vortrug, ob diese anderen Raucher ebenfalls wie sie die Pausen nicht erfassten. Damit stand gar nicht fest, ob es überhaupt vergleichbare Sachverhalte waren. Auf eine etwaige betriebliche Übung "wilder Raucherpausen" kommt es wegen der Dienstvereinbarung mit der ausdrücklichen Verpflichtung zur Erfassung der Raucherpausen nicht an. Die vorgetragene Nikotinsucht könne allenfalls die größere Zahl der Raucherpausen erklären, die der Mitarbeiterin aber nicht vorgeworfen werden. Die Sucht stelle aber keine Rechtfertigung für den beharrlichen Verstoß gegen Dokumentationspflichten dar.
Bei einem solchen beharrlichen Erschleichen bezahlter Pausen halfen der Klägerin nach Auffassung der Richter bei der erforderlichen Interessenabwägung auch nicht ihre Sozialdaten, insbesondere auch nicht die 30-jährige Betriebszugehörigkeit. Eine Abmahnung sei bei einem solchen Sachverhalt mit mehr als 20 erschlichenen Pausen innerhalb weniger Tage entbehrlich. Die fristgerechte Kündigung wurde durch das LAG für wirksam erachtet.
Rechtsanwältin Dr. Alexandra Henkel ist Fachanwältin für Arbeitsrecht, Wirtschaftsmediatorin, Business Coach und zertifizierte Datenschutzbeauftragte (TÜV).
Quelle: ntv.de