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Hessen Studie beleuchtet täterschützende Strukturen in der EKKW

Welche Faktoren begünstigten sexualisierte Gewalt in der Kirche? Die Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck zieht Lehren aus Fehlern der Vergangenheit und setzt auf klare Regeln sowie Aufklärung.

Kassel (dpa/lhe) - Die Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW), Beate Hofmann, setzt sich für die weitere Aufklärung von sexualisierter Gewalt im kirchlichen Kontext ein. Auch wenn es inzwischen eine stärkere Sensibilisierung gebe, fänden sexualisierte Gewalt und Missbrauch weiterhin statt, sagte sie bei der Präsentation einer Studie der Universität Kassel im Auftrag der EKKW zu sexualisierter Gewalt durch Gemeindepfarrer. "Mit dieser Tatsache müssen wir umgehen und bringen darum intensiv Prävention, Intervention und Aufarbeitung voran", erklärte sie. 

Welche Strukturen schützen Täter?

Die Studie "Sexualisierte Gewalt durch einen hessischen evangelischen Gemeindepfarrer in den 1980er Jahren" fragt nach Ermöglichungsbedingungen sexualisierter Gewalt und dabei insbesondere nach täterschützenden Strukturen und Mechanismen. Ausgangspunkt des Forschungsprojektes waren Übergriffe durch einen Pfarrer der EKKW, der 2022 von einem kirchlichen Gericht wegen sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen in den 1980er-Jahren verurteilt worden war.

Für das Forschungsprojekt wurden Interviews mit Betroffenen und anderen Zeitzeuginnen und -zeugen geführt und ausgewertet sowie Dokumente analysiert. Das Ergebnis: Die Bedingungen, die sexualisierte Gewalt in dem untersuchten Fall ermöglichten, waren ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren. 

Gesellschaftliche Veränderungen und Wandel in Jugendarbeit 

Dazu zählten laut den Projektleiterinnen Mechthild Bereswill (Fachgebiet Soziologie sozialer Differenzierung und Soziokultur) und Theresia Höynck (Fachgebiet Recht der Kindheit und der Jugend) unter anderem gesamtgesellschaftliche Veränderungen der späten 1970er und 1980er Jahre und der damit einhergehende Bedeutungswandel von Jugend.

"Hierarchien zwischen Jugendlichen und Erwachsenen werden abgebaut. Jugendliche werden in Gruppenleitungen und Gremien eingebunden und sie können halbwegs eigenständig über Räume verfügen und werden als eigene Interessengruppe adressiert", schilderte Höynck. 

Pädagogische Macht von Pfarrern

Der Pfarrer habe in dieser dynamischen Situation des Wandels über ganz erhebliche Gestaltungs-, Entscheidungs- und Deutungsmacht verfügt und diese intensiv ausgeweitet und genutzt. "Den Jugendlichen mehr Macht einzuräumen, etwa durch eine Gruppenleitung, verstärkt für ihn als Akteur, der diese Ermächtigung ermöglicht, zugleich die eigene Macht." Die Untersuchung zeige die theologische, vor allem aber auch die pädagogische Macht, die mit dem Amt des Pfarrers verbunden sei.

Bischöfin Hofmann warb für klare Regeln zu Nähe und Distanz, die in der Präventionsarbeit der Landeskirche bereits verankert seien. Zudem gelte es, Menschen zu bestärken, "Grenzen zu setzen, sprachfähig zu werden über das, was sie nicht möchten, und ihr Selbstvertrauen zu stärken". Dies geschehe durch Schulungen und soll durch Konzepte sexueller Bildung in den verschiedenen Strukturen der Landeskirche weiter gefördert werden.

Hofmann räumt Fehler der Kirchenleitung ein

"Uns als gegenwärtige Kirchenleitung ist bewusst, dass unsere Kirche schwerwiegende Fehler gemacht hat", sagte Hofmann. Durch kirchenleitendes Versagen sei großes Leid nicht verhindert, sondern verlängert worden. "Verantwortliche haben nicht – oder nicht zum Wohl der Betroffenen – gehandelt; sie haben weggeschaut, bagatellisiert und vertuscht. Und unsere Strukturen haben dieses Versagen ermöglicht. Deshalb braucht es hier weitere Aufarbeitung." 

"Täter müssen wissen, dass wir nicht mehr wegschauen", betonte Hofmann. "Wir tun alles, was in unserer Macht steht, damit Menschen uns berechtigt vertrauen können. Die vorliegende Studie unterstütze die EKKW dabei, typische täterschützende Strukturen aufzudecken und zu verändern. "Sie ist ein Teil unseres entschlossenen Einsatzes gegen sexualisierte Gewalt."

Quelle: dpa

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