Rheinland-Pfalz & Saarland Arbeitslos und ausgegrenzt: Der Kampf gegen Armut
16.10.2025, 12:32 Uhr
Armut ist nach Einschätzung von Sozialverbänden trotz aller Bemühungen auch in Rheinland-Pfalz ein Problem. Der VdK bemängelt einen Zwei-Klassen-Sozialstaat.
Mainz (dpa/lrs) - Obdachlosigkeit, soziale Ausgrenzung, Arbeitslosigkeit sowie Scham, Einsamkeit, Krankheit: Armut hat viele Gesichter - auch in Rheinland-Pfalz. "Die Armutsgefährdungsquote in Rheinland-Pfalz ist im Vergleich zum Bundesmittel leicht überdurchschnittlich", heißt es in dem im Sommer veröffentlichten Armuts- und Reichtumsbericht der Landesregierung, der die Corona-Jahre umfasst.
Armut trifft vor allem Alleinerziehende und bestimmte Regionen
"Armut ist in Rheinland-Pfalz ein großes Problem, vor allem in bestimmten Regionen und bei Alleinerziehenden", stellt der Vorsitzende des Sozialverbands VdK Rheinland-Pfalz, Willi Jäger, mit Blick auf den 7. Armutsbericht fest. "In der Westpfalz ist jeder Fünfte armutsgefährdet, bei Alleinerziehenden fast jede Zweite."
"Weitere überdurchschnittlich häufig armutsgefährdete Gruppen sind jüngere Personen, ältere Frauen, Erwerbslose, gering qualifizierte Personen, ausländische Staatsangehörige sowie Personen mit Migrationshintergrund", heißt es in dem Bericht.
"In den Städten Pirmasens, Ludwigshafen, Kaiserslautern, Worms, Frankenthal, Zweibrücken und Koblenz sind die Überschuldungsquoten besonders hoch", ist in dem Papier zu lesen. "In diesen und weiteren kreisfreien Städten sowie im Landkreis Kusel sind die öffentlichen Haushalte ebenfalls besonders überschuldet."
Aktionsplan gegen Armut der Landesregierung
"Mit dem Aktionsplan gegen Armut setzen wir auf nachhaltige Teilhabe statt kurzfristiger Hilfen", sagt Sozialministerin Dörte Schall (SPD). "Wir fördern Qualifizierung und Arbeitsmarktintegration, stärken mit lokalen Servicestellen Armutsprävention und mit Orten des sozialen Zusammenhalts den sozialen Zusammenhalt vor Ort."
Dazu kommen Schuldnerberatungen, vier Clearingstellen zum Krankenversicherungsschutz und das Projekt Housing First. Dabei steht in fünf Städten die Vermittlung des Wohnraums am Anfang eines Hilfeprozesses für Wohnsitzlose.
Schalls Ministerium fördert zudem Projekte für sozial und wirtschaftlich benachteiligte Kinder sowie die Gemeinwesenarbeit in sozial benachteiligten Stadt- und Ortsteilen. Modellhaft werden auch Fachberatungsstellen zur Sicherung von Wohnungen finanziell unterstützt - und die Tafeln.
Alle in den Blick nehmen - auch Reiche
"Armut ist ein vielschichtiges Problem und muss auf unterschiedlichen Ebenen angegangen werden", sagt Carmen Maurer vom Verein Armut und Gesundheit in Mainz. "Über allem steht immer: Reichtum beachten und begrenzen."
Die obersten zehn Prozent besitzen nach Darstellung des - von dem schwer erkrankten Sozialmediziner Gerhard Trabert gegründeten - Mainzer Vereins rund 40 Prozent des Vermögens in Rheinland-Pfalz. Einige Menschen und Familien hätten teils zweistellige Milliardenvermögen.
Im Armuts- und Reichtumsbericht spiele Reichtum aber "quasi keine Rolle", stellt Maurer fest. "Politische Verantwortung bedeutet, diese Spaltung klar zu benennen und Maßnahmen zu prüfen, die Überreichtum regulieren, das Gemeinwohl stärken und damit Armut automatisch verringern."
Trotz einer differenzierten Betrachtung erfassten die Durchschnittswerte in dem Bericht nicht die extremsten Lebenslagen, stellt der Verein fest. Menschen ohne festen Wohnsitz und mit eingeschränktem Zugang zur Gesundheitsversorgung sowie Zugewanderte nennt der Verein mit einem Arzt-Mobil für Obdachlose und einer Clearingstelle für Menschen ohne Krankenversicherung als Beispiele. Dies sei für ein realistisches Bild, die notwendige Versorgung und politische Maßnahmen aber wichtig.
Auf Wohnungen, Bildung und die Chancen für Kinder kommt es an
Jäger vom VdK fordert: "Wir brauchen gezielte Hilfsprogramme, doppelt so viele Sozialwohnungen und eine Bildungspolitik, die Kinderchancen sichert statt Armut vererbt."
Das Programm der Landesregierung Housing First muss nach Ansicht des Vereins Armut und Gesundheit auf alle Kommunen ausgeweitet und verstetigt werden. Ergänzend seien Programme gegen Wohnungsnot wichtig: "Niedrigschwellige Wohnungsvermittlung und Schutz gegen Zwangsräumungen verhindern die Entstehung von Wohnungslosigkeit."
"Bürgergeld, Kindergrundsicherung, Wohngeld – das sind Mittel, die zur Armutsbekämpfung aufgewendet und nicht infrage gestellt werden dürfen", sagt die DGB-Landesvorsitzende Susanne Wingertszahn. Wichtig sei auch eine stabile Rente. "Alter darf kein Armutsrisiko sein. Der Sozialstaat muss hier handeln - und zwar jetzt."
Gute Löhne schützten ebenfalls vor Armut, als allerunterste Grenze der Mindestlohn. Mit der Stärkung der Tarifbindung und der Reduktion prekärer Beschäftigung könnten Bund und Land ihr Scherflein dazu beitragen.
Antragsformulare sind zu kompliziert
"Wir merken wir in unseren VdK-Beratungsstellen, dass viele Menschen die Antragsformulare nicht verstehen und deswegen keine Sozialleistungen beantragen", berichtet Jäger. Beim Wohngeld sei das etwa die Hälfte, beim Kinderzuschlag sogar 70 Prozent. "Alle reden von der Zwei-Klassen-Medizin, aber wir haben längst auch einen Zwei-Klassen-Sozialstaat. Beides ist Sprengstoff für den gesellschaftlichen Zusammenhalt."
Der Caritasverband Deutschland stellt ebenfalls fest: Hilfesuchende
stünden einer zunehmenden Unübersichtlichkeit und Digitalisierung des Antragswesens gegenüber.
Der Verein Armut und Gesundheit fordert: Bürokratische Hürden müssten beim Zugang zu Sozial- und Gesundheitsleistungen verringert werden. Dazu zähle die Bereitstellung von barrierearmen Informationen, eine professionelle Sprachmittlung im Sozial- und Gesundheitssystem und die Einführung von Maßnahmen zum Abbau von Diskriminierung in Behörden und im Gesundheitswesen.
Armut und Gesundheit bedingen sich
"Armut und Gesundheit bedingen einander", heißt es im Bericht der Landesregierung. Dieser Zusammenhang habe sich in den letzten Jahren auch nicht verringert. Auf der Ebene der Länder existierten dazu aber nur wenige vergleichbare und aussagekräftige Daten.
"Regional fällt auf, dass die Lebenserwartung bei Frauen vor allem im Landkreis Birkenfeld sowie in Pirmasens unterdurchschnittlich hoch ist, bei Männern war das im Westerwaldkreis, im Landkreis Birkenfeld sowie in den Städten Trier, Worms und Pirmasens der Fall", stellt der Bericht fest.
Quelle: dpa