Worauf Anfänger achten müssen Laufschuhe für schwere Läufer im Check
13.06.2022, 14:39 Uhr
Die Testkandidaten (v.l.n.r.): Hoka Arahi 6, Saucony München 4 und Brooks Glycerin GTS 20
(Foto: ntv)
Auch Menschen, deren Körpergewicht nicht dem Idealbild aus der Fitnesswerbung entspricht, können joggen gehen. Mittlerweile haben die Hersteller eine große Auswahl an Laufschuhen für schwere Läufer im Angebot. Doch das heißt nicht, dass auch jedes Modell automatisch für jeden Fuß geeignet ist. Tipps für den Laufschuhkauf und die passenden Schuhe im Check.
In der Werbung sieht immer alles so einfach aus: Schlanke Menschen joggen lächelnd durch Wälder oder Parks, während die Sonne im Hintergrund die Szenerie in ein goldenes Licht taucht. In der Realität entspricht dagegen das Körpergewicht von Läuferinnen und Läufern längst nicht immer dem Idealbild vom Zeitschriftencover – und das ist auch überhaupt nicht nötig. Wer seiner Gesundheit etwas Gutes tun will, braucht nicht ständig neue Geschwindigkeitsrekorde aufzustellen. Unser Herz-Kreislauf-System mag langsames und gleichmäßiges Ausdauertraining.
Die Vorteile des Laufens:
- Die Gefäße werden weiter und elastischer
- Unser Fettstoffwechsel wird angekurbelt
- Bewegung baut Stress ab
- Regelmäßiges Ausdauertraining kann zu hohen Blutdruck senken
Wer aber als Anfänger mit dem Laufen beginnen möchte, hat zunächst die Qual der Wahl: Es gibt mittlerweile unzählige Modelle für schwere Läufer. Wer sich noch nicht mit der Materie beschäftigt hat, muss sich erst mal einen Überblick verschaffen – und das ist gar nicht so einfach. Abhilfe schafft da eine Beratung im Fachgeschäft. Wer hier arbeitet, ist selbst passionierter Läufer und kennt sich aus mit Laufstilen, Fußtypen und Gewichtsklassen.
Ab wann gilt man als schwerer Läufer?
Alexander Bermel ist beim Laufladen Bunert in Köln für die Beratung zuständig und räumt erstmal auf mit dem Vorurteil, dass Menschen mit Übergewicht nicht laufen dürfen. "Schwere Menschen haben ein erhöhtes Risiko für Gelenkverschleiß und der ist durch das Laufen erwiesenermaßen nicht größer - im Gegenteil", stellt er klar. "Durch das Laufen habe ich die Chance, Gewicht zu verlieren und meine Gesundheit zu verbessern. Laufen ist ein sehr dankbarer Sport, bei dem ich schnell die positive Wirkung merke." Wichtig aber: Stark übergewichtige Menschen sollten vorher mit ihrem Arzt abklären, ob ihr Herz-Kreislauf-System die Belastung verträgt.
Die Frage, ab wann Menschen als schwere Läufer gelten, ist dabei gar nicht so leicht zu beantworten. Bei Frauen seien es 70 bis 75 Kilogramm und bei Männern 90 bis 95, sagt Bermel. "Die Zahl sagt aber noch nichts darüber aus, wie die Verfassung und Konstitution von Menschen ist. Ich muss mir immer anschauen: Steht da ein Mensch vor mir, der 1,90 Meter groß ist und 90 Kilogramm wiegt? Oder steht da jemand, der 1,70 Meter ist und 90 Kilogramm wiegt? Deswegen sollte sich von den reinen Zahlen niemand abschrecken lassen."
Schuhkauf: Darauf kommt es an
Wer sich im Geschäft beraten lässt, finde auch den passenden Schuh, so Bermel. Und der muss einiges leisten: Ein Laufschuh ist ein Sportgerät und federt bei jedem Schritt das Dreieinhalb- bis Vierfache des Körpergewichts ab. Auf diese Punkte kommt es beim Laufschukauf an:
- Den alten Laufschuh mit ins Geschäft bringen: Er verrät dem Profi schon einiges über den Laufstil.
- Kenne deinen Fuß: Wie kommen wir beim Laufen auf? Wie rollen wir ab? Fußfehlstellungen sind mit dem passenden Stabilschuh oft kein Problem mehr. Eine Laufanalyse im Fachgeschäft bringt Klarheit.
- Die richtige Größe finden: Unsere übliche Schuhgröße muss nicht unbedingt auch bei Laufschuhen passen. Tendenziell besser eine Nummer größer kaufen, damit die Zehen bei der Landung genug Platz haben, wenn sie etwas nach vorn rutschen.
- Dämpfung ist nicht alles: "In einem sehr weichen und sehr gedämpften Schuh verliere ich mich sehr schnell. Das macht mich instabil, wenn ich einen Schuh habe, der sich komplett verformt und der unter meinem Körpergewicht nachgibt", so Bermel. Sein Expertentipp: Einen Kompromiss finden aus einer komfortablen Dämpfung und ausreichender Stabilisierung, denn das Eine schließt das Andere nicht aus.
Wer also einfach im Internet auf gut Glück bestellt, macht vielleicht ein Schnäppchen, läuft aber auch Gefahr, bei den unzähligen Modellen und Kategorien am Ende beim falschen Schuh zu landen. Zeit also für eine Laufanalyse.
Neutralläufer? Überpronation? Supination?
Zunächst lässt Bermel seine Kunden auf Socken durch den Laden laufen und filmt sie dabei. So sieht er, wie sie sich ohne Schuhe bewegen und kann ihnen hinterher besser erklären, worauf es bei ihrem Laufstil ankommt. Die meisten von ihnen kommen mit der Ferse auf, rollen gerade über den Fuß ab, ohne dabei mit dem Sprunggelenk zu sehr nach innen oder außen zu kippen. Für sie kommen deshalb neutrale Laufschuhe infrage. Anders wäre das, wenn der Fuß nach Bodenkontakt zu sehr nach innen (Überpronation) oder außen (Supination) abknicken würde – dann muss der Schuh besondere Unterstützung liefern, um diese Bewegung auszugleichen. Der Schuh muss komfortabel sitzen und darf an keiner Stelle unangenehm drücken oder scheuern.
Anschließend geht’s zum Fuß vermessen auf die Größenschablone. Bermel sucht für den Laufschuhtest mehrere Modelle für schwere Neutralläufer aus. Schon beim Anprobieren zeigt sich: Einfach die übliche Schuhgröße nehmen und ab dafür – läuft nicht! Ein Modell ist an der Seite zu eng, ein anderes zu klein, das nächste sortiert Bermel aus, weil es zu viel dämpft. Schließlich finden sich drei passende Kandidaten: Glycerin GTS 20 von Brooks, München 4 von Saucony und Arahi 6 von Hoka.
Joggingschuhe im Test: Bedingungen und Kandidaten
Die Bedingungen: Mit jedem Paar wird die gleiche gut zehn Kilometer lange Strecke im Kölner Stadtwald gelaufen. Der Großteil gemütlich mit einer Zeit von ungefähr 7 Minuten pro Kilometer und einen Teil schneller mit 5:30 Minuten. Klar, ein Marathon mit jedem Schuh wäre sicher besser, aber wer die 42,195 Kilometer schafft, weiß auch, welches Modell er braucht. Der Untergrund besteht aus Asphalt, Schotter und ein bisschen Waldweg – ein guter Mix, bei dem die Schuhe zeigen müssen, wie flexibel sie sind.
Vorher wird gecheckt, was die Hersteller versprechen und für wen die Schuhe geeignet sein sollen. Nach dem Laufen wird der Eindruck aufgeschrieben. Auf geht’s.
Brooks Glycerin 20 GTS
- Gewicht laut Küchenwaage: 356 Gramm
- Kosten (UVP): 180 Euro
Geeignet für:
- Schwere und neutrale Läufer, die nicht oder nur leicht überpronieren
Merkmale laut Hersteller:
- Komfort durch weiche und reaktive Zwischensohle aus Schaum für eine sehr gute Dämpfung
- Stabilität durch breite Sohle und breite Auflagefläche
- "Guiderail"-Technologie: Funktioniert wie eine Leitplanke und stabilisiert den Fuß nur dann, wenn er unsauber landet und Stabilität auch braucht.
Der Effekt:
- Komfort und Stabilität auf festem Untergrund auch auf langen Strecken
- Sauberes und neutrales Abrollen
Brooks wirbt für seinen neuen Glycerin GTS mit nichts anderem als dem "besten Support der Branche für überragenden Komfort". Für den stolzen Preis von 180 Euro ist das allerdings auch nicht zu viel verlangt. Äußerlich unterscheidet sich der Glycerin kaum von anderen Laufschuhen, doch schon beim Reinschlüpfen zeigt sich: Dieser Schuh ist wirklich komfortabel. Das Air-Mesh-Obermaterial passt sich geschmeidig an den Fuß an und die Sohle wirkt trotz stützender Guide Rails erstaunlich bequem für einen Stabilschuh.
Im Vergleich zum Hoka Arahi merkt man beim Glycerin während des Joggens kaum etwas von den stabilisierenden Elementen. Klar, bei unserem Laufstil ist sicher noch Luft nach oben, doch bei einem neutralen Abrollverhalten scheint die Guiderail-Technologie tatsächlich nicht besonders viel zu tun zu haben. Anders sieht das wahrscheinlich aus, wenn die Füße nach einem langen Lauf müde sind. Durch das weiche Tragegefühl ist der Glycerin tatsächlich das Sofa unter den Stabilschuhen – butterweich gedämpft mit einem komfortablen Tragegefühl, aber auch dem höchsten Gewicht im Test. Das macht ihn zum optimalen Begleiter für lange Erholungsläufe auf hartem Untergrund in gemütlichem Tempo.
Fazit: Wer in den Laufsport einsteigen oder nach einer Verletzung wieder mit dem Training beginnen möchte, dürfte mit dem Glycerin 20 GTS ein geeignetes Modell finden, um die Kilometerzahl sukzessive zu steigern. Für schnellere Runden ist der Schuh dagegen auf Dauer zu soft – doch das ist auch nicht der Anspruch dieses Dämpfungs-Monsters.
Saucony München 4
- Gewicht laut Küchenwaage: 290 Gramm
- Kosten (UVP): 150 Euro
Geeignet für:
- Schwere und neutrale Läufer, die nicht oder nur leicht überpronieren
- Etwas schmalere Passform und moderate Dämpfung
Merkmale laut Hersteller:
- Feste aufgeschäumter Zwischensohle, insbesondere unter dem Fußgewölbe
- Struktur und Festigkeit durch Obermaterial und Verstärkung der Zehenbox
- Energierückgewinnung durch Schaum in der Zwischensohle
Der Effekt:
- Müheloses Laufgefühl
- Viel Stabilität auf festem Untergrund auch für lange Strecken
Saucony beschreibt den München 4 als "optimalen Partner für Fersenläufer" – gepolstert und butterweich beim Laufen. Klingt nach einem passenden Schuh für den Ottonormalläufer. Das Erscheinungsbild unterscheidet sich nicht von den Laufschuhen anderer Marken, auf der Küchenwaage zumindest zeigt sich der München 4 mit 290 Gramm als leichtester der Testkandidaten – da können sich andere Hersteller durchaus eine Scheibe abschneiden.
Das Mesh-Obermaterial ist bequem und passt sich dem Fuß gut an. Der Schuh fällt normal aus und im Test fühlt sich der Fuß fühlt sich sofort wohl darin. Im Vergleich zum Modell von Brooks stellt sich mit dem Saucony beim Laufen ein festeres Gefühl ein. Durch die moderatere Dämpfung hat man das Gefühl, vor allem mit dem vorderen Teil des Fußes näher am Boden zu stehen. Gleichzeitig vermittelt der Schuh auch ohne künstliche Stützen ein stabiles Laufgefühl und den nötigen Komfort. Die Belastung beim Aufkommen steckt der Saucony mühelos weg und auch der Abrollprozess gestaltet sich dynamisch. Tatsächlich entsteht im Test der Eindruck, dass beim Laufen mehr Energie als üblich zur Verfügung steht - Zufall?
Fazit: Neutrale Läufer, die auf der Suche nach einem Allrounder sind, bekommen mit dem München 4 den vielseitigsten Schuh im Test, der bei weiter fortgeschrittenem Training auch schnellere Einheiten problemlos mitmacht. Wer dagegen den Fokus auf maximale Dämpfung oder Stabilität legt, greift zu einem der anderen beiden Kandidaten.
Hoka Arahi 6
- Gewicht laut Küchenwaage: 313 Gramm
- Kosten (UVP): 150 Euro
Geeignet für:
- Schwere und neutrale Läufer, die nicht oder nur leicht überpronieren
Merkmale laut Hersteller:
- Stabilität durch Zwischensohlenstütze und Rahmen, in dem der Fuß wie in einer Schale eingebettet wird
- Stabilität durch breite Sohle und breite Auflagefläche
- Zwischensohle aus leichtem und reaktivem Schaum
Der Effekt:
- "Rundes" und sehr dynamisches Laufgefühl
- Kombination aus Dynamik und Stabilität auch für lange Strecken
- Verbessertes Abrollen und Entlastung der Ferse durch Hoka-typische runde Sohlenform
Klar, das schwarze Design könnte durchaus als langweilig bezeichnet werden, man kann darin jedoch auch eine angenehm unaufgeregte Abwechslung zu manch anderem Modell sehen, das jede Neonreklame vor Neid erblassen lässt. Aber Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters, schließlich kommt es ohnehin vor allem auf die inneren Werte an. Also rein in den Schuh. Der Hoka Arahi fällt durch seine Rahmenkonstruktion relativ eng aus, es gibt aber auch eine breitere Variante, die beim Testlauf zum Einsatz kommt.
Zunge und Obermaterial fühlen sich bequem und weich an. Werden die Schuhe bis durch das letzte Loch geschnürt, könnte die Zunge allerdings etwas knapp sein. Unterm Fuß kommt der Hoka als Stabilitätsschuh mit einer etwas festeren, aber noch immer komfortablen Dämpfung daher - Schotter und mittelgroße Steine puffert die Sohle problemlos weg. Tatsächlich fühlt es sich an, als wäre der Fuß in eine Schale eingebettet. Der Hoka schmiegt sich um den Fuß und vermittelt auf angenehme Weise das Gefühl, auf Schienen zu laufen. So soll ein Abknicken zur Seite verhindert werden. Besonders bergab macht sich diese zusätzliche Stabilität angenehm bemerkbar, ohne dass das Abrollverhalten eingeschränkt wird.
Fazit: Wer als Laufanfänger auf der Suche nach einer gewissen Stabilität ist und dazu neigt, einzuknicken, trifft mit dem Hoka Arahi 6 eine gute Wahl. Neutralläufer dürften vor allem bei längeren Strecken von dem zusätzlichen Support profitieren.
Fazit: Auf die Beratung kommt es an
Im Test zeigt sich, dass für jeden Laufstil und für jede Gewichtsklasse der passende Schuh dabei ist. Unsere Anatomie macht uns zwar gewisse Vorgaben, doch die Auswahl ist mittlerweile so groß, dass jeder auf seine Kosten kommt. Apropos Kosten: Klar, der Preis für die Schuhe der Markenhersteller fällt durchaus üppig aus. Wer hier sparen will, kann auch zu Vorgängermodellen greifen, die oft reduziert sind. Wichtig aber: Die Hersteller passen ihre Schuhe in jeder Generation an und es kann durchaus sein, dass wesentliche Elemente verändert werden und das Lieblingsmodell auf einmal mit einem ganz anderen Feeling daherkommt. Mittlerweile bieten aber auch diverse Marken in ihren Onlineshops ein gewisses Zeitfenster für einen Probelauf an – gefallen die Schuhe nicht, nimmt der Hersteller sie zurück und erstattet den Preis.
Anfänger sind im wahrsten Sinne am besten beraten, wenn sie für eine Laufanalyse und eine Anprobe ins Fachgeschäft kommen. Dann sitzt der Schuh direkt von Anfang an perfekt und die Verletzungsgefahr durch falsche Ausrüstung sinkt rapide.
Quelle: ntv.de