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"Größtes Spiel meiner Karriere" "60 brutale Minuten" gegen den Giganten und einen Fluch

Zwei, auf die es ankommt: Andreas Wolff und Juri Knorr.

Zwei, auf die es ankommt: Andreas Wolff und Juri Knorr.

(Foto: IMAGO/camera4+)

Die deutsche Handball-Nationalmannschaft hat seit beinahe sieben Jahren kein K.-o.-Spiel mehr gewonnen. Die Chancen stehen auch bei dieser WM nicht besonders gut, aber sie sind da. Das DHB-Team will dem Giganten Frankreich einen großen Kampf liefern.

"Geil, Halbfinale! Da freue ich mich drauf", schrie Kai Häfner durch die Future-Arena von Rio. Die Zukunft schien damals noch rosig für die deutsche Handball-Nationalmannschaft, an diesem 17. August 2016. Der amtierende Europameister hatte gerade im olympischen Viertelfinale Vizeweltmeister Katar demontiert, 34:22 hieß es am Ende. Neben Häfner waren aus der aktuellen DHB-Generation Patrick Groetzki, Paul Drux und Andreas Wolff damals dabei - und gemeinsam kämpfen sie nun erneut gegen diesen K.-o.-Fluch an, der seit diesem Sommertag von Rio auf der Mannschaft zu lasten scheint.

Denn seitdem gab es keinen deutschen Sieg mehr in einem K.-o.-Spiel. Bei der WM 2017 verlor der amtierende Europameister im Achtelfinale gegen Katar, bei der WM 2021 und der Europameisterschaft 2018 und 2022 verpasste das DHB-Team die K.-o.-Runde ganz, bei der Heim-WM 2019 unterlag man im Halbfinale Norwegen deutlich. 2021 war im Viertelfinale der Olympischen Spiele von Tokio gegen Ägypten Endstation. Der Bronzemedaillengewinner von 2016 arbeitet seit Jahren hart daran, wieder in die absolute Weltspitze zurückzukehren.

"Haben von diesem Spiel geträumt"

Nun gibt es mal wieder die Chance, den Fluch zu besiegen. "Von diesem Spiel haben wir geträumt", sagte Spielmacher Juri Knorr vor dem 75. Duell mit dem Olympiasieger und Rekordchampion Frankreich. "Ich kann versprechen, dass wir da noch einmal mit einer ganz anderen Energie auftreten werden. Es hört sich vielleicht martialisch an, aber wir müssen um unser Leben spielen, denn natürlich wollen wir weiterkommen." Mit einem Sieg bliebe die Chance auf die erste WM-Medaille seit dem Triumph von 2007 intakt. Beim Stresstest gegen Norwegen zum Hauptrundenfinale hatte die unerfahrene DHB-Truppe ihre Grenzen aufgezeigt bekommen. Als es darauf ankam, scheiterte man in einem bisweilen wilden Spiel letztendlich an der mangelnden Effizienz.

Frankreich, der Olympiasieger und Rekord-Weltmeister, mit dem immer jungen Superstar Nikola Karabatic, dem überragenden Regisseur Kentin Mahé und dem wohl derzeit weltbesten Linkshänder Dika Mem, sind noch stärker einzuschätzen als Norwegen. "Ein perfektes Spiel" braucht man, um die routinierte Truppe wirklich gefährden zu können, sagte Kapitän Johannes Golla. Das gelang einer deutschen Handball-Nationalmannschaft im entscheidenden Moment ewig nicht mehr. "Wir müssen das Spiel mit Leidenschaft angehen. Wir werden unser Herz in die Hand nehmen und die vielleicht fehlende Erfahrung gegenüber den Franzosen mit Kampf wettmachen", kündigte der bei diesem Turnier wie 2016 überragende Wolff an und forderte: "In solch einem Spiel muss man nicht nur ans Limit gehen, sondern seine Grenzen ausweiten." Europameister Wolff erwartet im Duell mit dem sechsmaligen Weltmeister "brutale 60 Minuten Kampf und Emotion".

Die Indizien sind schwach, aber es ist spürbar, dass die DHB-Klasse von 2023 wenigstens das Potenzial hat, mit einer perfekten Leistung etwas gegen eine Spitzenmannschaft zu gewinnen. Mit fünf Siegen aus den ersten fünf WM-Spielen hatte man sich in einen Flow gespielt, im ersten Härtetest lieferte man den mit viel Weltklasse ausgestatteten Norwegern einen großen Kampf - obwohl sich die deutsche Deckung in der ersten Halbzeit löchrig präsentierte und im Angriff zu viele freie Bälle verworfen wurden. Vom "schwächsten Spiel bei diesem Turnier" sprach Golla. Und Rückraumspieler Christoph Steinert analysierte: "Mit 55 Prozent gehaltener Bälle gewinnt man auf dem Niveau kein Spiel. Machen wir vorne ein paar Dinger mehr rein und spielen ein bisschen aggressiver Abwehr, dann klappt das gegen Frankreich."

Sagosen adelt Knorr auf besondere Weise

Es wäre auch ein optimaler Zeitpunkt für Juri Knorr, den nächsten Schritt auf dem Weg zum Weltklasse-Spielmacher zu gehen. Beim WM-Sieg 2007 war der Sohn des ehemaligen Nationalspielers Thomas Knorr fünf Jahre alt, das glänzende Jahr 2016 verbrachte er in der Jugend des VfL Bad Schwartau. Heute ist Knorr mittendrin und schultert die Last des deutschen Angriffs. Gegen Norwegen hielt der Hochbegabte seine Mannschaft in der wilden Anfangsphase beinahe alleine im Spiel, mit je 37 Toren und Vorlagen führt der 22-Jährige die Scorerliste deutlich vor Superstars wie Mikkel Hansen (bisher 58 Scorerpunkte), Jim Gottfridsson (55) oder Sander Sagosen (53) an.

Achtmal traf er gegen Norwegen - und erfuhr eine ganz besondere Auszeichnung: Sagosen, einer der besten Spieler der Welt, provozierte den deutschen Spielmacher in einer hektischen, hart umkämpften Schlussphase so lange, bis der sich zu einem Schubser hinreißen ließ. Sagosen fiel theatralisch hin, Knorr durfte dennoch auf dem Feld bleiben. "Es ist ein Geben und Nehmen auf dem Feld", sagte Sagosen lachend nach dem Spiel zu der Situation zu "Viaplay". Der Rückraumspieler ergänzte: "In einer so entscheidenden Phase versuchen wir zu verkaufen, was verkauft werden muss."

"Richtiger Zeitpunkt für einen Dämpfer"

Knorr ist längst als der entscheidende Spieler im deutschen Angriffsspiel identifiziert worden. Der Regisseur der Rhein-Neckar Löwen soll endlich mal wieder den Unterschied machen zwischen "Knapp gescheitert" und "Knapp gewonnen". Zu oft hatte es nicht ganz gereicht, als es darauf ankam. Zuletzt am vergangenen Montag gegen Norwegen, wo man sich durch die knappe Niederlage den "schwerstmöglichen Gegner" (Bundestrainer Alfred Gislason) eingebrockt hat. Es ist ein Lernprozess, in dem sich die Mannschaft von Gislason befindet. Auch Knorr musste lernen: "Da sieht man, dass man mit 22 doch etwas aus dem Konzept kommt. In der nächsten Szene fängt er den Kleinkrieg mit Sander Sagosen an. Das wird ihm beim nächsten Mal vielleicht schon nicht mehr passieren", analysierte Weltmeister Dominik Klein in der ARD.

Die Norwegen-Pleite haben sie trotz aller spürbaren Enttäuschung mit dem Blick auf die große Chance gegen Frankreich flugs umgedeutet: "Ich denke, es war der richtige Zeitpunkt für einen kleinen Dämpfer, damit man sich bewusst macht, dass das alles kein Selbstläufer ist", sagte Torwart Wolff, der als eben einer der letzten im Kader mit dem DHB-Team schon mal ein K.o.-Spiel gewonnen hat. Und Knorr, der junge Regisseur, der den deutschen Handball endgültig zurück in die Weltspitze führen soll, freut sich auf das "wahrscheinlich größte Spiel meiner Karriere. Ich bin mir sicher, dass wir ein anderes Gesicht zeigen und alles reinhauen werden. Viele von uns hatten noch nicht so eine Chance, auf der WM-Bühne um die Medaillen mitzuspielen", sagte Knorr und versprach: "Wir werden voll da sein."

Quelle: ntv.de

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