Gigantismus in Las Vegas Aliens, Allüren und Milliarden machen die NBA verrückt
09.07.2023, 06:47 Uhr
"The Sphere".
(Foto: AP)
Trade-Forderungen, ein historischer Draft-Jahrgang, dazu fast 200 neue Verträge im Gesamtwert von beinahe 4 Milliarden US-Dollar - der umtriebige NBA-Sommer hat dafür gesorgt, dass die Kräfteverhältnisse in der besten Basketballliga der Welt erneut mächtig durchgerüttelt wurden.
Ein gigantischer Basketball, 112 Meter hoch und 157 Meter breit, erhellt dieser Tage die Skyline von Las Vegas. Kein echter Basketball, natürlich, sondern die Außenhülle von "The Sphere", das größte kugelförmige Gebäude der Welt, nahe des "Venetian Resort"-Casinos. Mehr als eine Million LED-Lichter, jeweils so groß wie ein Hockey-Puck, übermitteln gerade in aller Farbenfreude die Botschaft der National Basketball Association. Die feiert wie jedes Jahr mit ihrer Summer League in Nevada den inoffiziellen Übergang von einer Saison zur nächsten. Die Message hier ist klar: Größer! Teurer! Besser?
Es war ein richtungsweisender Sommer für die NBA. Weniger als einen Monat nach dem überraschenden ersten Titelgewinn in der Franchise-Geschichte der Denver Nuggets haben sich die Kräfteverhältnisse in der besten Basketball-Liga der Welt erneut kräftig verschoben. Was Ende Mai und Anfang Juni war, zählt so gut wie gar nichts mehr. Was zählt, ist immer nur die Zukunft. Und die sieht plötzlich wieder völlig anders aus als noch vor Wochen.
Wechselwillige Superstars, ein historischer Draft-Jahrgang, dazu fast 200 neue Verträge im Gesamtwert von beinahe 4 Milliarden US-Dollar - all das hat dafür gesorgt, dass die besten Teams in der NBA noch enger zusammengerückt sind, es heute mehr Titelanwärter zur gleichen Zeit gibt als jemals zuvor. Knapp die Hälfte aller 30 Klubs macht sich (mehr oder minder realistische) Championship-Hoffnungen. Der Rest blickt zumindest optimistisch voraus.
Genau das war der intendierte Effekt des neuen Tarifvertrages, der Ende April ratifiziert wurde, und am 1. Juli für die nächsten sieben Jahre in Kraft trat. Vorbei die Zeiten, in denen superreiche Besitzer - "Gouverneure" nennt sie die Liga mittlerweile - mehr oder weniger konsequenzlos zig Millionen an Luxussteuern über der Gehaltsobergrenze verprassen konnten, um Titeln nachzujagen. Mehr Parität in der Spitze und Breite, mehr Wettbewerb auf dem Parkett - unabhängig von Marktgröße oder Bankkonto der Entscheidungsträger, das ist das Ziel. Die NBA hofft so, sein Produkt ewig optimieren und im immerwährenden Kampf um TV-, Sponsoren- und Konsumenten-Gelder auch künftig konkurrenzfähig bleiben zu können.
"The rich get richer"
Während die zwei Finalisten Denver Nuggets und Miami Heat (dazu später mehr) wie erwartet personelle Plünderungszüge der Kontrahenten über sich ergehen und folgerichtig einige ihrer Rotationsspieler ziehen lassen mussten (Bruce Brown in Denver, Gabe Vincent und Max Strus in Miami), weil die von interessierten Nebenbuhlern höhere Bezüge offeriert bekamen, hat sich nahezu jedes andere Playoff-Team personell verstärken können.
Die Los Angeles Lakers widerstanden endlich dem gewohnten Drang, die am schrillsten klingenden Namen ohne Rücksicht auf Passgenauigkeit zu verpflichten. Anstatt also wie im Vorjahr einem Russell-Westbrook-Kaliber nachzujagen, wurden diesmal die eigenen Free Agents wie D'Angelo Russell, Austin Reaves und Rui Hachimura gehalten, obendrein sinnvolle Rollenspieler wie Miamis Vincent dazugeholt. Auf diese Weise will eine der beiden erfolgreichsten Franchises der NBA-Historie die wenigen verbleibenden Saisons des bald 39-jährigen LeBron James maximieren. Solange "King James" und Big Man Anthony Davis gesund sind, hat der Conference Finalist der Vorsaison immer eine Chance.
Der einzige andere Klub, der wie die Lakers 17 Meisterschaften abgeräumt hat, verstärkte sich mit dem wurfstarken Letten Kristaps Porzingis - der beste in diesem Sommer verfügbare Center auf dem Transfermarkt. Die Boston Celtics büßten einen Teil ihrer Tiefe und Härte ein, peilen jedoch dank variablerer Offensive eine Rückkehr in die NBA Finals an, wo sie 2022 gegen die Golden State Warriors den Kürzeren gezogen hatten.
Die Warriors um Megastar Stephen Curry trennten sich zwar von Team-Präsident und General Manager Bob Myers (der Architekt ihrer vier Meisterschaftsmannschaften), hielten aber zumindest ihr Fundament intakt, als sie sich mit Defensiv-Spezialist Draymond Green über vier weitere Jahre einigten. Obendrein holten die "Dubs" in Chris Paul einen der besten Point Guards der Geschichte (via Trade mit Washington, u.a. für Jordan Poole) und wollen noch einmal angreifen.
Pauls Ex-Team, die Phoenix Suns, zählen nach einer Reihe von aggressiven Manövern zu den großen Gewinnern dieser Offseason. Nicht nur, weil sie Paul via Trade mit Washington in den jüngeren, korbgefährlicheren Bradley Beal umwandelten, sondern die mit Superstars wie Kevin Durant und Devin Booker gespickte Truppe um gleich sieben brauchbare, günstige Veteranen beinahe ideal verstärkten. Der neue Teambesitzer Matt Ishbia lässt sich sein neues Spielzeug so einiges kosten, will aber um jeden Preis den Titel in die Wüste von Arizona holen.
Die Zeit der Euros
Phoenix scheiterte vor zwei Jahren in der Finalserie an den Milwaukee Bucks. Das Team des griechischen Top-Stars Giannis Antetokounmpo vermied den Ausverkauf und Verlust seiner etwas in die Jahre gekommenen Leistungsträger, als es mit Flügelspieler Khris Middleton sowie Center Brook Lopez verlängerte. Beide sind essentielle Puzzleteile aller Championship-Ambitionen in Wisconsin und ermöglichen einem der besten Spieler der Welt, auch in naher Zukunft ganz oben mitzuspielen. Antetokounmpo unterzog sich vor wenigen Tagen einer kleinen Knie-OP und droht die anstehende Basketball-Weltmeisterschaft in den Philippinen, Indonesien und Japan zu verpassen.
Dort mit Slowenien groß auftrumpfen könnte ein sichtlich schlankerer und fitter Luka Doncic, der damit auch die Weichen für eine weitaus erfolgreichere Saison seiner Dallas Mavericks stellen kann als zuletzt. Die Texaner zählten in der Vorsaison zu den größten Enttäuschungen der Liga, verpassten ein Jahr nach dem Erreichen der Western Conference Finals die Playoffs sogar komplett. Nach der Vertragsverlängerung für den enigmatischen Kyrie Irving (126 Millionen US-Dollar für drei Jahre) und einer Reihe smarter Personal-Additionen (Currys jüngerer Bruder Seth - ein exzellenter Distanzschütze; der pfeilschnelle Australier Dante Exum - zuletzt in der Euroleague erfolgreich; Grant Williams - ein defensivstarker Kombo-Forward) wollen die Mavericks, zu deren Kern weiterhin auch Maxi Kleber zählt, wieder für Furore sorgen. Die New York Knicks, bei denen Isaiah Hartenstein unter den Brettern malocht, verstärkten sich geschickt mit dem vielseitigen Donte DiVincenzo.
Zwei deutsche Nationalspieler - Dennis Schröder und Moritz Wagner - standen als Free Agents ebenfalls im Fokus. Schröder verließ die Lakers in Richtung Toronto Raptors, wo er nicht nur einen lukrativeren Multi-Jahres-Deal unterschrieb (zwei Jahre, 25 Millionen Dollar), sondern als Ersatz für den nach Houston abgewanderten Point Guard Fred VanVleet große Chancen auf eine Starterrolle erhält. Die hatte der Braunschweiger seit der Saison 2020/21 nicht mehr in Vollzeit inne. Der 29-Jährige hofft bei seiner sechsten Station seit 2020 künftig auf etwas mehr Stabilität als zuletzt.
Derweil scheint der ältere der beiden Wagner-Brüder in Orlando dank seiner schroff-energischen Spielweise eine basketballerische Heimat gefunden zu haben; das Team aus Florida honorierte Moritz' bisher beste Saison mit einem neuen Zweijahres-Vertrag und 16 Millionen Dollar garantiert. Moritz wird also weiterhin neben dem sich stetig verbessernden Franz und einer Reihe vielversprechender Talente bei den Magic versuchen, zum ersten Mal in seiner Karriere die Playoffs zu erreichen. Dort stand der Klub nur zweimal seit 2012.
Auch San Antonio will zurück in die Postseason, die das Team von Coaching-Urgestein Gregg Popovich zwischen 1998 und 2019 unfassbare 22-mal in Folge erreichte. Nach drei ruhigen Jahren soll es dank Nummer eins Pick Victor Wembanyama wieder spektakulär und erfolgreich werden. Der 2,25 Meter große Franzose mit der 2,40-Meter-Spannweite und den Ball-Fähigkeiten eines Guards wird von James höchstpersönlich als "Alien" bezeichnet und zieht Menschen dank in dieser Form noch nie dagewesener Qualitäten schon jetzt in seinen Bann. Mit dem Titel werden die blutjungen Spurs in der kommenden Saison zwar noch nichts zu tun haben. Die Zukunft gehört aber ganz klar "Wemby" & Co.
Warten auf Lillard und Harden
Obwohl die allermeisten Free Agents bereits vom Markt sind, und selbst das einwöchige Moratorium bereits vergangen ist - Teams dürfen tagelang nur theoretisch Vereinbarungen mit neuen Spielern treffen, offiziell unterschrieben und getauscht werden darf erst ab dem 6. Juli - steht die Antwort auf die wohl dringendste Frage dieser Wechselperiode noch aus: Wo landen Damian Lillard und James Harden?
Beide Guards zählen zu den von der NBA zum 75-jährigen Ligajubiläum geehrten 75 besten Spielern aller Zeiten. Beide Guards haben ihren aktuellen Klubs Portland respektive Philadelphia unmissverständlich klargemacht, dass sie künftig andere Trikots tragen wollen und einen Trade zu einem anderen Team erwarten. Einem Team ihrer Wahl, selbstverständlich. Diesen Star-Allüren und manchmal passiv-aggressiven Aufforderungen wird in der Liga für gewöhnlich nachgegeben, weil es sich niemand mit den Topverdienern und deren immer einflussreicheren Power-Agenten verscherzen will. Das nächste Juwel ist schliesslich bereits irgendwo in der Mache, wer weiß, wann wieder von Angesicht zu Angesicht über zig Millionen Dollar und die Zukunft ganzer Franchises verhandelt werden muss.
Und so warten nicht nur alle in Las Vegas versammelten Protagonisten, sondern Fans weltweit gespannt auf die Auflösung dieses Doppel-Dilemmas. Harden ist trotz seiner bald 34 Jahre immer noch gut genug, um beispielsweise die L.A. Clippers über Nacht aus einem mittelguten in ein ernstzunehmendes Spitzenteam zu verwandeln; er will unbedingt zurück in seine Heimatstadt Los Angeles, wo er mit Kawhi Leonard und Paul George eine gefährliche "Big Three" bilden könnte.
Der alles entscheidende Mann bleibt am Ende Lillard. Der siebenfache All-Star ist die Sorte Basketballer, der ein Meisterschaftsrennen im Alleingang mitentscheiden kann. Dass der Scharfschütze mit den irren Dreiern seine Trail Blazer nach elf Jahren verlassen wird, ist sicher. Seine Präferenz - seine einzige Präferenz - ist Miami. Das Team, das bekanntlich erst in den NBA Finals an Nikola Jokic und Denver scheiterte, wäre auf Anhieb einer der absoluten Titel-Favoriten. Glaubt man Insidern, ist ein Deal zu den Heat nur noch eine Frage der Zeit. Es wäre die nächste große Transfersensation - und würde innerhalb von Sekunden erneut alles auf den Kopf stellen. Noch bevor James, Davis, Leonard, George und weitere Hochkaräter dann 2024 zu Free Agents würden ...
Quelle: ntv.de