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Football-Profi Kwity Paye Aus dem Flüchtlingscamp auf die NFL-Bühne

Kwity Paye steigt in die NFL auf.

Kwity Paye steigt in die NFL auf.

(Foto: AP)

Kwity Paye ist seit einigen Tagen NFL-Profi. Die Indianapolis Colts entscheiden sich bei der Draft für den Defensive End. Es ist die bisherige Krönung des Weges des 22-Jährigen, der einst in einem Flüchtlingscamp in Afrika beginnt.

Die Geschichte von Kwity Paye ist eine von Trauer, Tränen und Tragik. Sie handelt von Krieg, Verzweiflung, Armut, aber auch von Hoffnung und Aufstieg. Und sie hat, soviel sei vorweggenommen, ein Happy End. Die Story beginnt am Heiligen Abend 1989. Agnes Paye, Kwitys spätere Mutter, ist gerade zwölf Jahre alt, als in ihrem Heimatland Liberia, an Afrikas Westküste, ein Bürgerkrieg ausbricht. Rebellen der National Patriotic Front wollen Staatspräsident Samuel Doe stürzen. Es ist der Anfang von jahrelangen, brutalen Kämpfen, bei denen mehr als 250.000 Menschen ihr Leben verlieren werden.

Agnes Paye gehört zum Volksstamm der Krahn, die von Machtinhaber Doe stets wohlwollend behandelt worden sind - somit aber zur Zielgruppe der Rebellen werden. Als die Aufständischen in ihr kleines Dorf kommen, erlebt das junge Mädchen grausame Szenen, die sich auch 30 Jahre später noch genau vor Augen hat. "Sie haben meines Vaters Haus angezündet und das meines Onkels, samt Frau und Kinder auch", sagt Agnes in einem Feature des TV-Senders "ESPN". Es fällt ihr schwer, darüber zu sprechen. Agnes weint bitterlich, als sie erzählt, dass sie ihren Vater "nie wieder gesehen" habe und er ermordet wurde.

Das Dorf verwüstet, das Haus abgebrannt, der Vater tot. Doch Agnes hat keine Zeit für Trauer. Sie ist auf der Flucht, muss sich irgendwie und irgendwo in Sicherheit bringen. Wie Tausende andere ist sie tagelang barfuß in Busch und Wäldern unterwegs, meidet aus Angst vor den Rebellen bewusst die Hauptstraßen. "Wir hatten kaum etwas zu essen. Aber daran denkst du gar nicht, denn du willst einfach nur überleben", wird sie 2019 in der Tageszeitung "Detroit Free Press" zitiert.

Sohn nach ermordetem Vater benannt

Agnes schafft es schließlich ins Nachbarland Sierra Leone, kommt dort in einem Flüchtlingscamp unter und bringt einige Jahre später ihren ersten Sohn, Komotay, zur Welt. Als sich der Bürgerkrieg von Liberia auf Sierra Leone ausdehnt, muss sie wieder flüchten - und kommt nach Guinea. Am 19. November 1998 wird sie erneut Mutter. Wieder ist es ein Sohn. Sie nennt ihn Kwity - es ist der Name ihres ermordeten Vaters.

In Guinea kann die junge Familie nicht bleiben - und zurück nach Liberia will Agnes auf keinen Fall. Ihre einzige Hoffnung sind die USA. Als Kwity sechs Monate alt ist, zieht die Mutter mit ihren beiden Söhnen zu Verwandten nach Rhode Island an der amerikanischen Ostküste. "Meine Mutter wollte, dass mein Bruder und ich eine Zukunft haben - und dafür hat sie alles getan", sagt Kwity.

Doch das neue Leben im neuen Land ist hart. Agnes hatte in Liberia nie lesen und schreiben gelernt, muss dies nun nachholen, um ihren Kindern überhaupt bei den Hausaufgaben helfen zu können. Obwohl sie zeitweise drei Jobs gleichzeitig hat, ist Geld immer knapp und die Familie auf Sozialhilfe und Lebensmittelmarken angewiesen.

Ablenkung aus dem tristen Alltag bietet der Sport. Kwity ist ein sehr guter Athlet - und vor allem auf dem Footballfeld mit seinem unbändigen Willen und seiner Wucht kaum zu stoppen. Egal, ob die Trainer ihn als Defensive End in der Verteidigung einsetzen, oder als Runningback im Angriff, das Flüchtlingskind aus Afrika überragt alle.

Versprechen an die Mutter

Bei der Draft sitzt Kwity Payne auf dem heimischen Sofa.

Bei der Draft sitzt Kwity Payne auf dem heimischen Sofa.

(Foto: USA TODAY Sports)

In der achten Klasse hat er die Chance, an eine prestigeträchtige High School zu wechseln, die für ihr Football-Programm bekannt ist. Doch die Kosten von 15.000 Dollar sind utopisch und entsprechen der Hälfte von Agnes' Jahreseinkommen. Kwity verspricht seiner Mutter, wenn sie ihn auf die gewünschte High School lasse, brauche sie später nichts für seinen College-Platz zu bezahlen. Agnes willigt ein. In Amerika ist es üblich, dass Jugendliche mit besonderen Talenten Stipendien bekommen, sollte die Familie ein Studium nicht finanzieren können. Und Kwity ist ein besonders begabter Footballspieler.

In seinem letzten High-School-Jahr gibt es in Rhode Island kein größeres Nachwuchstalent als ihn. Er bekommt zahlreiche College-Offerten - und entscheidet sich für Michigan. "Mama, wir haben es endlich geschafft", ruft er bei seiner feierlichen Aufnahme Agnes zu. Er hat sein Versprechen gehalten - und sein Aufstieg geht weiter. Das College ist das Schaufenster zur NFL. Deren Scouts werden bald auf diesen bulligen 1,91 Meter großen und 118 Kilogramm schweren Verteidiger aufmerksam.

Als die 32 NFL-Vereine Ende April bei der Draft die besten Nachwuchsspieler unter sich aufteilen, sitzt Kwity Paye bei Bruder Komotay in Denver zusammen mit Verwandten und Freunden vor dem Fernseher. Er muss nicht hoffen, dass sich ein Klub für ihn entscheidet, nein, er weiß es. Nur welche Franchise es sein und an welche Stelle er gezogen wird, ist noch offen.

Für 20 Spieler hat sich am 29. April der NFL-Traum bereits erfüllt. Dann klingelt Kwitys Telefon. Am anderen Ende meldet sich Chris Ballard, Manager der Indianapolis Colts. "Wir werden dich gleich auswählen und freuen uns sehr auf dich. Du verkörperst alles, wofür auch wir stehen", sagt Ballard. Als er auflegt, bricht großer Jubel um Kwity herum aus. Kurze Zeit später teilt NFL-Commissioner Roger Goodell bei der TV-Liveübertragung einem Millionen-Publikum mit, dass sich "die Indianapolis Colts an 21. Stelle der Draft für Kwity Paye, Defensive End aus Michigan" entschieden hätten.

"Mama kann jetzt in Rente gehen"

Paye posiert mit einer liberianischen Fahne um seine Schultern vor der TV-Kamera. In seinem rechten Arm hält er liebevoll seine Mutter. Auf die Frage, was sich für die Familie nun ändern werde, antwortet Kwity umgehend: "Mama hat genug gearbeitet, sie kann jetzt in Rente gehen. Ich werde sicherstellen, dass sie all das bekommt, was sie nie hatte und dass sie nie wieder einen Finger krumm machen muss."

Der 22-Jährige hat in Indianapolis einen Vier-Jahres-Kontrakt unterzeichnet, der einen Wert von 13,6 Millionen hat. Nun muss der Vollständigkeit halber gesagt werden, dass viele NFL-Verträge nicht garantiert und seitens des Vereins jederzeit kündbar sind. Doch in einem solchen Fall hätte Kwity Paye zumindest die 7,3 Millionen Dollar für seine Vertragsunterschrift sicher.

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Sein Weg aus dem Flüchtlingscamp in Guinea hinauf auf die NFL-Bühne ist in den vergangenen Tagen von vielen US-Medien aufgegriffen worden. Kwity spricht gerne darüber, stellt aber nicht sich in den Vordergrund, sondern seine Mutter. Von ihr habe er die "Gib'-niemals-auf-Einstellung" vermittelt bekommen, sowie den Hinweis, eine Sache auf jeden Fall zu Ende zu bringen, wenn man sie sich in den Kopf gesetzt habe.

Agnes Paye hat ihr Leben lang hart gearbeitet. Jeden Tag. Und dennoch, so Kwity, habe sie sich nie beschwert. Und genau das wolle er auch verkörpern. So, wie seine Mutter ihn inspiriert hat, will Kwity Paye mit seiner Story nun andere Kinder beeinflussen. Sie anspornen, motivieren und ihnen zeigen, dass "sie es mit harter Arbeit auch auf diese Stufe schaffen können."

Quelle: ntv.de

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