"Diese Lähmung, diese Leere" Beach-WM-Debakel - ein Kollaps mit Ansage
05.07.2019, 13:00 Uhr
Titelverteidigerin Laura Ludwig verabschiedete sich mit ihrer Partnerin Margareta Kozuch früh aus dem Turnier.
(Foto: imago images / Beautiful Sports)
Die deutsche Bilanz bei der Beachvolleyball-WM in Hamburg ist katastrophal. Einziger Lichtblick ist das Duo Julius Thole und Clemens Wickler. Für Olympiasieger Julius Brink ist das Abschneiden des erfolgsverwöhnten Verbandes jedoch "keine große Überraschung".
Mitte des zweiten Satzes, als die Niederlage gegen die Amerikanerinnen Sara Hughes und Summer Ross immer konkretere Formen annahm, musste Margareta Kozuch den Arzt konsultieren. Die Blockspielerin, die seit einem halben Jahr mit Olympiasiegerin Laura Ludwig ein Team bildet, nahm ein Medical Timeout, weil sie akute Atemprobleme hatte. Die erzwungene Auszeit half allerdings nichts, der Untergang war nicht aufzuhalten.
Die mehr als deutliche Niederlage war der Höhepunkt von dem, was über die deutschen Beachvolleyballer hereinbrach an einem Tag, der als schwarzer Mittwoch in die Geschichte dieses Sports eingehen wird. Innerhalb weniger Stunden schieden von den zehn deutschen Teams, die in der Hansestadt an den Start gegangen waren, sechs aus. Es war für die in den letzten Jahren so erfolgsverwöhnte Gilde der Sandbaggerer nicht weniger als ein Debakel, das erst einmal verdaut werden wollte.
Die Nerven nicht im Griff

Julius Brink spricht beim Blick auf das deutsche Abschneiden von einem "Desaster".
(Foto: imago images / Beautiful Sports)
Es war einfach nur bitter, miterleben zu müssen, wie Teams wie Victoria Bieneck und Isabel Schneider oder auch Sandra Ittlinger und Chantal Laboureur frühzeitig das Turnier verlassen mussten, weil sie ihre Nerven nicht in den Griff bekamen. Oder wie Titelverteidigerin Laura Ludwig mit Margareta Kozuch gegen die Amerikanerinnen vor der Rekordkulisse von 10.000 Zuschauern im Stadion am Rothenbaum in der ersten K.-o.-Runde nicht nur die Segel streichen mussten, sondern dabei auch noch so bemitleidenswert unterlegen waren. Sodass wehmütige Erinnerungen an die Kombination Ludwig und Kira Walkenhorst wach wurden, die die internationale Konkurrenz bei ihrem Olympiasieg 2016 und ihrem WM-Gewinn 2017 nach Belieben beherrscht hatten.
Die Nachfolgerin Margareta Kozuch, die als Spielführerin der Hallen-Nationalmannschaft, Champions-League-Siegerin und fünffache Volleyballerin des Jahres geglänzt hatte, wirkte dagegen weitgehend überfordert. Olympiasieger Julius Brink, der das Geschehen in Hamburg auch als Experte für die ARD kommentiert, fand es "ernüchternd, diese Lähmung und diese Leere in den Augen zu erleben".
Kontakt zur Weltspitze "einfach nicht da"
Der Ist-Zustand tut dem früheren Abwehrspieler weh, er spricht gegenüber n-tv.de einerseits von einem "Desaster", betont aber andererseits auch, dass die schwachen Auftritte für ihn "keine große Überraschung" bedeuten: "Der Kontakt zur Weltspitze ist bei den Frauen zur Zeit einfach nicht da. Das haben schon die Ergebnisse vor der WM gezeigt." Als letztes Frauenteam strichen Karla Borger und Julia Sude im Achtelfinale die Segel. Wenn es um die Medaillen geht, sind die Deutschen nur noch Zuschauer.
Dabei entfalten die Titelkämpfe vor heimischer Kulisse "eine ungeheure mediale Kraft", wie Brink betont. Nie zuvor ist so umfangreich über die Sportart berichtet worden, die außerhalb von Olympischen Spielen ein Nischendasein fristet. ARD, ZDF, Sport1, DAZN und die Übertragung auf den Plattformen des Organisators – nie zuvor sind Bewegtbilder von Beachvolleyball in einem solchen Umfang in die Welt transportiert worden.
Großartige Kulisse beflügelt nicht

"Wir müssen wesentlich kleinere Brötchen backen", sagt Niclas Hildebrand, Sportdirektor des Deutschen Volleyball-Verbandes.
(Foto: imago images / Beautiful Sports)
Und das vor einer Kulisse im mit Sand befüllten Tennisstadion, die von allen Athleten gerühmt wird. "Das fühlt sich hier so sehr nach Wohnzimmer an, dass wir am liebsten noch lange hierbleiben würden, so gut gefällt es uns hier", sagt Karla Borger, die sich mit Partnerin Julia Sude jedoch am Donnerstag als letztes deutsches Frauenteam aus dem Wettbewerb verabschiedete und damit das schlechteste WM-Abschneiden deutscher Frauen seit zehn Jahren perfekt machte.
Dass die deutschen Athleten diese Chance beim Heimspiel nicht besser nutzten, macht Niclas Hildebrand nachdenklich. Der Sportdirektor für Beachvolleyball im Deutschen Volleyball-Verband (DVV) hat mit seinem Arbeitgeber beim Bundesleistungszentrum in Hamburg hervorragende Strukturen für eine olympische Sportart geschaffen. Nun muss er miterleben, dass vor allem die mentalen Defizite gravierend sind. Hildebrand fragt sich, "wie wir es hinkriegen können, dass unsere Sportler den Killerinstinkt entwickeln, den du brauchst, wenn du in der Weltspitze mitspielen willst".
Erwartungen zurückschrauben
Wenn ein Duo wie Sandra Ittlinger und Chantal Laboureur gegen die Amerikanerinnen Sarah Sponcil und Kelly Claes mit 1:0-Sätzen und 18:14 in Führung liegen, diesen Vorsprung dann aber noch aus der Hand geben, "muss es sich um ein Kopfproblem handeln", sagt Hildebrand. Im Lager der deutschen Sandwühler herrscht Ernüchterung, nun gelte es, "die brutal hohe Erwartungshaltung zu überdenken", wie Hildebrand betont. Für die Olympischen Spiele im kommenden Sommer in Tokio hat der DVV bei den Frauen eine Medaille und einen fünften Platz als Zielvorgabe ausgegeben. "Davon", so Hildebrand, "müssen wir uns lösen. Wir müssen wesentlich kleinere Brötchen backen."
Zumindest gibt sich Laura Ludwig weiter kämpferisch. Die Olympiasiegerin hatte das frühe Ausscheiden und den Einbruch ihrer Partnerin mit versteinerter Miene zur Kenntnis genommen, schon wenige Minuten später gab sie sich in der Mixed Zone versöhnlich. Was in den nächsten Monaten vom neuen Duo zu erwarten sei, wurde die Abwehrspielerin gefragt. Die Antwort war unmissverständlich: "Zwei blonde Damen, die sich den Arsch aufreißen werden."
Die letzte Hoffnung heißt Thole/Wickler

Julius Thole (links) und Clemens Wickler sind das letzte im Turnier verbliebene deutsche Duo.
(Foto: imago images / Beautiful Sports)
Die deutsche Fahne wird in Hamburg nur noch von Julius Thole und Clemens Wickler hochgehalten, die in der ersten K.-o.-Runde gegen die holländischen Weltmeister von 2013, Alexander Brouwer und Robert Meeuwsen, eine mitreißende Show ablieferten und beim 2:0 (23:21, 21:19)-Sieg mehr als 10.000 Zuschauer zu Begeisterungsstürmen hinrissen. "Das war heute einzigartig", schwärmte Thole, der das Grinsen auch in der Mixed Zone gar nicht mehr aus dem Gesicht bekam: "Diese unglaubliche Stimmung im Stadion und sich dann gegen ein solch starkes Team durchzusetzen, das ist einzigartig."
Am Abend bekommen es die Deutschen Meister mit dem brasilianischen Olympiasieger Alison und seinem Partner Alvaro Filho zu tun. Erneut eine ganz schwere Prüfung, aber in dieser Form ist Thole/Wickler auch das zuzutrauen. "Wenn unser Trainer Martin Olejnak uns wieder so fantastisch einstellt wie heute", sagt Julius Thole, "können sich die Brasilianer warm anziehen."
Quelle: ntv.de