Rekord-Traum bei Para-EM "Bonsai" - 1,40 Meter große Weltklasse
20.08.2018, 09:52 Uhr
Niko Kappel ist der erste Kleinwüchsige, der im Kugelstoßen die 14-Meter-Marke übertroffen hat.
(Foto: imago/Beautiful Sports)
Kugelstoßer Niko Kappel ist Olympiasieger, Weltmeister und Weltrekordhalter. Der EM-Titel fehlt ihm noch - der soll nun in Berlin folgen. Doch bei allem Ehrgeiz darf der Spaß nicht zu kurz kommen. Ein Beispiel? Sein Spitzname lautet "Bonsai".
"Unglaubliche 1,40 Meter groß, dafür 67 Kilo - bedeutet einen BMI von 35", so stellt sich Niko Kappel im "Kraftraum"-Podcast vor. Und fügt an: "Kugelstoßer, von daher ist das Gewicht genehmigt." Eben dieser Niko Kappel will bei den Para-Leichtathletik-Europameisterschaften, die an diesem Montag in Berlin starten, über sich hinauswachsen. Dabei ist er ohnehin schon einer der Größten seines Sports. In Rio gewinnt er 2016 Paralympics-Gold, 2017 packt er WM-Gold oben drauf. Im Juni 2018 stößt er in neue Sphären vor: "Es war mein Ziel als erster Kleinwüchsiger die 14-Meter-Marke zu knacken." Das gelingt ihm mit 14,02 Metern.
Und heute Abend bei der EM? "Ich werde deutlich über 14 Meter brauchen, um eine Chance zu haben", sagt Kappel im Gespräch mit n-tv.de. Denn: "Der Weltrekord entwickelt sich extrem weiter. Das wird auch dieses Jahr genauso weitergehen." Sein größter Konkurrent ist der Pole Bartosz Tyszkowski. Kappel ist sich sicher, dass der den Weltrekord zurückerobern will: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich mit 13 Metern zufrieden gibt." Die Bestleistung des Polen steht bei 13,97 Metern.
"Bonsai" - stark wie ein Baum
Trotz seines Rekordes ist der 23-Jährige, der als CDU-Mitglied im Gemeinderat seiner Heimatstadt Welzheim sitzt, derzeit mit seinen Leistungen nicht komplett zufrieden. Beim Weltrekord "hatte ich wohl einen besonders guten Tag. Das habe ich seitdem nicht mehr wiederholen können, habe nicht mal annähernd in diese Region gestoßen. Das trägt natürlich nicht unbedingt dazu bei, dass die Nervosität verschwindet." Zwar stoße er mittlerweile konstant, aber einen halben Meter kürzer, als gewünscht. Statt um die 13,40 Meter soll es lieber häufiger Richtung 14 Meter gehen. "Aber es wird ja in Berlin abgerechnet."
Damit das zu seinen Gunsten klappt, bekommt Kappel in Berlin viel Unterstützung. Eltern, Freundin, Eltern der Freundin, Verwandte, Bekannte, Partner und Sponsoren werden ihm im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark die Daumen drücken. Der Kugelstoßer aus Baden-Württemberg ist eines der Aushängeschilder des Para-Sports in Deutschland. Mit seinem Speerwurf-Kumpel Mathias Mester präsentiert sich der 23-Jährige vor allem in den sozialen Netzwerken als Frohnatur mit einer großen Portion Selbstironie. Die beiden nennen sich gern "Zwei Halbe", sie amüsieren mit Videos zu Bobbycar-Wettrennen und Koffern, hinter denen sie sich verstecken können und freuen sich über die Beinfreiheit im Flugzeug. Spätestens seit seinem Paralympics-Sieg ist Kappel bekannt, beliebt und weiß seine Popularität durchaus zu nutzen - auch für das große Ganze. "Mich freut es, dass ich grundsätzlich dazu beitragen kann, dass die Para-Leichtathletik in Deutschland noch bekannter wird", sagt der Mann, dessen Spitzname "Bonsai" ist. Klein, aber stark wie ein Baum.
Hockerbeine werden kurzerhand abgesägt
Dass er kleinwüchsig ist, hat Kappel nie gestört. Als er im Kindergarten feststellte, dass er als einziger nicht mit den Füßen den Boden berühren kann, wenn er auf dem Hocker sitzt, wurden die Beine des Hockers eben abgesägt, erzählte er mal. Und dass er zu Hause immer einen Hocker parat habe, um an obere Schränke zu gelangen oder eben seine Freundin Luisa um Hilfe bittet, die nämlich gewöhnlich groß ist. Inklusion spielt für Kappel einfach keine große Rolle - sie ist selbstverständlich. So wie er es von seinen Eltern gelernt hat.
Und da ist es völlig klar, dass er - wie so viele Jungs - zunächst Fußball spielte. Als Stürmer beim FC Welzheim, natürlich in einem Team mit Nichtbehinderten. Zum Kugelstoßen kam er mit 13 Jahren eher zufällig. 2008 sah er das Kugelstoß-Silber des neun Jahre älteren und zwei Zentimeter größeren Mesters bei den Paralympics in Peking im Fernsehen und war fasziniert. Einen Sport, bei dem er sich mit anderen Kleinwüchsigen messen kann, wollte er unbedingt ausprobieren. Also ab in eine Para-Sportgruppe? Nein, Kappel wurde Mitglied beim TSF Welzheim, trainierte alles mit: Laufen, Weitsprung, Hochsprung, Kugelstoßen und Speerwurf. Da nur die beiden Wurfdisziplinen für Kleinwüchsige paralympisch sind, konzentrierte er sich darauf. 2010 stieß er keine acht Meter, nun ist Kappel Paralympics-Sieger und Weltmeister.
Kappel kann vom Sport leben
Neben seinem Karrierestart absolvierte er bei der Volksbank Welzheim eine Ausbildung zum Bankkaufmann und wurde dort Kundenberater. Seit Anfang dieses Jahres nennt er sich allerdings liebevoll "Sporturlauber", wie er der "Südwestpresse" sagte. Was so verniedlichend klingt, bedeutet einen riesigen Erfolg: Kappel ist jetzt Profisportler.
Er ist weiter bei der Bank angestellt und kann später in seinen Beruf zurückkehren. Doch derzeit lebt Kappel vom Sport, Sponsoren unterstützen ihn. "Ich merke das im Training, ich kann mich ganz anders auf den Sport konzentrieren, ich kann die Regenerationszeit nutzen und dementsprechend wieder mehr trainieren."
Mit seinen nicht-kleinwüchsigen Disziplinkollegen Tobias Dahm, Lena Urbaniak und Alina Kenzel, die bei der EM der Nichtbehinderten Neunte wurde, trainiert er beim Kugelstoß-Landestrainer Baden-Württembergs, Peter Salzer. Dass er 66 Zentimeter kleiner ist als Dahm? Vollkommen egal. Weil sich die Teamkollegen ohnehin auf Augenhöhe begegnen.
Quelle: ntv.de