Sport

Vorturner und Goldanwärter bei der EM Boy bekämpft Mythos Hambüchen

Fabian Hambüchen ist omnipräsent im deutschen Turnsport. Auch bei der Europameisterschaft in Berlin ist der Star dabei - allerdings nur als TV-Kommentator. Für die sportlichen Schlagzeilen soll diesmal Philipp Boy sorgen und er genießt diese Rolle. Mit Gold am Reck und im Mehrkampf könnte er den "Mythos Hambüchen" endgültig kippen.

"Elegantester Turner der Weltmeisterschaft": Philipp Boy.

"Elegantester Turner der Weltmeisterschaft": Philipp Boy.

(Foto: dpa)

Auch kleine Konkurrenten können einen sehr langen Schatten werfen. Philipp Boy weiß das genau. Der Turner vom SC Cottbus kommt selbst gut an bei den Fans. Sportlich ist er ohnehin über jeden Zweifel erhaben. Trotzdem hat Boy jahrelang damit leben müssen, dass sein Sport in Deutschland auf eine andere Person reduziert wurde. Auf Fabian Hambüchen, wegen seiner Körpergröße von gerade einmal 1,63 Metern Turn-Floh genannt und trotzdem der einzig herausragende Turner hierzulande. Zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung.

Bei der Heim-Europameisterschaft in Berlin, die am Mittwoch mit der Frauen-Qualifikation begonnen hat und bis Sonntag dauern wird, ist für Hambüchen dennoch nur eine Nebenrolle vorgesehen: Nach einem Achillessehnenriss im Januar wird er lediglich eine Autogrammstunde abhalten und ansonsten als TV-Kommentator vor Ort sein. Die sportlichen Schlagzeilen in der Max-Schmeling-Halle muss er anderen überlassen.

"Mythos Hambüchen kippen"

Philipp Boy ist nicht unglücklich darüber und gibt sich auch keine übergroße Mühe, es zu verbergen. Als Hambüchen im letzten Jahr, gerade 22 Jahre alt, seine Autobiographie veröffentlichte, ätzte der gleichaltrige Boy: "So was Bescheuertes." Wochen später ging er in die WM in Rotterdam mit dem erklärten Ziel, den "Mythos Hambüchen" zu kippen.

"Ich brauche schon noch ein, zwei Erfolge, um so interessant zu werden wie er."

"Ich brauche schon noch ein, zwei Erfolge, um so interessant zu werden wie er."

(Foto: dpa)

Das klappte zwar nicht ganz, doch es klappte mit dem internationalen Durchbruch für den Brandenburger. Platz vier am Reck, Bronze mit dem Team und eine sensationelle Silbermedaille im Mehrkampf, dazu die Auszeichnung als "elegantester Turner der Weltmeisterschaft". Boy nutzte die Chance, sich als zweiter deutscher Turner in der Weltspitze zu etablieren und damit das Image seines Sports hierzulande zu korrigieren, wie er glaubt: "Mittlerweile hat Deutschland mitbekommen, dass Turnen mehr ist als Hambüchen."

Ohne Hambüchen und den sprungstarken Matthias Fahrig, der die EM wegen seiner Bundeswehr-Grundausbildung verpasst, ist es in Berlin Philipp Boy, der seine Teamkollegen in den Schatten stellt. Der Cottbuser ist die große deutsche Medaillenhoffnung am Reck und im Mehrkampf. Weil er dort bei der WM nur vom Japaner Kohei Uchimura geschlagen wurde und damit bester Europäer war, gilt Boy sogar als Goldfavorit in der Königsdisziplin. Nur wissen will er davon nichts: "Nein, bloß nicht. Nur weil ich einmal Vizeweltmeister war, bin ich noch lange nicht der beste Turner Europas."

Aber Medaillen mitnehmen aus seiner Lieblingsstadt Berlin, das möchte Boy durchaus. Auch, um in der öffentlichen Wahrnehmung weiter aufzuholen im Vergleich mit Hambüchen, dem Reck-Weltmeister, Olympia-Dritten und fünffachen Einzel-Europameister. Dass Boy im vergangenen Oktober zum "Sportler des Monats" gewählt und später noch zu zwei großen Galas eingeladen wurde, hat er genossen. Alles soll das noch nicht gewesen sein, schließlich hat er für seinen Sport 2009 seine Banklehre wieder aufgegeben.

"Ich brauche schon noch ein, zwei Erfolge, um so interessant zu werden wie er", zeigt sich Boy realistisch. Gleichzeitig ist sich der 23-Jährige bewusst, dass die "einmalige Plattform" der Heim-EM in Berlin eine große Bühne ist. Hambüchen glaubt, das Publikum könnte Boy & Co. beflügeln, so wie bei der Heim-WM 2007 in Stuttgart: "Was da abging, war irre. Die Stimmung war brutal. Wenn eine ähnliche Atmosphäre aufkommt, könnte es die Mannschaft puschen." Fast 20.000 Karten wurden bisher verkauft, für die drei Wettkampftage Freitag, Samstag und Sonntag gibt es nur noch Restkontingente.

"Prima in Schuss" mit dem Cassina

In der Qualifikation hat Boy die Grundlage dafür gelegt, dass die EM das nächste Kapitel in seiner persönlichen Erfolgsgeschichte werden kann. Die Last der Erwartungen, so scheint es, ist inzwischen der Lust auf den Wettkampf gewichen. Nie sei er vor einem großen Turnier besser drauf gewesen, nie hatte er eine "derart problemlose" Vorbereitung, hat Boy am Dienstag betont: "Ich bin prima in Schuss. Ich will meine Übungen gut durchbringen: Ob dann Platz 1, 2 oder 3 herausspringt, liegt nicht in meiner Hand."

"Werde auf jeden Fall auf Angriff turnen und volles Risiko gehen."

"Werde auf jeden Fall auf Angriff turnen und volles Risiko gehen."

(Foto: dpa)

Was Boy meint: Theoretisch kann er so gut turnen wie er will. Wenn die Konkurrenz einfach besser turnt, landet sie vor ihm. Praktisch sieht es aber so aus, dass es Boy seinen Konkurrenten vor allem am Paradegerät Reck sehr schwer machen wird. In Berlin will er in seiner Kür den Cassina zeigen, einen doppelten Salto in gestreckter Haltung mit einer ganzen Schraube. Das nach dem früheren italienischen Reck-Olympiasieger Igor Cassina benannte Element gehört zur höchsten Schwierigkeitsstufe und könnte die entscheidenden Punkte bringen.

Gelingen ihm Kür und Cassina in Berlin so perfekt, wie am Samstag bei der EM-Generalprobe in Dessau, führt der Weg zu Gold nur über Philipp Boy. Ein Gedanke, mit dem er sich längst angefreundet hat: "Ich war noch nie Europameister und werde auf jeden Fall auf Angriff turnen und volles Risiko gehen."

Der EM-Zeitplan

Mittwoch, 6. AprilQualifikation der Frauen10.30 - 20.00 Uhr
Donnerstag, 7. AprilQualifikation der Männer10.30 - 20.30 Uhr
Freitag, 8. AprilOffizielle Eröffnungsfeier13.00 - 13.45 Uhr
 Mehrkampffinale der Männer14.00 - 16.30 Uhr
 Mehrkampffinale der Frauen19.00 - 21.00 Uhr
Samstag, 9. April
 
Gerätefinals der Frauen:
Sprung, Stufenbarren
13.30 - 17.00 Uhr
 Gerätefinals der Männer:
Boden, Pauschenpferd, Ringe
13.30 - 17.00 Uhr
Sonntag, 10. April
 
Gerätefinals der Frauen:
Schwebebalken, Boden
13.30 - 17.00 Uhr
 Gerätefinals der Männer:
Sprung, Barren, Reck
13.30 - 17.00 Uhr

Das deutsche EM-Aufgebot:

MännerPhilipp Boy (Cottbus)
 Brian Gladow (Berlin)
 Sebastian Krimmer (Backnang)
 Marcel Nguyen (Unterhaching)
 Thomas Taranu (Straubenhardt)
 Robert Weber (Ehmen)
  
FrauenKim Bui (Tübingen)
 Oksana Chusovitina (Köln)
 Nadine Jarosch (Detmold)
 Elisabeth Seitz (Mannheim)

Quelle: ntv.de

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