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Endlich wieder ein großes Spiel DHB-Team suchte 2912 Tage und was es fand, ist heute sehr wertvoll

Lukas Mertens, Renars Uscins und Juri Knorr sind Gewinnertypen.

Lukas Mertens, Renars Uscins und Juri Knorr sind Gewinnertypen.

(Foto: IMAGO/wolf-sportfoto)

Die deutsche Handball-Nationalmannschaft startet bei der Weltmeisterschaft in die K.o.-Runde. Jetzt kommen die großen Spiele, in denen besondere Fähigkeiten gefordert sind. 2182 Tage war das DHB-Team auf der Suche nach denen. Nun haben sie sie gefunden und wollen sie wieder nutzen.

2912 Tage. 2912 verdammte Tage. So lange schafft es die deutsche Handball-Nationalmannschaft nach dem Sieg im olympischen Viertelfinale 2016 (34:22) nicht mehr, ein K.-o.-Spiel bei Olympia, einer Welt- oder Europameisterschaft zu gewinnen. Dann kam das Spiel gegen Frankreich in Lille, im zur Handball-Arena umfunktionierten Fußball-Stadion. Nie war es unwahrscheinlicher, die unheimliche Serie der K.-o.-Niederlagen zu beenden, als an diesem 6. August 2024. Gegen Frankreich, den bis unter die Haarspitzen elektrisierten Gastgeber, den Rekord-Weltmeister und amtierenden Europameister um Superstar Dika Mem.

Mit sechs Toren lag Deutschland Anfang der zweiten Hälfte zurück, 30 Sekunden vor dem Ende waren es noch zwei und nach der letzten Auszeit der Gastgeber noch eines. Was dann passierte, war ein Handball-Wunder: Superstar Mem hätte den überall in der gigantischen Arena werfen dürfen, nur nicht in die Hände von Julian Köster. Der Rest ist Geschichte - und das DHB-Team hatte einen Fluch besiegt.

"Sehr schwieriges Spiel"

Nun soll aus dem Fluch eine Serie werden: Gegen Überraschungsteam Portugal will die deutsche Mannschaft an diesem Mittwoch (20.30 Uhr/ARD und im Liveticker auf ntv.de) ins Halbfinale einziehen. Bundestrainer Alfred Gislason prophezeit ein "sehr schwieriges Spiel", die Chancen auf ein deutsches Weiterkommen "stehen bei 50 zu 50". Es spricht vieles für die Prognose des Isländers, der sich in den vergangenen Jahren unbeirrt sein Gewinnerteam zusammengebaut hat. Die Portugiesen haben bei diesem Turnier noch gar nicht verloren, lediglich gegen Schweden gab es ein spektakuläres 37:37-Unentschieden.

Doch es gibt starke Argumente, die die Waage zugunsten des DHB-Teams kippen lassen könnten. Denn das magische Viertelfinale von Lille, das das DHB-Team nach zweifacher Verlängerung mit 35:34 gewann, hallt nach. Die deutsche Mannschaft, die zuvor zu oft gescheitert war, ist eine Gewinnermannschaft geworden. Es sind Gewinner geworden, die sich auch auf der großen Bühne ans Gewinnen gewöhnt haben. "Es fehlt noch die Erfahrung auf absolutem Topniveau. Das hat heute den Ausschlag gegeben", sagte Torwart-Titan Andreas Wolff nach dem Viertelfinal-Aus bei der WM 2023 gegen Frankreich - und warf einen Blick in die Zukunft: "Wenn wir noch ein bisschen zusammenwachsen und noch ein bisschen mehr Erfahrung gegen Gegner auf solchem Niveau sammeln", so Wolff, "wird uns das Glück bald auch 60 Minuten hold sein."

So oder ähnlich hatten sie immer wieder Niederlagen in großen Spielen gegen große Gegner kommentiert. Im Sommer vergangenen Jahres war dann Erntezeit: Mehr Crunchtime-Erfahrung konnten sie wirklich nicht sammeln. Schließlich geriet auch das olympische Halbfinale damals zum Krimi, auch die ultra-erfahrenen Spanier rang die junge deutsche Mannschaft nieder (25:24). Der WM-Kader ist weitestgehend deckungsgleich mit dem veredelten Olympiakader. Dazu hat sich die wahrlich nicht immer brillante deutsche Mannschaft im Laufe der Tage von Herning, wo sie ihre sechs Vor- und Hauptrundenspiele absolvierten, eine große Resilienz zugelegt: Läuft es nicht, werfen sie das Spiel nicht weg, sondern erarbeiten Lösungen. So holte man fünf Siege aus sechs Spielen.

Nun steht also endlich wieder ein großes Spiel an, aber unter umgekehrten Vorzeichen. Deutschland, der Silbermedaillengewinner von Olympia 2024, ist leichter Favorit. Die Portugiesen aber sind im Flow: Die Gebrüder Costa - Martim (22) und Francisco (19) - und mit ihnen "eine spannende Mischung aus jung und alt" fegten mit den "Helden der Meere" durch Vor- und Hauptrunde, schickten Großmächte wie Spanien, Norwegen und Schweden in die Verzweiflung - und nach Hause. Alleine die Erfahrung in den großen Spielen fehlt. Portugal stand noch nie in einem WM-Viertelfinale, spielte überhaupt noch nie ein K.-o.-Spiel bei einem großen Turnier.

Die Deutschen dagegen könnten nach der Heim-EM 2024 und Olympia zum dritten Mal in Serie ins Halbfinale eines großen Turniers einziehen. Und Alfred Gislason konnte es sich im letzten Hauptrundenspiel gegen Tunesien (31:19) leisten, mit Julian Köster, Renars Uscins, Johannes Golla und Andreas Wolff gleich vier absolute Leistungsträger über die komplette Distanz zu schonen. Eine unschätzbar wertvolle Situation in dieser Turnierphase.

"Wir sind heiß" - und Knorr ist dabei

"Wir sind heiß. Das ist ein Spiel, für das du Handball spielst", sagte Linksaußen Lukas Mertens dem Sportinformationsdienst. Ein Sieg und die deutsche Mannschaft würde zum ersten Mal seit 18 Jahren, als man im eigenen Land Weltmeister geworden war, wieder um eine WM-Medaille spielen. Bundestrainer Gislason darf sich pünktlich zum großen Spiel über die Rückkehr von Spielmacher Juri Knorr freuen, der "jede Mannschaft der Welt besser macht", wie Teamkollege Julian Köster die Bedeutung des Regisseurs beschreibt. Knorr hatte sich nach der 30:40-Lehrstunde gegen Dänemark von der Mannschaft verabschiedet und war zu Untersuchungen sogar nach Deutschland zurückgereist.

Nun ist Knorr wieder da und brennt darauf, seiner Mannschaft zu helfen. Gislason aber trat auf die Euphoriebremse: "Juri ist auf jeden Fall einer, der dabei sein wird. Wie fit er ist und wie viel er spielen kann, muss man sehen. Er wird nicht 60 Minuten durchspielen. Eher zehn Minuten und dann zehn Minuten Pause. Das ist ein großer Verlust." Und doch: Ein Juri Knorr wird für die portugiesische Mannschaft eine große Aufgabe sein, selbst wenn der wichtigste deutsche Feldspieler nicht zu hundert Prozent fit ist.

Die deutsche Mannschaft steht vor der gewaltigen Chance, ein 50:50-Spiel zu den eigenen Gunsten zu entscheiden. Der Gegner hat die bessere Form, die Euphorie, den Flow. Qualitäten, die das euphorische DHB-Team im vergangenen Sommer nach bitteren 2912 Tagen wieder durch ein großes Spiel zu einem großen Erfolg getragen hatten. Die deutsche Mannschaft ist 2025 einen Schritt weiter. Sie haben die individuelle Qualität, dieses Spiel für sich zu entscheiden. Und sie haben endlich gelernt, wie es funktioniert. Es hat nur 2912 Tage gedauert.

Quelle: ntv.de

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