Handball-Größen in Sorge "Katastrophale Entwicklung": Kann nur noch Deutschland WM?
28.01.2025, 16:21 Uhr
Leider inspiriert das Vorrundenspiel zwischen Frankreich und Katar nur wenige Fans.
(Foto: IMAGO/HANZA MEDIA)
Die Handball-Weltmeisterschaft produziert Bilder, die der Sport eigentlich nicht gebrauchen kann: Zu oft sind die Hallen leer. Zahlreiche Handball-Größen engagieren sich nun für die Entwicklung des Sports - teils mit erst mal kurios klingenden Forderungen.
Deutsche Fans und Journalisten erinnern sich mit Grausen an die Handball-Weltmeisterschaft 2023: Damals hatte der Weltverband sein wichtigstes Turnier in Schweden und - na klar, es ist ja naheliegend - Polen ausgetragen. Das führte zu gewaltigen logistischen Herausforderungen. Und man war beinahe froh, dass die deutsche Mannschaft ihr Viertelfinale im polnischen Gdansk nicht gewann, denn danach wäre das große Chaos ausgebrochen: Mit Abpfiff am späten Abend stand noch nicht fest, wo der Sieger keine 48 Stunden später sein Halbfinale auszutragen hatte: Eben in Gdansk - oder doch im auf der Landroute 1400 Kilometer entfernten Stockholm.
In diesem Jahr ist der Turnierablauf transparenter, obwohl die WM mit Norwegen, Dänemark und - na klar, es ist ja naheliegend - Kroatien sogar in drei Ländern ausgetragen wird. Pechvögel sind in diesem Jahr die Franzosen, die ihre Vorrunde (in Poreč), ihre Hauptrunde (Varaždin) und ihr Viertel- und das mögliche Halbfinale (in Zagreb) quer über Kroatien verteilt spielen, um dann - im Fall der Fälle - zum Endspiel oder dem Spiel um Platz drei nach Oslo übersetzen zu müssen.
"Entwicklung ist katastrophal"
Die französische Reise zeigt, wie absurd die Konstellation mit drei Ausrichterländern ist. Ein bedeutender Teil der Wahrheit ist aber auch - und das ist keine gute Nachricht für den Handball - dass das Modell nahezu alternativlos ist. Alleine kann eine Weltmeisterschaft mit 32 Teams und 108 Spielen wohl derzeit nur Deutschland mit seinen vergleichsweise kurzen Wegen und den vielen Hallen mit großen Kapazitäten stemmen. Und nicht zuletzt gibt es nur hierzulande das Publikumsinteresse, das durchgängig WM-Stimmung garantiert. Ein gewaltiges Problem für den Handball.
"Die Entwicklung ist katastrophal. Dass du 2027 eine WM in Deutschland hast, 2032 (gemeint ist die EM, die Frankreich und Deutschland gemeinsam ausrichten - Anm. d. Red.) dann schon wieder ... Die generelle Entwicklung fördert natürlich die totale Monokultur des deutschen Marktes", warnte Handball-Legende Stefan Kretzschmar bei Sport1. 2027 wird der DHB den Beweis antreten dürfen, bevor er 2031 dann Frankreich als Co-Gastgeber bei der Austragung unterstützt. Die deutschen Fans dürfen sich freuen, für den Handball ist diese Zentrierung keine gute Nachricht.
Ein großes Fest des internationalen Handballs ist die laufende Weltmeisterschaft nicht: Sind die drei Gastgeber nicht im Einsatz, gehen bittere Bilder von frustrierend leeren Arenen um die Welt. Es gibt Hauptrundenspiele, die nicht mal 500 Menschen sehen möchten. Für das deutsche Viertelfinale gegen Portugal (Mittwoch, 20.30 Uhr/ARD und im Liveticker auf ntv.de) sind "4.000, höchstens 5.000 Tickets verkauft", sagte DHB-Sportchef Ingo Meckes. In die gewaltige Halle in Norwegen passen aber 13.500 Fans. "Aber das ist eigentlich überall so, abgesehen von Deutschland. Das ist die Realität, wenn die Heimmannschaft nicht vor Ort ist", kommentierte Bundestrainer Alfred Gislason die Zahlen. Das Ausscheiden der Gastgeber ist eine Katastrophe für die Außenwirkung des Turniers, die Veranstalter müssen hoffen, dass Dänen und Deutsche die drohenden gewaltigen Löcher stopfen werden.
Es sind Bilder, die der Handball im Kampf um neue Fans und Sponsoren überhaupt nicht gebrauchen kann. Kein Wunder, dass sie so gerne nach Deutschland kommen: Hier sind die Hallen voll, bei der EM im vergangenen Jahr lag die Auslastung bei nahezu 100 Prozent. "Katastrophal und auch nicht gut, dass man sich darüber freut, weil es die Internationalität unserer Sportart immer mehr gefährdet", legte Kretzschmar den Finger in die Wunde. Dabei dürften sie bei der IHF über das Viertelfinale jubeln, denn die K.-o.-Runde ist so divers wie beinahe nie: Mit Portugal und Brasilien stehen zwei Teams zum ersten Mal überhaupt unter den acht besten Mannschaften der Welt, mit Ägypten hat ein zweite nicht-europäische Nation die Hauptrunde überstanden. Dafür sind mit Island und Norwegen zwei der drei Gastgeber der WM 2031 schon ausgeschieden.
Sorge um den olympischen Status
Für den wirtschaftlich unerhört wichtigen Status als olympische Sportart ist die Monokultur, die Kretzschmar fürchtet, ein echtes Problem, beim IOC mögen sie es international. Noch nie kam ein Weltmeister nicht aus Europa, erst zweimal - Katar 2015 und Ägypten 2021 - fand die WM in diesem Jahrtausend nicht auf dem Handball-Kontinent statt. "Visa, Intel, Coca-Cola ... Die meisten der wichtigsten IOC-Sponsoren sind große amerikanische Firmen", erklärte Andreas Hertelt vor der WM bei ntv.de. Der einstige Europapokalsieger leistet bei der US-Nationalmannschaft als Teammanager seit fünf Jahren Graswurzelarbeit, die US-Boys feierten jüngst ihren dritten Sieg bei dieser WM. Es ist eine kleine gute Nachricht für den Weltverband. Die Sponsoren "interessiert der hohe Stellenwert des Sports in Europa überhaupt nicht, wenn er nicht auch in den USA bekannt ist. Wenn die Druck auf das IOC machen... Das wäre der Super-GAU für den Handball."
Bei den Olympischen Spielen geht es um viel Geld und viel, viel Aufmerksamkeit für die Verbände, die im Schatten des alles absorbierenden Fußballs um jeden Lichtstrahl kämpfen. Der Verlust des olympischen Status ist für die großen europäischen Verbände ein Katastrophenszenario.
Klar ist: In Deutschland sind die Hallen voll, in der Bundesliga wie bei großen Titelkämpfen. "Aber wenn über den deutschen Tellerrand hinaus alles andere irrelevant wird, dann wird die Sportart allgemein irrelevant und verschwindet irgendwann nicht nur von der olympischen Bildfläche", entwirft Handball-Idol Kretzschmar ein düsteres Szenario. "Und nicht nur von der olympischen Bildfläche, sondern auch von der Bildfläche generell."
Die Gefahr ist natürlich bekannt, im Rahmen der laufenden Titelkämpfe wurde die Initiative "Amerika verdient Handball", die den Sport in den USA voranbringen soll. Mit europäischen Zugpferden, natürlich. Denn lokale Handballhelden gibt es noch nicht. Die vielmaligen Welthandballer Mikkel Hansen und Nikola Karabatic sollen ihren Ruhm im Dienste der Handball-Globalisierung strahlen lassen, auch die Welthandballerin Stine Oftedal-Dahmke stellt sich in den Dienst der Sache. Ab 2026 soll ein jährliches Sommerturnier mit Beteiligung der großen europäischen Klubs stattfinden.
WM auf den Kapverden?
Bob Hanning, ehemaliger Vize-Präsident der Füchse Berlin, fordert die IHF sogar auf, jede zweite Weltmeisterschaft in einem handballerischen Entwicklungsland wie den Kapverden oder eben den USA auszutragen. "Rücklagen dafür sind da. Zumal es ein Investment wäre, das aus meiner Sicht absolut Sinn macht", schreibt Hanning in der "Sport-Bild". Und Kretzschmar, mit dem Hanning bei den Füchsen Berlin das Führungsduo bildet, sekundiert: "Soweit ich weiß, hat die IHF ein Vermögen von 120 Millionen Euro." Mit diesem Geld solle man nun dort investieren, "wo wir aktuell überhaupt nicht stattfinden und mit dem Gedanken ranzugehen, Sponsoreninteressen dort zu vertreten und über Sponsoren diese Turniere zu finanzieren", schlug Kretzschmar vor.
Den Handball in die Diaspora zu schicken, ist eine gewagte Idee, zumal auch dort logistische Probleme nicht mit Geld vom Tisch zu wischen sind. Schließlich gönnt sich die IHF bei ihrem Flagschiff-Wettbewerb schon den "President's Cup", wo all die Handball-Entwicklungsländer (und ein paar unglückselige Handballnationen wie in diesem Jahr Polen) nach der Vorrunde kleinteilig ihren Besten unter den noch abgehängten ausspielen. Für das Spiel zwischen Kuba und Bahrain interessierten sich in Porec gerade einmal 88 Menschen.
Quelle: ntv.de