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Juri Knorr und das DHB-Team Der Kampf gegen die "unglaublich teuren Fehler"

Juri Knorr, Spielmacher des DHB-Teams.

Juri Knorr, Spielmacher des DHB-Teams.

(Foto: picture alliance / SVEN SIMON)

Juri Knorr ist der wichtigste Feldspieler der deutschen Handball-Nationalmannschaft. Einer, der sich nicht schont. Einer, der gerne Verantwortung übernimmt und sich in den Wind stellt. Bei der Weltmeisterschaft kommt es auf ihn an.

Erst ganz am Ende eines langen Handballnachmittags verzweifelte Juri Knorr doch noch: "Es ist nicht zu schaffen", rief der Spielmacher der deutschen Handball-Nationalmannschaft in Hannover. Der 22-Jährige hatte einen Stift in der Hand, keinen Ball und ihm stand nicht mehr die vielarmige isländische Abwehr gegenüber, sondern eine noch weit dichtere Wand aus Armen von Fans, die um das Autogramm Knorrs kämpften. Und Knorr schrieb und schrieb und schrieb. Zwischendurch stellte er sich den Journalisten, die Deutschlands wohl derzeit wichtigsten Feldspieler befragen wollten, dann kehrte er zurück vor die Wand der Fans. Und schrieb weiter. Immer weiter.

Zuvor hatte Juri Knorr, auf dem Deutschlands Handball-Hoffnungen liegen bei der in wenigen Tagen startenden WM, die Isländer ordentlich aufgemischt. 13 Tore warf der Regisseur beim 33:31 (19:14), fand ein ums andere Mal seine Kreisläufer und lieferte sich kurz vor Ende der ersten Hälfte auch noch eine private Fehde mit Islands Torwart Björvin Pall Gustavsson. Hart bedrängt hatte der Deutsche dem Isländer im Fallen den Ball aus kurzer Distanz ins Gesicht geknallt, Gustavsson bekam sich in der Folge kaum noch ein. Verunsichern ließ sich der Mann von den Rhein-Neckar Löwen nicht, obwohl der grimmige Gustavsson ihn erst bis an die Mittellinie verfolgte und in den folgenden Minuten ausdauernd mit Worten und Blicken fixierte.

"Unglaublich teure Fehler"

Knorr blieb stoisch, versenkte Wurf um Wurf - und klärte die Situation später mit großer Reife. "Er hat mich ein-, zweimal beleidigt. Deshalb war ich im ersten Moment erbost, wenn man das so sagen kann", klärte Knorr auf. "Wir haben das in einem ruhigen Gespräch in der Halbzeit geklärt und jetzt ist alles gut. Im Handballsport ist es nun mal so, dass die Emotionen manchmal hochkochen und da bin ich auch manchmal dabei. Das gehört dazu und macht dann auch Spaß."

Die wilden Minuten von Hannover sind auch ein Symbol: Knorr lässt sich nicht beirren, wenn es rauchig wird. Die Chaos-EM 2022 hatte er noch verpasst, weil er sich nicht impfen lassen wollte. Die Diskussionen, auch die Anfeindungen, hielt er aus. "Zu meiner Person wurde natürlich sehr viel geschrieben in dieser Zeit bezüglich dem großen Thema Corona und natürlich hat mich das nicht unberührt gelassen. Dann kam natürlich auch die schwierige Phase mit den Löwen hinzu und für mich persönlich natürlich auch noch ein komplett neues Umfeld. Es kamen einfach viele Dinge zusammen", erklärte Knorr bei einem Medientermin im April. "Es war für mich auch keine einfache Zeit - generell die Saison mit schwierigen Phasen für mich und auch abseits vom Handballfeld war es nicht einfach."

Es ist überstanden. Bei der Weltmeisterschaft darf er spielen. Die Regularien setzen eine Impfung oder den Genesenenstatus voraus: "Ich bin diesbezüglich schon lange mit dem DHB im Austausch, wir haben da unsere Absprachen und alle wissen Bescheid. Wenn ich im endgültigen WM-Kader dabei sein sollte, spricht das natürlich für sich und dann sollte ich alle Kriterien entsprechend auch erfüllt haben", sagte Knorr bei Sky.

Inzwischen ist seine Ausbildungszeit beendet, die Rhein-Neckar Löwen führt er in der Bundesliga nach dem Abschied des ewigen Weltklassespielmachers Andy Schmid an. Das macht er so erfolgreich, dass aus dem zweimaligen Meister nach zwei sportlich ganz dunklen Jahren inzwischen wieder ein Titelanwärter geworden ist. Mit 117 Treffern steht er auf Platz drei der Torjägerliste.

Schon am Samstag hatte Knorr im Fokus gestanden, den ersten Teil des Doppeltests hatte die deutsche Mannschaft lange beherrscht - und dann trotz zwischenzeitlicher Sechs-Tore-Führung noch verloren. "Er macht ein Riesenspiel", sagte Bundestrainer Alfred Gislason, "aber nur 40 Minuten lang." Dann führten, so sagte es Gislason sehr offen, "sehr, sehr viele technische Fehler, unglaublich teure Fehler" dazu, dass die deutsche Mannschaft noch 30:31 verlor. In der Vorbereitung nervt das alle hörbar sehr, in einem Turnier wird so was teuer. So sieht Kapitän Johannes Golla die größte Baustelle vor Turnierstart darin, "in den Phasen, in denen wir außer Tritt kommen, die Ruhe zu bewahren, einen Plan zu haben, wie wir agieren wollen und die Ruhe zu behalten." Es ist natürlich auch ein unausgesprochener Auftrag an den eigenen Spielmacher.

"Extrem viel Verantwortung" für Knorr

Es hängt in diesem Team, das seit Jahren immer wieder seine Momente hat, letztlich aber gerade in den entscheidenden Spielen viel zu wenig Durchschlagskraft entwickelt, viel von Knorr ab. Dem soliden Stellvertreter Luca Witzke fehlt die Torgefährlichkeit Knorrs, Philipp Weber, der bei den vergangenen Turnieren das deutsche Spiel aufbaute, ist mehr Shooter als Regisseur und spielt bei Meister Magdeburg nur noch in Ausnahmefällen auf der Mitte. In Hannover hatte der verdienstvolle Weber nur wenige, eher unglückliche Situationen.

Mit Juri Knorr, der früh zum FC Barcelona gewechselt war und dort in der Jugend ausgebildet wurde, bevor er über GWD Minden den Weg zu den Rhein-Neckar Löwen nahm und unter Andy Schmid seine Ausbildung zu Ende brachte, darf man sich beim DHB endlich wieder über einen Spielmacher freuen, mit dem man den Abstand zu den enteilten Topnationen verringern könnte. Und vielleicht spätestens bei der Heim-EM 2024 wieder ernsthaft um Medaillen mitspielen zu können.

Auch wenn im abschließenden Test gegen Island nicht alles gelang, lieferte Knorr doch eine überzeugende Reaktion auf einen Anpfiff. Geschimpft habe man mit dem Jungen am Morgen des Spiels noch, sagte Bundestrainer Gislason nach dem Spiel. Nun war der Isländer zufrieden: "Es war sehr gut, wie er nach der Kritik zurückgekommen ist."

Im zweiten Spiel binnen 24 Stunden präsentierte sich der Spielmacher nahezu durchgehend als Regisseur von WM-Format. "Es wurde genug darüber gesagt, dass gestern in der entscheidenden Phase der eine oder andere Fehler zu viel da war", sagte Golla mit Blick auf seinen Spielmacher. "Aber er übernimmt eben auch extrem viel Verantwortung, spielt heute auch wieder über 60 Minuten auf der Mitte. Er lenkt unser Spiel und trifft über weite Strecken die richtigen Entscheidungen. Wir brauchen ihn genau in dieser Form, wenn wir erfolgreich spielen wollen." Die deutsche Mannschaft braucht Knorrs Tore, seine Dynamik und seinen Spielwitz. Ein Paket, das so seit vielen Jahren kein deutscher Mittelmann mehr mitbrachte.

Niemand spricht mehr von Deutschland

Nach enttäuschenden Jahren, in denen das DHB-Team 2021 mit Platz zwölf die schlechteste Platzierung der langen Verbandsgeschichte produziert hatte, hat man den Europameister von 2016 international gar nicht mehr auf dem Zettel. "Ich persönlich denke, dass es das Übliche mit Dänemark, Schweden, Spanien und Frankreich sein wird - und dann glaube ich an unsere isländischen Freunde", sagte jüngst Dänemarks Weltklassespieler Mathias Gidsel gegenüber und kündigt an: "Behalten Sie Island also genau im Auge - aber auch uns." Von Deutschland ist nicht mehr die Rede.

Aber unmöglichen Aufgaben stellt man sich als Handballer. In Polen warten ab Freitag bei der WM zunächst machbare Aufgaben: Mit Katar, Serbien und Algerien hat man eine interessante, aber lösbare Gruppe erwischt. Auch in einer möglichen Hauptrunde wäre der Weg in die K.-o.-Runde geebnet. Ob Knorr, dessen Vater Thomas selbst 83-Mal für Deutschland spielte, schon ein Regisseur von Crunchtime-Format ist, wenn es im Viertelfinale gegen Franzosen oder Spanier gehen könnte, wird er dann nachweisen müssen. "Es ist auch schön, dass etwas von mir erwartet wird", sagt Knorr selbst. "Ich will schon eine größere Rolle spielen." Was in Polen (und je nach Verlauf des Turniers in den Medaillenspielen in Schweden) für die deutsche Mannschaft zu schaffen ist und was nicht, wird sich zeigen. In Hannover jedenfalls ging am Ende niemand ohne Autogramm nach Hause.

Quelle: ntv.de

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