Sport

Grat zwischen Show und Horror Die Streif - zwei Minuten Hölle

Auf der Streif gab es in den letzten 30 Jahren mindestens 20 brutale Stürze.

Auf der Streif gab es in den letzten 30 Jahren mindestens 20 brutale Stürze.

(Foto: imago/Eibner Europa)

Mausefalle, Steilhang, Hausbergkante, Traverse – Pistenabschnitte aus der Hölle. Zwei Minuten auf zwei Brettern am Anschlag, Tempo bis zu 150 km/h. Angst, Adrenalin, die Streif. Wer hier siegt, wird zur Legende. Wer hier fliegt, der landet im Spital.

Du schiebst dich ab. Zählst eins, zwei, drei, vier. Deine Ski beschleunigen dich auf über 100 Stundenkilometer. Du bist drauf, mittendrauf auf der Streif. Der mächtigsten, brutalsten und legendärsten Abfahrt der Welt. Knapp zwei Minuten, gut drei Kilometer hast du jetzt noch vor dir. Die Piste glänzt. Eis, nichts als blankes Eis. Die Bretter rattern, die Kanten kämpfen um jedes bisschen Halt. Mausefalle, Karussell, Steilhang, Hausbergkante, Traverse, Zielschuss - Pistenabschnitte aus der Hölle, Gefälle bis zu 80 Prozent, Sprünge über 30, 60, 70 Meter ins gefühlte Nichts. Pistenabschnitte, die zahlreichen Karrieren beendet, die brutale Geschichten von schweren Unfällen zu erzählen und die Helden geschaffen haben.

"Der Sturz", sagt Daniel Albrecht, "war eigentlich ein sehr kleiner Fehler. Ich hätte sterben können." Sturz 2009, Lungenquetschungen, schweres Schädel-Hirn-Trauma, fast vier Wochen Koma. Der Schweizer überlebt. Zwei Jahre später fährt er wieder Weltcuprennen. Erfolgreich ist er nicht mehr, aber glücklich: "Dass ich es nach meinem Unfall nochmals in den Weltcup geschafft habe, stufe ich sehr hoch ein und das Wichtigste: Ich kann gesund aufhören!" Die Geschichte von Albrecht ist kein spektakulärer Einzelfall. Sie wiederholt sich, wieder und wieder. Nicht immer mit der gleichen Heftigkeit. Manche aber erwischt es noch schlimmer. So wie Hans Grugger. Der Österreicher verliert 2011 während eines Trainingslaufs in der Mausfalle das Gleichgewicht. Er schlägt hart auf Rücken und Kopf auf. Lebensgefahr, Koma, Karriereende.

"Bevor du einen Rückzieher machst, ist es am Gescheitesten du schnallst ab und gehst heim", sagt Max Franz. Auch den Österreicher hat die Streif abgeworfen. Im vergangenen Jahr. Knie kaputt, Sprung- und Handgelenk verletzt. Noch am Abend wird der Kärtner operiert – immerhin: Er kann seine Karriere fortsetzen, ist in diesem Winter wieder in der absoluten Weltspitze angekommen. Mindestens 20 brutale Stürze  - glücklicherweise endete bislang keiner tödlich - gab es in den vergangenen 30 Jahren. Und mit jedem wird die Frage ein kleines bisschen lauter gestellt: Ist die Streif zu gefährlich?

Ist das wirklich noch fahrbar?

"Es ist der Punkt, wo man sich Gedanken machen muss, was ist möglich und was ist schaffbar, und was ist fahrbar und was ist zu gefährlich. Ich bin mir bewusst, dass das ein schmaler Grat ist zwischen Show und zu gefährlich", sagte Marcel Hirscher im vergangenen Jahr stellvertretend für viele seiner Kollegen. Hirscher dominiert seit Jahren den Weltcup, die Abfahrt aber lässt er meistens aus. Er fährt Slalom, Riesenslalom und Super G. Dennoch: die Alpinisten debattierten heftig. Das Ergebnis: Ja, vielleicht war's zu viel, aber so sei's nunmal im Abfahrtssport, heißt es in einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung".

Reagiert haben die Organisatoren trotzdem: Vor der legendären Hausbergkante bremst ein Linksschwung die Fahrer ein, der Bereich dahinter wird mit Flutlicht ausgeleuchtet, um die Schläge besser zu erkennen, die im vergangenen Jahr unter anderem die Topfahrer Hannes Reichelt und Aksel Lund Svindal folgenschwer in die Fangnetze zwangen. Doch der Grat bleibt schmal. Das Spektakel lockt. Die brutale Gefahr ist Teil des Mythos. Und der Mythos ist das, was Kitzbühel ausmacht.

"Ein Ritt durch das Inferno"

"Da ist dieser Kick. Es ist das schönste Glücksgefühl, durch das Ziel zu fahren und eine so schwierige Aufgabe gemeistert zu haben. Diesen Mut haben nur wenige", sagte der Schweizer Rekordsieger Didier Cuche (fünf Erfolge) der "WAZ". "Es ist ein Ritt durch das Inferno." Ein Ritt, der auch an diesem Samstag wieder rund 45.000 Menschen zum Fuß des Hahnenkamm lockt. Sie wollen die große Show. Und dazu gehören spektakuläre Stürze ebenso wie die fast schon heroisch anmutenden Triumphe.

"Eine Autobahn wird die Streif wohl nie werden", sagte der österreichische Abfahrts-Routinier Romed Baumann nach den ersten Trainingsläufen dies Jahres im ORF. Und so hat die Streif auch 2017 prompt schon ihr erstes Opfer gefunden: den Deutschen Klaus Brandner. Im Steilhang war der 26-Jährige am Donnerstagmittag abgeflogen, mit dem Heli wurde er abtransportiert – Saisonende.

"Du brauchst Kraft und Konzentration, um etwas zu besiegen, vor dem du Angst hast", sagt der Kanadier Eric Guay. Das Zitat stammt aus dem Ende 2014 erschienen Film "Streif - One Hell of a ride". Eine Strecke, die Hölle, eins, zwei, drei, vier – und du bist mittendrin.

Quelle: ntv.de

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