
Maodo Lo fühlt den Rhythmus, fühlt die Musik.
(Foto: IMAGO/camera4+)
Mit einem klaren Sieg über den vermeintlichen Mitfavoriten Frankreich starten die deutschen Basketballer in die Heim-Europameisterschaft. Der Auftakt in Köln verzückt, die DBB-Auswahl selbst aber scheint den Erfolg sachlich einzuordnen. Auch wenn die Ballermann-Musik offenbar ansteckt.
Aus den Boxen der Kölner Arena dröhnte deutscher Ballermann-Popschlager, die 18.000 auf den Rängen klatschten unaufhaltsam mit, und selbst Maodo Lo konnte sich dem "Hey, das geht ab" nicht mehr entziehen. Leichtfüßig tänzelte der Point Guard an die Seitenlinie, augenscheinlich leicht berauscht vom bemerkenswerten Auftritt seiner Mannschaft. Wenige Momente später stand der perfekte Auftakt in die Heim-Europameisterschaft fest. Die Auswahl des Deutschen Basketball-Bundes hatte den Mitfavoriten Frankreich nicht nur mit 76:63 (38:31) bezwungen, sondern teilweise schwindlig gespielt, obwohl dort mit Rudy Gobert der amtierende Verteidiger des Jahres aus der NBA die Defensive orchestrierte.
"Das hat wirklich Bock gemacht", fasste Lo anschließend zusammen, was während der 40 Minuten offensichtlich geworden war: "Wir haben heute Freude beim Spielen gehabt." In einem Sport, der bei aller Ernsthaftigkeit und Verbissenheit auch immer ein bisschen von der Show lebt, weil sich darin oftmals die fürs Gelingen notwendige Lockerheit offenbart. Die vielleicht wichtigste Voraussetzung, um erfolgreich zu sein. "Das habe ich vorher noch nie in einem Spiel gemacht", sagte der 29-Jährige über den Fastbreak, in dem er den Ball erst spektakulär hinter dem eigenen Rücken herdribbelte, um damit den Verteidiger aus dem Gleichgewicht zu bringen und dann zu Dennis Schröder ablegte, der mit einem freien Korbleger zwei einfache Punkte erzielte.
Die Zuschauenden in der Halle bejubelten die Aktion, die Lo anschließend im Interview bei MagentaSport freudig lächelnd noch einmal beschreiben durfte, ehe Per Günther leicht auf die gern zitierte Euphoriebremse trat. Er könne den neben ihm stehenden Lo jetzt ja nicht überschwänglich abfeiern, sagte Günther, der nach 500 Bundesliga-Einsätzen und mehr als 60 Länderspielen seine Karriere in diesem Sommer beendet hatte und nun ans Mikrofon gewechselt ist. Aber solch ein Dribbling im Fastbreak auf dieser großen Bühne erstmals zu probieren, das zeige, mit welchem Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten die "Natio" in dieses Turnier gehe.
Der spanische Einfluss ist erkennbar
"Ich muss das persönlich erstmal sacken lassen", sagte Günther, eigentlich kaum einmal um eine schlagfertige Antwort verlegen: "Ich habe selten so eine Leistung einer deutschen Mannschaft gesehen." Sicher, es ist nur das erste Vorrundenspiel einer Europameisterschaft, deren Gruppenphase sich auf Köln, Mailand, Prag und Tiflis verteilt, ehe zur Finalrunde alle nach Berlin reisen. Aber Frankreich, das ist nicht irgendein Auftaktgegner, sondern immerhin der Dritte der vergangenen beiden Weltmeisterschaften, der Silbermedaillengewinner von Tokio, der im Olympiafinale den übermächtigen US-Amerikanern einige Probleme bereitet hatte.
Dabei zeigte der von Basketball-Legende Dirk Nowitzki als "Anführer" geadelte Dennis Schröder, der sich auch für einen neuen Vertrag in den USA empfehlen möchte, gar keine allzu starke Leistung. In den vergangenen Jahren war er zeitweise Alleinunterhalter in der deutschen Offensive, weil es abseits der NBA kaum jemanden gibt, der bei seiner Geschwindigkeit mithalten kann. Nach einer Knöchelverletzung kurz vor der EM sucht er aber noch seine Form. Gegen Frankreich spielte er 30 Minuten, sammelte zwar solide 11 Punkte und 5 Assists, traf aber nur 4 von 14 Würfen aus dem Feld und keinen seiner sechs Dreierversuche. Dass dieses Unterschreiten der eigenen Ansprüche des ehrgeizigen Aufbauspielers im Ergebnis folgenlos blieb, lag vor allem an einem Berliner Trio mit erkennbar spanischer Prägung.
Was komplex klingt, fasste Niels Giffey, stellvertretend auch für Johannes Thiemann und Maodo Lo, hinterher in einem Wort zusammen: "Aito". Der Rufname von Alejandro Garcia Reneses, diesem beeindruckenden spanischen Trainer, der 2017 nach Berlin gekommen war und Giffey, Thiemann und Lo dort nachhaltig beeinflusste. Der Alba wieder zu einem Spitzenklub formte, indem er seinen Spielern konsequent vertraute, weil er sie befähigte, aus Fehlern zu lernen, statt dafür bestraft zu werden. Der ihnen vermittelte, dass das gemeinsame Spiel, das Verstehen der eigenen Rolle im Teamgefüge wichtiger ist als die persönlichen Statistiken. Dessen Einfluss trotz seines Abschieds im vergangenen Jahr nachwirkt, weil die Berliner sich zum Ziel gesetzt haben, diesen Weg konsequent zu ihrem eigenen zu machen.
Aus kuriosen Entscheidungen erwächst "Identität"
Gegen Frankreich nun waren es Lo, Thiemann und Giffey, die mit 13, 14 und 13 Punkten offensiv den größten Beitrag leisteten und dies mit einer Selbstverständlichkeit taten, wie sie deutschen Nationalspielern abseits von Dirk Nowitzki und Dennis Schröder viel zu oft abzugehen schien. Auch wenn es natürlich immer noch nur das erste Vorrundenspiel war - ein erster Eindruck, den es jetzt nachhaltig zu bestätigen gilt. "Für uns alle macht es einfach Spaß, miteinander zu spielen", sagte Giffey anschließend. Ein bisschen floskelhaft, sicherlich, aber auch eine Beschreibung dessen, was die DBB-Auswahl schon beim ebenso überraschenden Erfolg über den amtierenden Europameister Slowenien im letzten Vorbereitungsspiel ausgestrahlt hatte.
"Ich muss meine Spieler loben für die Art, wie sie gespielt haben", sagte Bundestrainer Gordon Herbert anschließend und dürfte damit eben dieses Vertrauen in die Fähigkeiten gemeint haben. Der Kanadier hatte vor Turnierbeginn mit umstrittenen Personalentscheidungen (der langjährige Kapitän Robin Benzing wurde in der Vorbereitung aus dem Kader gestrichen) und eigenwilliger Kommunikation (den potenziellen Leistungsträgern Tibor Pleiß, Maxi Kleber und Isaiah Hartenstein warf er nach ihren Absagen indirekt mangelnde Opferbereitschaft vor) in Fachkreisen eine Mischung aus Verwunderung und Unverständnis ausgelöst. Für Herbert, zuvor langjähriger Bundesliga-Coach in Frankfurt, bringt der erfolgreiche Start in die EM also auch etwas Ruhe.
Denn es scheint ihm in der Vorbereitung gelungen zu sein, der Mannschaft eine "Identität" zu verpassen. So zumindest bezeichnete Dennis Schröder die Tatsache, dass sich die DBB-Auswahl auch in offensiven Schwächephasen auf ihre Defensive verlassen konnte. Der Einsatz stimmte, die Rotationen passten, Frankreich ließ sich zu einfachen Ballverlusten verleiten, die in leichte deutsche Punkte mündeten. "So müssen wir weitermachen", sagte Schröder, der schon gegen Bosnien-Herzegowina am morgigen Samstag (14.30 Uhr/live im kostenfreien Stream bei MagentaSport) die nächste Chance bekommt, im Angriff seinen Rhythmus wiederzufinden.
Noch mehr Ballermann-Musik?
Denn so schön es ist, einen Turnierfavoriten zu stürzen, so schnell verpufft ein Hochgefühl auch, wenn darauf ein Leistungsabfall folgt. Konstanz ist für Nationalmannschaften schwierig zu erreichen, weil sie ausschließlich bei großen Turnieren in voller Stärke antreten. Die jüngst eingeführten Länderspielfenster während der Saison verstärken dieses Problem, weil NBA-Profis wie Schröder, aber Franz Wagner, Daniel Theis und der bei dieser Eurobasket verletzt fehlende Moritz Wagner dafür keine Freigabe erhalten - die "Natio" dann also ohne ihre vermeintlich besten Einzelkönner antreten muss.
Die Highlights werden zur Verfügung gestellt von MagentaSport. Dort können Sie auch die weiteren deutschen Spiele live verfolgen.
Dienstag, 6. September, ab 20 Uhr: Deutschland - Slowenien
Mittwoch, 7. September, ab 20 Uhr: Ungarn - Deutschland
All das aber spielte an diesem berauschenden Auftaktabend in Köln keine Rolle, an dem die DBB-Auswahl den ersten Schritt gemacht hat, die Finalrunde in Berlin zu erreichen. Das ist nämlich die Mindestvoraussetzung, um das selbst gesteckte Ziel zu erreichen: die erste internationale Medaille seit 2005, als ein überragender Dirk Nowitzki Deutschland zu EM-Silber getragen hatte. Dessen Rückennummer 14 wurde vor dem Tip-Off feierlich unter die Hallendecke gezogen, sie wird also nicht mehr vergeben, eine im deutschen Nationalmannschaftsbasketball bislang einmalige Ehrung. Auch die Geschichten von 1993 werden gern einmal hervorgekramt, als die DBB-Herren im eigenen Land sensationell den Titel gewannen, den bis heute einzigen.
Für goldene Träume ist es ohnehin noch viel zu früh, selbst das Thema Medaille ist noch keins. So zumindest sagte es Daniel Theis stellvertretend: "Natürlich gibt das einen positiven Push für die nächsten Spiele", also der durchaus prestigeträchtige Erfolg über Frankreich, "aber genauso können wir uns von dem einen Sieg nichts kaufen." Ein guter Anfang ist dennoch gemacht - und er macht Lust auf mehr. Auch, wenn dadurch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass wieder laute Ballermann-Musik aus den Boxen dröhnt.
Quelle: ntv.de