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DHB-Team glaubt an WM-CoupEs wäre ja nur die größte Sensation des Jahrzehnts

14.12.2025, 07:55 Uhr till-erdenberger-256x256Von Till Erdenberger
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Die deutschen Handball-Frauen fliegen durch die Weltmeisterschaft, nun stehen sie ganz kurz vor dem ultimativen Coup. Doch der letzte Schritt ist viel zu groß. Oder?

Nein, sie haben keine Chance. Nicht den Hauch. An WM-Gold müssen sie wirklich nicht denken, diese famosen deutschen Handball-Frauen, die wie entfesselt durch die WM stürmen. Denn im Finale von Rotterdam wartet mit Norwegen der "ultimative Endgegner" aufs DHB-Team, wie es Sportchef Ingo Meckes beschreibt. Der nächste deutsche Sieg, der dann neunte im neunten WM-Spiel, ist unvorstellbar.

Norwegen ist unschlagbar, da waren sich die Experten zu Turnierbeginn einig. Schlagbar seien alle Teams für die deutsche Auswahl, die ihre erste Medaille seit 18 Jahren (!) sicher hat, aber "Norwegen thront über allem", hatte beispielsweise Florian Kehrmann noch in der Gruppenphase gesagt. Und Kehrmann ist Männer-Weltmeister von 2007 und einer der renommiertesten Bundesligatrainer. Also: "Take the Medal and run"? Nicht mit den deutschen Frauen: "Jetzt wollen wir mehr. Wir sind jetzt einen Schritt von der totalen Eskalation entfernt", sagt Rückraumspielerin Nieke Kühne vor dem Finale (17.30 Uhr/ARD und im Liveticker auf ntv.de). Im Laufe der letzten Tage sind Dinge ins Rutschen gekommen.

"Wir sind nicht als Touristen hier. Wir können am Sonntag hier die Bude abreißen", kündigte Bundestrainer Markus Gaugisch dem vermeintlich übermächtigen Olympiasieger mindestens einen großen Kampf an. Den Glauben an sich selbst hat sich das in den vergangenen Jahren immer wieder arg gebeutelte Team selbst erspielt. 2017 landete das DHB-Ensemble bei der WM nur auf Platz 12, zwei Jahre zuvor war es sogar nur gut genug für Platz 13. Nie kamen sie in diesem Jahrtausend bei einem großen Turnier über Platz 5 hinaus - bis auf die Bronzemedaille 2007.

Den Weltmeister von Anfang bis Ende beherrscht

Diesmal aber hat man das scheinbar systemische Versagen abgeschüttelt, das immer über deutsche Mannschaften kam, wenn mal der Schritt aus dem Mittelfeld in die Phalanx der Spitzenteams gelingen konnte. "Es ist nur noch ein Spiel. So dicht dran waren wir noch nie. Es gibt keinen Grund, irgendwas zu verändern. Why not Gold holen? Es zeichnet uns dieses Jahr aus, dass Zweifel überhaupt nicht dazugehören", sagte die gegen Frankreich überragende Emily Vogel, die zuvor unter ihrem Mädchennamen Bölk schon zehn Turniere gespielt hat und immer wieder mit Enttäuschungen heimkehren musste.

Zu beeindruckend war es, wie das DHB-Team Titelverteidiger Frankreich zerlegte. 29:23 (17:13) hieß es am Ende einer über nahezu die komplette Distanz einseitige Partie. "Es war ein unglaubliches Statement. Wir haben den Weltmeister über 60 Minuten beherrscht. Im Stile einer Spitzenmannschaft", sagte Meckes. Vor neutralem Publikum wohlgemerkt, in einer nur spärlich gefüllten Arena in Rotterdam. Es war der erste Sieg gegen Frankreich in einem Pflichtspiel seit 20 Jahren. Den bislang größten Schritt in ihrer furiosen Entwicklung machten die deutschen Frauen nicht angetrieben von schwarz-rot-goldenen Massen, wie sie sie zuvor in Stuttgart (Vorrunde) und Dortmund (Hauptrunde und Viertelfinale) kannten, sondern aus sich selbst heraus. Reif, begeisternd, ungeheuer stabil. Die wenigen Phasen, in denen vor allem offensiv für Minuten Sand im Getriebe war, überstand man ohne den über Jahre immer wiederkehrenden kompletten Systemabsturz.

Auf die deutsche Abwehr wartet die beste Handballerin der Welt

Die Norwegerinnen, die sich ebenfalls in diesem Turnier nicht den Hauch einer Blöße gaben und in ihrem Halbfinale Co-Gastgeber Niederlande vor eigenem Publikum schwer demütigten, sind nun aber ein neues Kaliber. Der "ultimative Endgegner" eben, der Olympiasieger und Serien-Europameister, Weltmeister von 2021, der sich von nichts und niemandem beeindrucken lässt. Erst im letzten Jahr hatten sie im olympischen Finale von Paris den von 26.000 Heimfans angetriebenen Weltmeister 29:21 besiegt und dabei keine Sekunde gewackelt.

Mit Henny Ella Reistad kommt die aktuell beste Handballspielerin der Welt auf die deutsche Verteidigung zu: die Rückraumspielerin, Welthandballerin 2023 und 2024, traf gegen die Niederlande alleine zehnmal. Im vergangenen Dezember war das deutsche Team für die Norwegerinnen auf dem Weg zum dritten EM-Titel in Serie in der Hauptrunde nur eine unbedeutende Zwischenstation, für Deutschland bedeutete das 27:32 mal wieder ein früher Turnieraus.

"Norwegen ist das beste Team der Welt. Aber mit unserem Mindset und der Defense, die wir spielen, kann alles möglich sein", sagte Kapitänin Antje Döll, die zur besten Spielerin des Halbfinals gekürt worden war. Das Team müsse noch einmal defensiv so stark agieren, "wie wir es acht Spiele lang gezeigt haben" und den Glauben haben, "dass wir Norwegen schlagen können. Das ist schon viel wert." Erst einmal stand eine DHB-Auswahl zuvor in einem WM-Finale: 1993 sorgte die deutsche Mannschaft für das "Wunder von Oslo", besiegte die übermächtigen Däninnen mit 22:21. "Wie geil wäre es, wenn wir Geschichte wiederholen", sagte Emily Vogel, deren Mutter Andrea Bölk damals Teil der deutschen Wundertruppe war - und nun ihre Tochter in Rotterdam unterstützt.

"Wir sehen uns in jedem Fall in Rotterdam", hatte Döll schon zu Beginn des Turniers versprochen. Jetzt sind sie da und sie dürfen an WM-Gold denken und glauben, bis die letzte Hoffnung gestorben ist. Alles andere als eine deutliche Niederlage wäre eine große Überraschung. Ein Sieg wäre die größte Handball-Sensation des Jahrzehnts.

Quelle: ntv.de

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