Fußball-WM 2010

Der Weltverband und seine Schiedsrichter Reden ist Silber, Verschweigen Fifa

Mit dem Fußball-Weltverband ist das ein wenig so wie mit Pippi Langstrumpf. "Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt." Der Verband manipuliert und verschweigt, wenn es um die Fehler seiner Schiedsrichter geht. Also doch eher DDR-Nachrichtengebung als Pippi Langstrumpf.

Das ganze Stadion sah, dass Tevez deutlich im Abseits gestanden hatte: Schiedrichter Roberto Rosetti beim Spiel Argentinien gegen Mexiko.

Das ganze Stadion sah, dass Tevez deutlich im Abseits gestanden hatte: Schiedrichter Roberto Rosetti beim Spiel Argentinien gegen Mexiko.

(Foto: AP)

Die Homepage der Fifa ist während einer Fußball-Weltmeisterschaft für viele Sachen gut. Für einen Blick auf vergangene Endrunden, für nette Statistikspielereien. Von den aktuellen deutschen Spielberichten raten wir allen Lesern hingegen dringend ab. Denn dort wird nicht beschrieben, was war. Dort wird nur geschrieben, was im Fifa-Reich sein darf. Fehler der Schiedsrichter, wie es sie bei der WM in Südafrika im Übermaß gab, dürfen nicht sein.

Ein Auswuchs der widrigen Wirklichkeit, der sich mit der gewünschten Realität der Fifa schlecht verträgt und dazu führt, dass die Spielberichte einer Maxime der DDR-Nachrichtengebung Ehre machen: "Agitation durch Tatsachen". Das heißt: Es wird nicht offensichtlich gelogen, sondern ganz subtil manipuliert, indem Fakten sinnentstellend verschwiegen und Zitate mit dem gleichen Zweck gekürzt werden.

Begriff Phantomtor mit neuer Bedeutung

Im Spielbericht Deutschland gegen England gibt die Fifa dem Begriff Phantomtor auf diese Weise eine ganz neue Bedeutung, indem sie den Leser direkt nach der Schilderung des 1:2-Anschlusstors durch Matthew Upson wissen lässt: "Die englischen Hoffnungen auf einen Sieg gegen den Erzrivalen waren plötzlich wieder allgegenwärtig. Mit purer Entschlossenheit kamen die Schützlinge von Fabio Capello aus der Halbzeitpause zurück." Dass Frank Lampard unmittelbar nach dem Anschlusstreffer ein reguläres, vom Schiedsrichtergespann aber nicht anerkanntes Tor geschossen hat, bleibt im gesamten Bericht unerwähnt.

"Das nicht gegebene Tor war der Knackpunkt des Spiels." Sagt England James Milner. Überall. Nur nicht im Spielbericht der Fifa.

"Das nicht gegebene Tor war der Knackpunkt des Spiels." Sagt England James Milner. Überall. Nur nicht im Spielbericht der Fifa.

(Foto: dpa)

Weil die englischen Spieler und ihr italienischer Trainer nach der Partie nicht so rücksichtsvoll waren, musste die Fifa bei den Zitaten ebenfalls nachbessern. Während James Milner überall sonst sagte "Das nicht gegebene Tor war der Knackpunkt des Spiels. Das Spiel wäre ganz anders gelaufen" und erst dann die Deutschen lobte, zitiert ihn die Fifa lediglich mit den Worten: "Die Deutschen haben ein gutes Team mit viel Qualität. Sie haben eine gute Chance, die WM zu gewinnen." Ähnlich informativ sind die Spielberichte zu den Partien Brasilien gegen Elfenbeinküste oder Argentinien gegen Mexiko, wo weder das doppelte Handspiel von Luis Fabiano noch das Abseitstor von Carlos Tevez erwähnt werden. Fehler der Schiedsrichter? Keine Spur.

"Wir sind hier nicht in Nordkorea"

Warum Lampards nicht gegebenes Tor auf fifa.com unerwähnt bleibt, darauf gab der Fußball-Weltverband auf Anfrage von n-tv.de keine Antwort, aber so ist es eben bei rhetorischen Fragen. Auch beim Medientag der WM-Schiedsrichter, der dummerweise erst nach den beiden Fehlentscheidungen angesetzt war, warteten die Journalisten vergebens. Erst auf Jorge Larrionda aus Uruguay und den Italiener Roberto Rosetti, die am Samstag zunächst einen regulären Treffer nicht und später einen irregulären doch gelten ließen.

Beide ließen sich mit "persönlichen Gründen" entschuldigen, was getrost als Euphemismus für einen Maulkorb betrachtet werden darf. Dann warteten die Medienvertreter auch noch auf klare Worte von Fifa-Obmann Jose Maria Garcia Aranda zur Diskussion um technische Hilfsmittel nach zahllosen Fehlern bei der WM, wieder vergebens. Bis ein Journalist schließlich entnervt blaffte: "Wir sind hier nicht in Nordkorea. Warum sagen Sie nicht einfach ihre Meinung?"

Schiedsrichter als unfähige Trottel

Es war, erneut, eine rhetorische Frage. Sie entsprang nicht nur dem aktuellen Unmut über das Zaudern von Aranda, sondern auch dem lang aufgestauten Frust über die Informationspolitik des Fußball-Weltverbandes, die in erster Linie eine Informationsunterdrückung und –vernebelung, also perfekte PR ist. Zumindest aus Sicht des Weltverbandes. Denn was soll er schon sagen, der Spanier Aranda? Soll er zugeben, wie unzumutbar es ist, dass die Schiedsrichter vor einem Millionenpublikum als unfähige Trottel bloßgestellt werden, weil der Verband ihnen mutwillig technische Hilfsmittel verweigert?

Dr. No: Nicolas Maingot, Mediendirektor der Fifa.

Dr. No: Nicolas Maingot, Mediendirektor der Fifa.

(Foto: REUTERS)

Soll er die Wahrheit sagen und dadurch seinen Posten in der Fifa riskieren? Jenem Verband, der öffentlich vom Friedensnobelpreis träumt. Der insgeheim aber Korruption duldet, Spielberichte zensiert, die WM-Schiedsrichter irrwitzigerweise schon drei Jahre vor dem Turnier nominiert, wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet. Der sich auf Kosten einer WM bereichert, die sich Südafrika gar nicht leisten kann und dessen Mediendirektor Nicolas Maingot den Spitzenamen "Dr. No" trägt, für "No comment"?

"Es gab nur vier, fünf Fehlentscheidungen"

Also sagte Aranda getreu der offiziellen Sprachregelung: "Das ist Sache der Fifa und des International Football Association Boards." Also nannte Aranda die bisherige Leistung der WM-Schiedsrichter "exzellent" und stellte fest: "Es gab nur vier, fünf Fehlentscheidungen in insgesamt 54 Spielen." Der Medientag war eine Farce, die von Aranda genannte Fehlerzahl hanebüchener Unsinn. Auf nicht weniger als 15 eindeutige Fehlentscheidungen, die entweder spielentscheidend oder mindest wegweisend waren, kam der Schweizer "Tagesanzeiger" bei seiner defensiven Analyse der ersten 54 WM-Spiele.

Zwei dieser Fehler ordnete die Zeitung dem deutschen WM-Schiedsrichter Wolfgang Stark zu, der damit noch gut bedient war. Stark selbst sagte beim Medientag allerdings nicht ohne Stolz: "Wir sind jedenfalls sehr zufrieden mit unseren Spielen." Zu den Hilfsmitteln befragt, fiel ihm nur ein: "Kein Kommentar. Das müssen andere entscheiden." Das ist überraschend, weil Stark erst kürzlich im "Deutschlandfunk" sehr wohl eine klare Meinung zu den Hilfsmitteln äußerte, nämlich: "Also ich denke da hat auch die Fifa die richtige Entscheidung getroffen, diese technischen Hilfsmittel, die nicht 100 Prozent Aufschluss geben, beiseite zu räumen. Man soll es dabei belassen. Fußball ist im Grunde genommen ein einfaches Spiel und diese Einfachheit, die soll weiterhin bewahrt bleiben."

Fifa mit fadenscheinigen Argumenten

Den Fußball einfach und menschlich, den Fans die geliebten Diskussionen über Fehlentscheidungen lassen, das führt die Fifa immer wieder als Argument gegen den Einsatz von Technik an. Absurd, findet nicht nur ZDF-Experte Oliver Kahn. Er nannte die Verweigerung von Hilfsmitteln für die Referees nach dem Phantomtor von Bloemfontein zu Recht geradezu unmenschlich. Kahn hat Recht. Irren ist menschlich, auch bei Schiedsrichtern. Fehlerquellen bewusst nicht zu schließen, ist es nicht. Den Beleg lieferte der englische Referee Howard Webb. Er teilte mit, dass Jorge Larrionda "extrem enttäuscht" von seinem Fauxpas war. Wie soll er auch nicht, nachdem er jetzt weltweit als Schiedsrichtertrottel gilt, der bei seinem Job katastrophal versagt hat? Einem Knochenjob, bei dem er weniger Fehler machen könnte, wenn ihm die Fifa nicht mit fadenscheinigen Argumenten beharrlich technische Hilfe verweigern würde.

"Extrem enttäuscht": Jorge Larrionda, Uruguay.

"Extrem enttäuscht": Jorge Larrionda, Uruguay.

(Foto: dpa)

Vom Italiener Roberto Rosetti sind ähnliche Bekundungen des Unbehagens nicht überliefert, obwohl er seine spielentscheidende Fehlentscheidung in der Partie Argentinien gegen Mexiko leicht hätte rückgängig machen können. Als er das Spiel nach dem Abseitstor von Carlos Tevez zum 1:0 wieder anpfeifen wollte, wurde auf der Anzeigetafel der Treffer wiederholt. Das ganze Stadion sah, dass Tevez deutlich im Abseits gestanden hatte. Die mexikanischen Spieler sahen es und waren vollkommen entgeistert. Der Schiedsrichter sah es auch und nahm seine Entscheidung nicht zurück.

Damit handelte Rosetti, so bigott es klingt, aus seiner Sicht absolut richtig. Weil der Einsatz des Videobeweises gemäß der Fifa-Regeln strikt untersagt ist, revidierte der Italiener seine offensichtliche Fehlentscheidung nach dem Videobeweis auf der Anzeigetafel nicht. Er verzichtete regelkonform darauf, im Sinne des Fairplay und der betrogenen Mexikaner Rückgrat zu zeigen, um seine weitere Karriere als Schiedsrichter nicht zu gefährden. Wer das beklagt, sollte sich allerdings fragen, ob dann nicht auch Manuel Neuer hätte anzeigen müssen, dass Lampards Schuss die Linie klar überquert hatte.

Eine Revolution ist das nicht

Nach den Querelen der letzten Tage hat Fifa-Boss Sepp Blatter nun angekündigt, das International Football Association Boards (IFAB) werde im Juli erneut über die Einführung von Hilfsmitteln beraten, auch von technischen. Die Revolution, die mancher in dieser vagen Ankündigung heraufziehen sehen, kann schon jetzt getrost abgesagt werden. Das liegt nicht nur an der dubiosen Besetzung des 1886 gegründeten IFAB, in dem die Fifa vier Stimmen und damit genauso viele besitzt wie die Landesverbände von England, Schottland, Wales und Nordirland.

Es liegt vor allem daran, dass sich aus Sicht der Fifa trotz der WM-Fehlerflut an der Ausgangslage wenig geändert haben dürfte. Im Juli werden deshalb die gleichen halbgaren Argumente - Universalität des Spiels, leidenschaftliche Fan-Debatten durch Fehler, zu hohe Kosten bei technischer Aufrüstung, Verwissenschaftlichung des Fußballs, Störung des Spielflusses - angeführt werden, die schon im März zur reichlich pathetischen Entscheidung führten, "der Technik die Tür endgültig zu verschließen".

Allenfalls der Chip hat eine Chance

Die größten Chancen auf eine Einführung scheint noch der Chip im Ball zu haben. Es wäre einerseits ein großer Fortschritt, andererseits aber nur der kleinste gemeinsame Nenner für die Fifa, um Wohlwollen zu zeigen und grundlegende Reformen wie die Einführung des Videobeweises auszusparen. Denn verglichen mit fehlerhaft bewerteten Abseitsstellungen wie bei Tevez, Fouls oder Handspielen a la Luis Fabiano ist die Zahl der Wembley- und Phantomtore verschwindend gering.

Blatters Ankündigung einer erneuten Prüfung von Hilfsmitteln ist primär ein Placebo für die Öffentlichkeit, das die hitzigen Diskussionen in Südafrika abkühlen soll. Bis die Revolution des Sepp Blatter aufgrund der widrigen Wirklichkeit auch offiziell zum Revolutiönchen verkommen ist, werden "Dr. No" und der PR-Apparat der Fifa weiter ganze Arbeit leisten. Mit rosaroten Erfolgsmeldungen ("97 Prozent der WM-Tickets verkauft" – Hurra!!!), Medientagen ohne Informationsgehalt und echten Phantomtoren. Dass England beim IFAB-Meeting im März für die Einführung von technischen Hilfsmitteln gestimmt hat, bleibt ein Treppenwitz der Fußballgeschichte. Nur lachen kann niemand darüber.

Quelle: ntv.de

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