Sport

Groß nimmt Bach in die Pflicht "Ich hoffe, er legt keinen Eiertanz hin"

"Er hat es verdient." Michael Groß über die Wahl Thomas Bachs zum Präsidenten des IOC.

"Er hat es verdient." Michael Groß über die Wahl Thomas Bachs zum Präsidenten des IOC.

(Foto: imago sportfotodienst)

Ex-Weltklasse-Schwimmer Michael Groß kennt den neuen IOC-Präsidenten Thomas Bach sehr gut. Im Interview mit n-tv.de fordert er Bach auf, bei Olympia 2014 in Sotschi Farbe zu bekennen. Groß freut sich über die Wahl Bachs - vor allem, weil der nun im deutschen Sport nicht mehr das Sagen hat.

Wo haben Sie die Wahl von Thomas Bach zum IOC-Präsidenten verfolgt?

Ich war gestern bei der Verleihung des Preises für den "Sportstipendiat des Jahres" der Stiftung Deutsche Sporthilfe in Frankfurt. Da waren viele zusammen, unter anderem die Vizepräsidentin des Deutschen Olympischen Sportbundes, Christa Thiel. Und wir haben uns alle kollektiv gefreut.

Also waren auch Sie in Jubelstimmung?

Ja klar, absolut. Ich freue mich, weil Thomas Bach es verdient hat. Er engagiert sich seit über 20 Jahren für die Olympische Bewegung, das muss man anerkennen. Er hat sich in den letzten Jahren intensiv auf den Wahltag und die Zeit danach vorbereitet. Weil er alle Facetten der Olympischen Bewegung kennt, hat er alle Grundlagen, um einen guten Job zu machen.

Sie haben von 2000 bis 2005 als Präsidiumsmitglied des Nationalen Olympischen Komitees mit Bach zusammengearbeitet. Wie würden Sie ihn beschreiben?

Michael Groß, mittlerweile 49 Jahre alt, bei einer Ausstellung in Köln im Mai 2013.

Michael Groß, mittlerweile 49 Jahre alt, bei einer Ausstellung in Köln im Mai 2013.

(Foto: imago sportfotodienst)

Er versteht es sehr gut, Mehrheiten zu finden. Er kann sehr gut taktieren, und hat ein sehr gutes Gespür für die Situation, dafür was gerade geht und was gerade nicht geht. Und er hat die Fähigkeit, auch mal nichts zu sagen. Wenn ich mich zu Wort gemeldet habe und mich aufgeregt habe, saß er da und ließ spüren: Lass uns einfach später darüber reden. Dann hat er eine sehr diskrete und feinfühlige Art, seine Themen zu platzieren und voranzutreiben. Das ist auch eine Kunst. Ich beherrsche die nicht.

Bach gilt als Pragmatiker und Strippenzieher. Dafür erntet er viel Kritik. Auch diese Wahl hat er mit seiner Stimmenorganisation gewonnen. Geht es nicht anders im großen Sport?

Sport ist wie Politik. Man muss Mehrheiten finden für die eigene Person und seine Themen. Das beherrscht er wie kein zweiter, schon gar nicht hier in Deutschland. Ich habe selbst miterlebt, dass es ohne nicht geht. Entweder ist man bereit, bestimmte Spielregeln zu beherrschen oder man sagt, das ist nicht meine Welt. So ging es mir persönlich, deswegen habe ich auch nach der Fusion zum DOSB aufgehört. (am 20. Mai 2006 schlossen sich der Deutsche Sportbund und das Nationale Olympische Komitee zum Deutschen Olympischen Sportbund zusammen, Anm.d.Red.) Ich bin zu direkt und fordernd. Thomas Bach hat Geduld, er weiß - und das ist eine wichtige Fähigkeit, wie in der Politik - wann Themen kommen. Der oft gebrachte Vergleich mit dem Fechten - das ist ja sein Sport, da wurde er 1976 Olympiasieger - ist gar nicht so verkehrt. Da muss man auch abwarten können, da muss man geduldig sein, um die richtigen Treffer zu setzen, und das macht er brillant.

Wahlentscheidend war wohl die Unterstützung des Scheichs Ahmed al-Sabah aus Kuweit. Die Größen der arabischen Sportwelt haben nicht den besten Leumund, wie wirkt sich das auf die Glaubwürdigkeit Bachs aus?

Der "Albatros"

Der ehemalige Weltklasse-Schwimmer Michael Groß ist einer der erfolgreichsten deutschen Sportler aller Zeiten. Der "Albatros" gewann Olympia-Gold 1984 und 1988, außerdem feierte er fünf Weltmeistertitel. Er hält noch heute den deutschen Rekord über 200 Meter Schmetterling. Von 2000 bis 2005 gehörte er dem Präsidium des NOK an. Heute arbeitet der promovierte Philologe als Lehrbeauftragter sowie als Management-Coach. 2013 erschien sein Buch "Selbstcoaching im Job".

Das ist bei vielen anderen Themen das Gleiche, zum Beispiel den Wahlen des Austragungsortes der Olympischen Spiele. Man darf nicht vergessen: Das IOC ist eine Veranstaltung von gut 100 Personen. Die wählen die Olympiastädte, diese wählen ihren Präsidenten. Bei so einer kleinen Gruppe von Menschen bilden sich automatisch Grüppchen. Das ist nichts anderes als in jedem Unternehmen, wo sich bestimmte Interessen verbünden. Wobei es im IOC vielleicht ein bisschen verschärfter ist. Da kommt ja nicht am Ende des Tages irgendein Produkt heraus. Was im IOC produziert wird, sind Einfluss und Macht.

Sie haben gesagt, Thomas Bach beherrscht die Kunst, auch mal nichts zu sagen. Nun steht aber mit den Olympischen Winterspielen in Sotschi ein Termin an, wo er bestimmt etwas sagen muss - etwa zum heiklen Homosexuellen-Gesetz. Wie wird Bach sich da positionieren?

Nicht nur das Thema steht in Sotschi an, sondern auch die Themen Gigantismus und Nachhaltigkeit. Sotschi wird in gut einem halben Jahr für ihn schon eine richtige Bewährungsprobe. Da werden viele Menschen die Olympische Bewegung kritisch beobachten. Wenn wir über Nachhaltigkeit reden: Sotschi ist das Nizza Russlands. Ich war zu meinen Schwimmer-Zeiten mal da. Zu Zeiten des Kalten Krieges war das wie die Cote d'Azur für Russland. Jetzt haben sie die halbe Gegend umgegraben. Aber Russland hat ja Erfahrung mit Potemkinschen Dörfern. Jedenfalls gibt es einige Themen, denen Thomas Bach sich dann stellen muss.

Ich hoffe nicht, dass er so einen Eiertanz hinlegt wie Herr Rogge 2008 in Peking. Ich erwarte eine klare Haltung: Wir sind hier bei Olympia, und das sind unsere Maßstäbe. Zu denen gehört Völkerverständigung. Und das bedeutet Toleranz und Meinungsfreiheit. Das steht für uns absolut außerhalb jeglicher Diskussion.

Lassen Sie uns über die Auswirkungen von Bachs Wahl reden. Claudia Bokel hat gesagt: "Ein IOC-Präsident aus Deutschland, was will man mehr?" Aber was genau bedeutet es denn, dass Bach aus Deutschland kommt?

Also zunächst mal: Der IOC-Präsident ist der Chef der Olympischen Bewegung, und es ist vollkommen egal, ob der aus Deutschland kommt, Mexiko, Belgien oder den USA. Insofern ist die wesentliche akute Auswirkung seiner Wahl auf Deutschland, dass es einen neuen DOSB-Präsidenten oder eine -Präsidentin geben muss. Das bedeutet, dass hoffentlich auch Dinge, die in den letzten Jahren liegengeblieben sind, angegriffen werden

Was wären das für Dinge?

Ein Anti-Doping-Gesetz muss kommen nach der Bundestagswahl und den wichtigen Landtagswahlen. Da müssen gemeinsam mit der Politik Fortschritte erzielt werden. Darüber hinaus gibt es zum Beispiel zwei Themen, die liegen schon, seit ich im NOK-Präsidium war. Damals waren wir uns alle einig, dass mit der Fusion zum DOSB die Organisationsstruktur des Spitzensports reformiert werden muss. Tatsächlich ist seitdem nichts Wesentliches passiert.

In welche Richtung sollte die Reform gehen?

Wir brauchen eine kleine, schnell agierende Organisationseinheit innerhalb des DOSB, die sich nur um die Belange der 10.000 bis 20.000 Topathleten kümmert. Die darf vor allem im Tagesgeschäft nicht abhängig sein von ehrenamtlichen Strukturen.

Und das zweite Thema?

Schule und Sport. Da gibt es noch so extremen Nachholbedarf, was die Verbindung von Schule und Sport, und Studium und Sport angeht. Letztlich kann ich nur jedem Athleten heutzutage empfehlen, im Zweifelsfall den Sport dranzugeben. Ausbildung ist wichtiger. Um so etwas hat sich Thomas Bach ehrlich gesagt nicht groß gekümmert, das hat ihn auch nicht so sehr interessiert.

Wenn man Ihnen so zuhört, könnte man glatt den Eindruck bekommen, Sie könnten das Amt des DOSB-Präsidenten selbst übernehmen.

Nein. Sechs Jahre im NOK haben mir gezeigt: So, wie ich agiere, bin ich völlig ungeeignet als Sportfunktionär. Idealerweise müsste man als DOSB-Chef jemanden haben, der wirtschaftlich und politisch unabhängig ist, der keine Verpflichtungen hat, sich selbst nicht profilieren muss und Anerkennung in der Politik genießt. Vielleicht ein Wirtschaftsführer, der immer schon eine sportliche Affinität hatte. Aber mir fällt da jetzt spontan auch kein Name ein.

Herr Groß, zum Abschluss noch eine direkte Frage: Wurmt es Sie eigentlich, dass pragmatische Funktionärstypen so viel zu sagen haben im Sport?

Nein, das ist einfach so. Ich habe mir schon während meiner aktiven Zeit meine Hörner abgestoßen und mich bei Funktionären unbeliebt gemacht. Als ich es selbst als Funktionär probiert habe, weil man ja nicht immer nur meckern kann, habe ich festgestellt, dass ich eben kein Politiker bin - eine nüchterne Erkenntnis. Als ehemaligen Sportler stimmt es mich einfach nur traurig, dass Vieles viel besser gemacht werden könnte.

Quelle: ntv.de, Mit Michael Groß sprach Christian Bartlau

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