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Handball-Märchen nach dem Wunder Italiener begeistern: "Wenn das ein Traum ist, weckt uns nicht auf!"

Domenico Ebner und seine Teamkollegen schreiben eine große Handball-Geschichte.

Domenico Ebner und seine Teamkollegen schreiben eine große Handball-Geschichte.

(Foto: IMAGO/IPA Sport)

Die italienische Handball-Nationalmannschaft spielt über fast drei Dekaden überhaupt keine Rolle auf der großen Bühne. Nun sind die Italiener zurück - und begeistern sich und viele andere.

Die "Gazzetta dello Sport" ist eine italienische Institution, das Blatt in Rosa ist eine mächtige Stimme für die Sportnation. Anhand der Themensetzung der Sportzeitung lässt sich prächtig illustrieren, wie es um den Stellenwert des Handballs im Land bestellt ist: Online bietet die "Gazzetta dello Sport" ihrem Leser eine prächtige Auswahl an Sportarten an - Fußball, natürlich, Motor- und Radsport, Tennis, Basketball, sogar Boccia und Bogenschießen. Handball findet man dagegen nicht. Pallamano, wie Handball auf dem Stiefel heißt, ist nicht existent.

Ein paar Jungs versuchen gerade weit weg in Skandinavien, das zu ändern. Mit großen Emotionen, Stolz - und Erfolg. Tatsächlich schreiben die Azzurri eine der großen Geschichten der Handball-Weltmeisterschaft. Nach Siegen gegen Tunesien und Algerien steht Italien, das in der 87-jährigen Geschichte des Turniers überhaupt erst zum zweiten Mal dabei ist, in der Hauptrunde - und wird dort auf die deutsche Mannschaft treffen. Für Torwart Domenico Ebner geht damit ein Traum in Erfüllung.

"Nicht in Worte zu fassen"

"Es ist mein großer Traum, gegen Deutschland bei so einem großen Turnier in einer vollen Halle zu spielen und die volle Aufmerksamkeit zu bekommen, um einen Hype für den Handball in Italien auszulösen", hatte Ebner, der seit vielen Jahren und aktuell für den SC DHfK Leipzig in der Bundesliga spielt, vor dem Turnier der "Bild"-Zeitung gesagt.

Ebner, als Sohn eines Deutschen und einer Italienerin in Freiburg geboren, spielte in beiden Partien groß auf, gegen Algerien kürte man ihn zum "Man of the Match". Schon nach dem Auftakt standen Ebner die Tränen in den Augen, als er die Bedeutung des Spiels und des Moments erklären sollte. "Ich kann das gar nicht in Worte fassen", sagte der Wahl-Sachse. "Das ist ein ganz, ganz tolles Gefühl, das wir hier als Mannschaft haben. Ich freue mich nicht nur für mich, sondern für den ganzen Handball in Italien."

Der Handball in Italien lag jahrelang am Boden. 1997 war man einmal bei einer WM dabei, belegte dort Platz 18 von 24 Teams - und verschwand dann nach der EM im Jahre darauf für beinahe drei Jahrzehnte in der Versenkung. Nun sind sie wieder da, auch, weil Domenico Ebner irgendwann eine Facebook-Nachricht von Jürgen Prantner erreichte. Prantner ist einer von denen, die 1997 für Italien bei der WM spielten und heute Assistent von Natonaltrainer Riccardo Trillini. Beide hatten sich im Ausland auf die Suche nach Kandidaten für die Nationalmannschaft gemacht, Ebner war nach der ersten kuriosen Kontaktaufnahme schnell überzeugt, Teil des spannenden Projekts Pallamano werden zu wollen.

"Das ist schon mega geil"

Die Hoffnung, mal für die große Torwartnation Deutschland zu spielen, war zu vage, als dass er sich die Chance auf große Spiele mit Italien nehmen lassen wollte. Er sagte zu, seitdem werden die wachsenden Träume Italiens auf den Paraden des Deutschen gebaut, der zur deutschen auch die italienische Staatsbürgerschaft annahm. "Der italienische Handball lag am Boden, in den letzten acht Jahren ist so viel passiert", sagte Ebner und lobte den Verband für seine Aufbauarbeit. Mehr als die Hälfte der Spieler im Kader sind jünger als 26 Jahre, im eng getakteten Turnierkalender des Handballs dürfte die Mannschaft künftig öfter von sich Reden machen. Gemeinsam mit den Fans erlebe man so lange schon mal "so ein bisschen Dolce-Vita-Feeling hier in Dänemark".

Einer der Jungen, die in Dänemark schon zweimal groß aufspielten, ist Leo Prantner. Dabei stand die WM-Teilnahme des Sohns des italienischen WM-Pioniers Jürgen Prantner lange auf der Kippe: Im März vergangenen Jahres riss im Bundesligaspiel seiner HBW Balingen-Weilstetten bei der MT Melsungen Prantners Kreuzband. Der junge Südtiroler in deutschen Diensten musste tatenlos zusehen, wie seine Mannschaft abstieg, auch die Hinrunde der zweiten Bundesliga verpasste er komplett.

Sein Pflichtspiel-Comeback feierte er nun auf der größten Bühne, die der Handball zu bieten hat. Der Rechtsaußen traf gegen Tunesien zehnmal, gegen Algerien erzielte der 23-Jährige sieben Treffer. "Wir haben ganz Italien stolz gemacht", sprühte er nach dem Auftakterfolg in die Mikrofone. "Vor ein paar Monaten konnte ich noch nicht einmal Handball spielen - und jetzt stehe ich hier bei so einem großen Event. Das ist schon mega geil." Kapitän Andrea Parisini brachte es auf den Punk: "Wenn das ein Traum ist, weckt uns nicht auf!"

"Das werden die Italiener sein ..."

Im November 2023, recht weit am Anfang des italienischen Traums, stand noch eine schlimme Klatsche: In der Türkei ging die Nationalmannschaft im Hinspiel der ersten Qualifikationsphase für die WM böse unter, 28:37 hieß es am Ende einer Lehrstunde gegen die international bestenfalls zweitklassigen Türken. Dass Italien heute, mehr als 15 Monate später, seinen Traum leben darf, kommt einem Wunder gleich. Doch wo, wenn nicht in Italien kann man mit großem Glauben Wunder wirken lassen? Das Rückspiel gewannen die plötzlich entfesselten Azzurri 37:27 und weil sie anschließend auch noch Belgien und Montenegro ausschalteten, stehen sie nun in Herning und schreiben eines der großen Märchen dieser WM.

Bob Hanning hatte ja so eine Vorahnung: "Ich habe noch eine Mannschaft, die spannend zu beobachten sein wird, die ich auch vorn sehe, wenn auch natürlich nicht in den Top vier. Das werden die Italiener sein", schrieb der meinungsstarke Handball-Manager, der einst den Deutschen Handball-Bund als Vizepräsident durchgelüftet hatte, in seiner "Kicker"-Kolumne. Nun liefern sie tatsächlich ab. Die Leistungsträger wie Ebner, Prantner oder Simone Mengon (ThSV Eisenach) spielen im Ausland, aber auch die heimische Liga entwickelt sich, berichtete Ebner Sport1: "Es muss alles nur noch etwas nachhaltiger werden. Wenn wir als Nationalteam gut performen, dann wird das auch für die Liga gut sein", glaubt der fünffache italienische Handballer des Jahres, der weiterhin hart an seinem Italienisch arbeitet.

Begeisterte dänische Fans

Sie tanzen durch die WM, bejubeln jede erfolgreiche Aktion und berauschen sich an sich selbst. "Es ist unbeschreiblich, wenn man sieht, wie viel Spaß die Jungs haben, wie die Bank mitgeht", erzählte Ebner dem "Hamburger Abendblatt". Es geht aber alles eben auch nur über harte Arbeit: "Diese Mannschaft ist nie zufrieden, das beweist sie von Spiel zu Spiel. Wir sind Jungs, die wissen, dass wir nicht aus den großen Handballnationen kommen", sagte Rückraumspieler Pablo Marrochi, der in der heimischen Liga für Conversano spielt. "Wir wissen, dass wir uns jeden Tag alles verdienen müssen, und das tun wir auch."

Auf den prall gefüllten Rängen der gewaltigen Jyske Bank Boxen von Herning, wo nach den Italienern die Dänen durch die WM fliegen, staunen die Fans des Gastgebers über die emotionalen Exoten. "Wir wollen das dänische Publikum für uns für die Hauptrunde gewinnen, dass sie uns auch da unterstützen", hofft Ebner. "Es ist für sie ja auch nicht normal, so ein Team auf der Platte zu sehen, das so viel Spaß hat."

Am Sonntag dürften die dänischen Sympathien für das Team, das fern der Heimat wohl noch für mehr Wirbel sorgt, als zu Hause, für zweimal 30 Minuten ruhen: Der Außenseiter trifft auf den Serienweltmeister. Nicht nur für die Italiener ist das eine der schwersten Aufgaben, die der Sport derzeit zu bieten hat. Alles andere als die erste WM-Niederlage dieser italienischen Handball-Generation ist unvorstellbar. Doch sie haben so schon so viel erreicht, dass alles Weitere ein neues Kapitel eines kollektiven Handball-Traums.

Quelle: ntv.de

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